Tote in Tannenholzkisten! Die Landbevölkerung im Fürstentum Minden kämpfte für Eichensärge

01.04.2022 Niklas Regenbrecht

Ob dieser Sarg aus Eichenholz gefertigt war, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Beerdigung in Münster-Nienberge, um 1970, Fotograf: Adolf Risse, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 2010.01393.

Sebastian Schröder

Im August 1703 erreichte Johan Philip von dem Bussche eine Anordnung seiner Vorgesetzten. Als Droste des mindischen Amtes Schlüsselburg war er der oberste landesherrliche Beamte in seinem Verwaltungsbezirk. Ihm oblag folglich, einerseits Stellung zu obrigkeitlichen Vorhaben zu nehmen und andererseits die Vorgaben durchzusetzen. Am Plan des preußischen Königs, der gleichzeitig Landesherr im Fürstentum Minden war, künftig Särge aus Eichenholz zu verbieten, hatte von dem Bussche nichts auszusetzen. Im Gegenteil erachtete er „solch werck für gantz practicabel und sehr nützlich“. Anstelle eichener Bretter könnten genauso gut solche aus Nadelholz verwendet werden, „indem die Tannen Särge bey dem gemeinen Manne eben dasjenige, waß die Eichen Verrichten“. Zudem sei Eichenholz weitaus teurer als Nadelholz, sodass die ländliche Bevölkerung viel Geld sparen könne. In der Not rissen einige Bauern nämlich sogar die eichenen Bodendielen in ihren Häusern heraus, um einen Sarg fertigen zu lassen, wusste von dem Bussche zu berichten. Überdies seien die Eichenstämme sinnvoller als Baumaterial zu gebrauchen. Demzufolge sah der hochrangige Beamte lauter Vorteile in der königlichen Anordnung und bei deren Umsetzung überhaupt keine Schwierigkeiten.

Sein Kollege aus dem Amt Reineberg, von Korff, bewertete die Angelegenheit gänzlich anders. In seinem Distrikt seien in den gemeinen Markengründen genügend Eichenbäume zu finden – das war wohl ein entscheidender Unterschied zur Situation in Schlüsselburg. Die Reineberger Bauern könnten weitaus schwieriger Nadelholz als eichene Bohlen beschaffen. Von Korff befürchtete, dass einige Kaufleute aus dieser Not Profit ziehen würden. Denn es sei in der Gegend üblich, die Toten binnen 24 Stunden zu begraben – beim Bau des Sarges war also Eile geboten. Diesen Umstand könnten gierige Handelsmänner schamlos ausnutzen und das Tannenholz zu völlig überteuerten Preisen verkaufen. Somit verfehle das königliche Edikt seinen eigentlichen Zweck; die Bevölkerung verliere sogar mehr Geld als sie spare.

Der Einspruch des Reineberger Drosten blieb aber zunächst ungehört. Die preußischen Landesherren hielten an ihrem Verbot fest. Widerstand regte sich allerdings auch vor Ort. So protestierten Johann Schlenßker und Rolff Johanning aus der Bauerschaft Holzhausen (an der Porta) im Amt Hausberge bei der Mindener Regierung, dass der Amtmann ihnen den Gebrauch eichener Bretter zur Fertigung von Särgen untersagt habe. Die Behörde müsse jedoch bedenken, dass sie „die Eichen Dielen schon lange liegen gehabt“. Der verstorbene 95-jährige Johann Schlenßker senior habe das benötigte Holz bereits vor etlichen Jahren eigens ausgewählt, „auffgehoben und gespahret“. Könne ihm nun verwehrt werden, in einem Eichensarg seine letzte Ruhe zu finden? Neben dem Begehr Schlenßkers und Johannings musste sich die Regierungskanzlei recht bald mit weiteren Einsprüchen beschäftigen. Johann Korff aus der Bauerschaft Veltheim (Amt Hausberge) bat ebenfalls, dass seine im Kindbett verstorbene Schwägerin einen Sarg aus Eichenbrettern erhalten dürfe. Denn sein Bruder, der Ehemann der Toten, habe „noch einige alte stücke auffm stalle liegend in Vorrath“. Zwar könne er wohl Schlehenbäume fällen, doch es sei unmöglich, Tannenholz zu beschaffen.

Aus den Beschwerden geht auch hervor, dass die ländliche Bevölkerung die als minderwertig angesehenen Bretter aus Nadelholz grundsätzlich ablehnte. In diesem Zusammenhang klagten die Eingesessenen der reinebergischen Kirchspiele Levern, Gehlenbeck, Blasheim und Alswede, die „Dannen Särcker“ hätten „keine Festigkeit […], so müßen Zu eines Erwachsenen Menschen Sarge so woll ober und unter als auch beider seiten stucke Zusammen gesetzet werden, ja damit der Cörper nicht durch den Boden falle, wie bereits Zu Blaßheimb geschehen, müßen gar Klammern oder holtzerne Spangen appliciret werden“. Dadurch stiegen die Fertigungskosten – ein Sarg aus Eiche sei im Endeffekt trotz des hochwertigeren Materials billiger. Zudem trage „jeder guter Haußwirth“ große Sorge, „in solchen leichten und zerbrechlichen Särcken Begraben“ zu werden. Überall sei ein lautstarkes „Seufzen“ zu vernehmen, „welchem hinzu kompt, daß das Tannenholtz leicht vermoddert, demnächst es sich nicht ohn rar begeben würde, daß bey anderwerten eröffnung der Gräber der Cörper non absq[ue] Schandulo [= nicht ohne Schande] entblößet gefunden werde.“

Die Gläubigen aus Bergkirchen klagten bei Pfarrer Hilmar Beneke ihr Leid. Dieser konnte seine Schäfchen nur allzu gut verstehen. Denn der Kirchhof seiner Gemeinde sei „gantz felsickt und hitzig“, sodass ein Sarg aus Tannenholz keine vier Jahre lang im Erdreich überdauere – ein schwerwiegendes Problem. Denn aufgrund fehlender Begräbnisplatzregister müsse der Leichengräber bei der Suche nach freien Grabstätten den Boden mit einer eisernen Stange („such-Eysen“) durchlöchern. Doch anstatt den dumpfen Ton eines eichenen Sarges zu vernehmen, habe er stattdessen unbemerkt einen Sarg aus Tannenholz durchdrungen und den darin befindlichen Toten perforiert – Beneke beschwert sich über den bestialischen Verwesungsgestank, sodass er sich „augen und nahsen“ habe zuhalten müssen.

Tatsächlich hatten die Mindener Räte nun ein Einsehen – „umb des viehlen Überlauffs willen“ überdachten sie ihre Haltung. Die Vorsteher sollten angewiesen werden, passendes Nadelgehölz zu besorgen. Bis dahin dürften die Beschwerde führenden Landleute den Vorrat an Eichenbohlen aufbrauchen. Erleichtert zeigten sich darüber etwa die Eingesessenen des Kirchspiels Bergkirchen, fortan wieder „mit Frieden in der Erden ruhen“ zu können. Doch die Ruhe sollte nicht lange währen. Schon recht bald unternahmen die Preußen einen neuerlichen Anlauf, gegen den „Ruin“ des Waldes vorzugehen und die Eichensärge zu verbannen. Aber das ist eine andere Geschichte …

 

Quelle: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 352: Abschaffung der eichenen Särge, 1703–1707.

Literatur: Christof Spannhoff, Zwischen Schmerz und Feier. Trauerrituale und Begräbnisformen heute und gestern, in: Graugold. Magazin für Alltagskultur 1 (2021), S. 34–43.