Ein Hasardeur und Abenteurer? Der Pflanzer und Sammler Josef Loag - Teil 1

11.07.2023 Niklas Regenbrecht

1. Das Foto dieser drei Papuaner stammt vermutlich von Josef Loag. Die Bildunterschrift spiegelt die tiefergehenden Kenntnisse von Land und Leuten, die Loag für sich in Anspruch nahm. (Haus Dassel, Kulturzentrum Allagen, Slg. Loag, Foto: Cantauw)

Christiane Cantauw

„Die größte Schwierigkeit für alle deutschen Unternehmungen in den Kolonien bot bisher und bietet noch heute die Beschaffung eines geeigneten, und für diese Unternehmungen genügend vor- und ausgebildeten Personals. Sowohl die Reichsregierung, als auch die privaten Gesellschaften und Einzelunternehmer, mögen sie reine Erwerbszwecke – durch Handel, Industrie, Plantagen-, Viehwirtschaft – oder mögen sie humanitäre, wissenschaftliche oder sonstige Ziele verfolgen, empfinden dies ebenso schwer, wie diejenigen Personen, welche an Stelle geschulter Leute hinausgehen müssen, ohne im Stande gewesen zu sein, sich vorher in der Heimat einigermaßen für die Anforderungen vorzubereiten, welche die Arbeit und das Leben in den Kolonien nicht nur an ihr Wissen und Können, sondern auch an ihren Körper stellt“, schreibt 1896 der evangelische Militärpfarrer und spätere Pädagoge und Gründungsdirektor der Deutschen Kolonialschule Ernst Albrecht Fabarius (1859-1927) in einer Denkschrift zur Gründung einer deutschen Kolonialschule (zit. nach Onnen, S. 21). In derselben Denkschrift fordert er die Einrichtung einer kolonialen Ausbildungsstätte für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe, die 1898 in Form der Deutschen Kolonialschule GmbH im nordhessischen Witzenhausen Gestalt annahm.

Was Ernst Albrecht Fabarius als Missstand anprangerte, war im 19. Jahrhundert gelebte Realität: Beamte, Soldaten, Kaufleute und Pflanzer begaben sich vollends ohne, mit geringem oder mit nicht zutreffendem Vorwissen, ungenügend ausgestattet und auch körperlich unvorbereitet in die Kolonien nach Übersee. Einer von ihnen war der Bauernsohn Josef Loag (1870-1939), der 1893 eine Stelle als Assistent für Tabakpflanzungen in Neuguinea antrat. Was ihn für die Arbeit qualifizieren sollte, war seine landwirtschaftliche Vorbildung, die er auf dem elterlichen Hof in Warstein-Allagen erworben hatte, und sein Alter, denn es wurden Landwirte im Alter zwischen 23 und 27 Jahren gesucht. Nach einer persönlichen Vorstellung bei der Berliner Niederlassung der Neu-Guinea-Kompanie, einem Konsortium von Investoren aus der Großfinanz, dem das Deutsche Reich 1885 die Hoheitsrechte für den Nordosten Neuguineas zugesichert hatte, wurde er ärztlich untersucht. Da offenbar aus medizinischer Sicht nichts gegen eine Anstellung sprach, bot man ihm einen Vertrag und ein Jahresgehalt von 3.600,- Mark an. Das entsprach 1893 etwa dem Fünffachen des Durchschnittsgehalts eines in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmers und war auch sehr viel mehr, als Josef Loag in der Landwirtschaft erwirtschaften konnte.

Dass er weder vom Tabakanbau noch von den kolonialwirtschaftlichen Strukturen oder den klimatischen Verhältnissen vor Ort Vorkenntnisse besaß, schien weder seine Arbeitgeber noch ihn selbst zu irritieren. Wie weit außerhalb der Vorstellungswelt seiner ländlichen Umgebung die in Aussicht genommene Arbeit in Übersee lag, lässt sich auch daran ermessen, dass man an der Expressgutabfertigung in Warstein, wo er sein Gepäck aufgeben wollte, noch nicht einmal wusste, wo Neuguinea lag.

In den 1890er Jahren mehrten sich die Publikationen über die Kolonien. Von Abenteuerbüchern bis hin zu Autobiografien und Sachbüchern popularisierten sie den Kolonialismus. Die meist eurozentristischen Darstellungen wie das 1897 erschienene „Von der Schulbank nach Afrika“ legten ihren Leser:innen nahe, dass im fernen Afrika spannende Erlebnisse und Erfahrungen auf sie warteten. (Foto: Cantauw)

Nach vierzehntägiger Reise erfuhr Josef Loag von einem „älteren Pflanzer“ vor Ort, dass er sich auf eine Ansteckung mit Malaria gefasst machen müsse und in der Tat erkrankte er zwei Wochen später. Trotzdem blieb er insgesamt neun Jahre in Neuguinea, wo er sich innerhalb von vier Jahren vom Assistenten zum Leiter einer Plantage mit einem Jahresgehalt von 8.400,- Mark hochgearbeitet hatte. Ab 1899 übernahm er außerdem die Administration der Neu-Guinea-Kompanie in Kaiser-Wilhelms-Land. Für diese Aufgabe stand ihm sogar ein kleiner Dampfer zur Verfügung (vgl. Lebenserinnerungen).

Solche schnellen beruflichen Aufstiege verbunden mit einigem Ansehen vor Ort und einem sehr guten Gehalt erschienen nicht nur Josef Loag, sondern auch anderen jungen Leuten im Deutschen Kaiserreich attraktiv, mochte das Leben in Übersee ihnen doch vielleicht die Möglichkeit bieten, aus einem stark reglementierten Alltag mit nur begrenzten beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten auszubrechen. Hinzu kommt, dass der im deutschen Kaiserreich alltägliche Rassismus ihre Selbstüberschätzung befeuerte und sie sich als in allen Belangen überlegene Herrenmenschen sahen. Nicht alle erwiesen sich aber als physisch und psychisch derart widerstandsfähig wie Josef Loag, den es nach seiner Tätigkeit in Neuguinea für acht Jahre nach Kamerun trieb (1906–1914).

Um die wirtschaftliche Ausbeutung der Kolonien auf längere Sicht sicherzustellen, galt es aus Sicht von Wirtschaftskreisen, Politik und Adel als unerlässlich, diejenigen besser vorzubereiten, die sich auf eine Tätigkeit in Übersee einlassen wollten. Dies war der Impetus zur Gründung der Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen, die 1898 unter dem Prorektorat von Fürst Wilhelm Adolph Maximilian zu Wied (1845-1907) ihren Schulbetrieb aufnahm. Ernst Albrecht Fabarius hatte es nach zäher Vorarbeit verstanden, die deutsche Kolonialgesellschaft für seine Idee zu gewinnen. Ein 1897 gegründeter geschäftsführender Ausschuss, dem neben dem Pfarrer Ernst Albrecht Fabarius Fabrik- und Plantagenbesitzer, aber auch ein Kaufmann, ein Oberstabsarzt, ein Oberbergrat und ein Bonner Professor angehörten, sollte die Gründung der Schule (auch finanziell) vorbereiten. Bereits am 23. Mai 1898 wurde die Gründungurkunde der Deutschen Kolonialschule im Schloss Neuwied unterzeichnet. Zielsetzung der Schule war laut § 2 der Gründungsurkunde die „Ausbildung von Kolonisten, Pflanzern, Beamten, Handwerkern und so weiter für die Kolonien in deutsch-evangelischem Geiste“.

Neben der Kolonialschule gab es seit den späten 1890er Jahren für zukünftige Kolonisten ein zunehmend breites Informationsangebot, das Vorträge und Publikationen, Ausstellungen und Zeitungsberichte umfasste. Die Stoßrichtung dieser Medien war stets dieselbe: Die Kolonien wurden als Wirtschaftsfaktor und als Karrierechance wahrgenommen, die dortigen Menschen, Tiere und Pflanzen waren vor allem aus diesem Blickwinkel heraus interessant. 

Im ländlich geprägten Hochsauerland stand Josef Loag zu Beginn der 1890er Jahre – abgesehen von einem Vortrag seines Gymnasiallehrers über die Südsee und dem Bericht der Schwester eines Soesters, der in Neuguinea gewesen sein sollte und von dort krankheitshalber zurückgekehrt war – kein Informationsangebot über Neuguinea zur Verfügung. Aus seinen Lebenserinnerungen lässt sich ersehen, dass er sich erst vor Ort im Laufe der Zeit eigeninitiativ ein tiefergehendes Verständnis von Land und Leuten erarbeitete. Er erlernte die Landessprache und machte sich auch mit lokalen Umgangsformen vertraut. Das half ihm später bei einer seiner wichtigsten Aufgaben, der Anwerbung von Arbeitskräften. Er setzte sich dann aber auch mit den damaligen ethnografischen Untersuchungen des südpazifischen Raumes auseinander und glich die Ergebnisse mit seinen eigenen Erfahrungen ab. Und es war für ihn wohl auch von Bedeutung, dass es ihm gelungen war, mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu treten:

„Ende des Jahres 1904 hatte ich mich aus verschiedenen Gründen entschlossen, das Schutzgebiet für immer zu verlassen und bereitete langsam meine Heimreise vor. Mein Plan und der Zeitpunkt meiner Abreise mit dem Lloyddampfer war bekannt geworden und als ich mich mittags an Bord zur Abreise begeben wollte, war der ganze Hafen mit Kanus dicht belebt. Die Eingeborenen, Männer, Frauen und Kinder waren gekommen, um von mir Abschied zu nehmen. Soweit es mir möglich war, drückte ich jedem die Hand und fast alle hatten mir noch ein kleines Abschiedsgeschenk mitgebracht.“

Dass Josef Loag schnell zu einer Art ‚Wanderer zwischen den Welten‘ wurde, ist ihm wohl bei seinen sporadischen Besuchen in der Heimat bewusstgeworden. Vielleicht resultierte auch daraus das Bemühen, Fotografien, Gegenstände und Präparate von Tieren aus Neuguinea und Kamerun zusammenzutragen.

Fortsetzung folgt!

 

Quelle:

Jakobus Onnen: Entstehung und Entwicklung der Deutschen Kolonialschule Witzenhausen. In: Festschrift zum 40jährigen Bestehen der Deutschen Kolonialschule Witzenhausen, 1898–1938, herausgegeben von der Deutschen Kolonialschule Witzenhausen, bearbeitet von Jakobus Onnen und Karl Polte. Duderstadt 1938, S. 12-66.