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www.alltagskultur.lwl.org |
Blog
- Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen
- 12.05.2024
URL: https://www.alltagskultur.lwl.org/de/blog/westfalischer-reiter-im-generalgouvernement/
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit rund 17.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region Westfalen-Lippe. Er betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser und 18 Museen und ist außerdem einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung.
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Vor einiger Zeit wurde in diesem Blog ein Fotoalbum der Familie B. aus dem Münsterland vorgestellt. Dieses Album zeichnet sich neben der offensichtlichen Begeisterung der Familie für den Pferdesport vor allem durch Fotografien vom internationalen Spring- und Reitturnier in Berlin aus, bei dem der berühmte SS-Reiter Axel Holst 1935 tödlich verunglückte. Sechs Jahre später legte die Ehefrau eines der Söhne der Familie ein weiteres interessantes Fotoalbum für ihren Mann Adolf an.
Fotos von einem Ausflug nach Ojców. 1941. Sammlung BF Nr. 12c.
Schlägt man das Album auf, liest man auf der Innenseite des Umschlags als erstes die Widmung: „Meinem lb. [lieben] Mann, am 12. Nov. 1941 Gertrud“. Ist man wegen der Jahreszahl nicht schon hellhörig geworden, könnten die ersten Seiten zunächst den Eindruck eines herkömmlichen Urlaubsalbums aus Krakau und Umgebung erwecken. Fotos von einem gemeinsamen Ausflug in die malerische Karstlandschaft Ojcóws, aus dem Krakauer Tierpark, vom Kościuszko-Hügel, der Weichsel und vom – bei genauem Hinsehen mit Hakenkreuzfahnen beflaggten – Rathausplatz in Krakau. Im Anschluss wirft das Album einen Blick zurück in das heimische Münsterland, wo der Bruder Adolfs seine Hochzeit feiert. Auch hier vermitteln die Fotos den Eindruck einer intakten Welt. Das Brautpaar lässt sich in den üblichen Posen vor der Kirche, in der Kutsche und mit der Familie auf dem Hof ablichten. Mitglieder des örtlichen Reitervereins sind ebenfalls anwesend und präsentieren stolz ihre Pferde.
Hochzeitsfotos aus der Heimat. 1940/41. Sammlung BF Nr. 12c.
Erst nach einigen Seiten wird der Grund für Adolfs Aufenthalt in Krakau ersichtlich. Seine Uniform, geschmückt mit dem Band des Kriegsverdienstkreuzes im Knopfloch, dem Reiterabzeichen auf der linken Brust und dem Ärmelband mit der Aufschrift „Ost“, identifiziert ihn als niederen Verwaltungsangestellten der Regierung des sogenannten Generalgouvernements für die besetzten polnischen Gebiete. Seit der Besetzung Polens durch das nationalsozialistische Deutschland im Herbst 1939 hatte die deutsche Zivilverwaltung unter Generalgouverneur Hans Frank (1900–1946) ihren Sitz in Krakau. Von hier aus wirkten die deutschen Verwaltungsbeamten in quasikolonialer Herrschaftsmanier an der überaus brutalen Ausbeutungs- und Vernichtungspolitik im Generalgouvernement mit. Diese führte dazu, dass große Teile der polnischen Zivilbevölkerung zwangsweise umgesiedelt, zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich deportiert oder ermordet wurden. Die polnischen Juden wurden gewaltsam aus den westpolnischen Gebieten vertrieben und in die Ghettos des Generalgouvernements gesperrt, von wo aus sie ab Mitte 1942 in die vier Vernichtungslager Belzec, Sobibor, Treblinka und Majdanek deportiert wurden.
Adolf B. in seiner Krakauer Dienststelle. 1940/41. Sammlung BF Nr. 12c.
In welcher Abteilung Adolf B. eingesetzt war und welche Rolle er in der Verwaltung des Generalgouvernements einnahm, ist nicht bekannt und geht auch aus den Fotografien in dem Album nicht hervor. Dieses bleibt vielmehr ganz auf einer individuell-persönlichen Ebene, die den nationalsozialistischen Terror ausklammerte: Neben Fotos mit Arbeitskollegen, von Ausflügen mit seiner Frau Gertrud und gelegentlichen Rückblicken in die Heimat finden sich in dem Album zahlreiche Bilder, auf denen Adolf B. seiner Leidenschaft, dem Reitsport, nachgeht. Dazu hatte er reichlich Gelegenheit, denn in Krakau befand sich die Haupt- und Geländereitschule Ost, in der vornehmlich Angehörige der Reiter-SS trainierten. Im September 1939 hatte Reichsführer SS Heinrich Himmler (1900–1945) berittene Abteilungen der SS für den Einsatz im Osten aufstellen lassen. Diese Einheiten waren in Polen an Plünderungen sowie an der Ermordung polnischer Zivilisten und der polnischen Intelligenz beteiligt. Unter den Reitern der SS befanden sich auch zahlreiche Turnierreiter, zu denen Adolf B. offenbar regen Kontakt pflegte, wenngleich er selbst kein Mitglied der SS war.
Oben: SS-Angehörige auf dem Trainingsplatz. Oben in der Mitte: Stadthauptmann Pavlu überreicht einem SS-Rottenführer einen Preis, rechts im Hintergrund Adolf B. in Zivil. Unten: Beim Geländetraining. 1941. Sammlung BF Nr. 12c.
Neben Angehörigen der Reiter-SS ist auf einigen Fotos auch Rudolf Pavlu (1902–1949) abgebildet, ein hochrangiger Verwaltungsbeamter im Distrikt Krakau, der ab April 1941 die Position des Stadthauptmanns bekleidete. Pavlu spielte eine maßgebliche Rolle bei der Inhaftierung der jüdischen Bevölkerung im Krakauer Ghetto und war bis zu seiner Versetzung an die Ostfront an den Deportationen in die Vernichtungslager beteiligt. Die Fotografien im Album zeigen ihn bei einem Ritt durch den Krakauer Abschnitt der Rudawa und bei einer Preisverleihung anlässlich eines Turniers im Jahr 1941.
Oben rechts und links: Adolf B. beim Springtraining. Oben in der Mitte: Adolfs Ehefrau Gertrud als Zuschauerin beim Turnier in Krakau. Unten: SS-Angehörige und Adolf B. beim Turnier in Krakau. 1940. Sammlung BF 12c, S. 36.
Die letzten Seiten des Albums dokumentieren ein viertägiges Reit-, Spring- und Fahrturnier in Krakau, welches die Reiter-SS gemeinsam mit der Polizei im September 1940 ausrichtete. Über 400 Reiter der SS und der Polizei, aber auch von Heer, Luftwaffe sowie Grenz-, Post- und Bahnschutz wetteiferten um Preise, die Generalgouverneur Hans Frank sowie der Höhere SS- und Polizeiführer im Generalgouvernement und Inspekteur der SS-Reiterei, Friedrich-Wilhelm Krüger (1894–1945), gestiftet hatten. Neben dem sportlichen Wettkampf diente das Turnier den Besatzern vor allem auch als „Demonstration deutscher Wehrbereitschaft“, wie der „Völkische Beobachter“ am 25. September 1940 berichtete: „Es ist ein großartiger Beweis deutscher Befriedungsarbeit im Osten des deutschen Machtbereichs, daß kaum ein Jahr nach Beginn des polnischen Feldzuges die für Ordnung und Sicherheit im Generalgouvernement eingesetzten Formationen Gelegenheit nehmen können, sich auf Gebieten ihrer soldatischen Ausbildung im ritterlichen Wettkampf zu messen.“ Adolf B. nahm ebenfalls an diesem Turnier teil. Im Gegensatz zu den Spring- und Geländeübungen, die er stets in Zivil absolvierte, trat er hier in seiner SA-Uniform an, die er schon in den 1930er Jahren als Mitglied des von ihm mitbegründeten Reitervereins bei Turnieren in Westfalen getragen hatte.
Adolf B. tritt in SA-Uniform beim Turnier in Krakau an. Mitte: Adolf B. in Zivil beim Springtraining. 1940. Sammlung BF 12c, S. 38.
Die Fotografien im Album zeichnen den Aufenthalt von Adolf B. in Krakau und die Besuche seiner Frau nicht chronologisch und in allen Einzelheiten nach. Stattdessen arrangierte Gertrud B. die fotografischen Erinnerungen zu einer visuellen Erzählung, die bestimmte, als schön empfundene Elemente hervorhebt und dabei andere bewusst ausklammert. Neben beschaulichen Ausflügen und vertrauten Bildern aus der Heimat hat das Elend der polnischen Zivilbevölkerung beispielsweise keinen Platz. Stattdessen widmet sich ein Großteil der Aufnahmen dem Reitsport. Da die meisten Fotografien aus dem Jahr 1941 stammen, bildet das SS-Turnier in Krakau im September 1940 nicht den chronologischen Abschluss, sondern den erzählerischen Höhepunkt des Albums. Der sportliche Wettkampf mit bekannten Turnierreitern der SS war für Adolf B. augenscheinlich ein erinnerungswürdiges Ereignis. Für heutige Betrachter:innen veranschaulichen diese Bilder vor allem aber das koloniale Machtgehabe der selbsternannten „Herrenmenschen“, die sich zwischen Zwangsumsiedlungen, Plünderungen und Massenerschießungen unter anderem bei Reitveranstaltungen in Krakau vergnügten.
Literatur
Nele Maya Fahnenbruck, „…reitet für Deutschland“: Pferdesport und Politik im Nationalsozialismus, Hamburg 2013.
Das Alltagskultur-Blog der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen, vormals Volkskundliche Kommission, informiert über aktuelle Projekte, Archivfunde, Veröffentlichungen, Veranstaltungen und vieles mehr aus den Bereichen von Kultur- und Alltagsgeschichte, Volkskunde, Europäischer Ethnologie, Kulturanthropologie und benachbarter Disziplinen. Gern veröffentlichen wir auch Ihre Beiträge: alltagskultur@lwl.org
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