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Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle

Die Geschäftsstelle der Kommission Alltagskulturforschung in Münster betreut die Mitglieder; zugleich ist sie Anlaufstelle für alle, die sich mit volkskundlichen Fragen beschäftigen.
Sie regt Forschungen in und über Westfalen an, fördert sie durch die Bereitstellung von Quellenmaterial und Publikationen, koordiniert Projekte, arbeitet mit anderen wissenschaftlichen Institutionen zusammen. Eine enge Kooperation besteht mit dem Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

 

Unsere Geschäftszeiten:

Montag bis Donnerstag: 8.30 bis 12.30 Uhr,
14.00 bis 15.30 Uhr; Freitag: 8.30 bis 12.30 Uhr.

 

Christiane Cantauw M. A.

Geschäftsführerin und wissenschaftliche Referentin

Kontakt:
Tel.: (0251) 83-24398
E-Mail: christiane.cantauw@lwl.org

Haushaltsbuch von Hildegard Weber aus Soest, 1949-1950

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Bestand Hildegard Weber, o. Inventarnummer

Unter den noch nicht inventarisierten Artefakten in der Sammlung der Kommission Alltagskulturforschung fand ich das Haushaltsbuch von Hildegard Weber, das mit den in das Buch eigelegten Rechnungen und Briefen den Bestand Weber bildet.

Das Haushaltsbuch im Format Din-A-5 wurde in der Buchdruckerei Richard Schmidt in Halberstadt hergestellt. Nach einem Deckblatt sind pro Seite jeweils zwei Spalten für Ausgaben vorgesehen. Die einzelnen Spalten sind mit den Wochentagen und einem noch einzutragenden Datum überschrieben. Nach jeweils sieben Tagen folgt eine Spalte, in der eine wöchentliche Abrechnung mit Einnahmen und Ausgaben vorgenommen werden kann.

Hildegard Weber hat das Buch nicht nur zur Dokumentation ihrer fast täglichen Einkäufe genutzt, sondern hier auch notiert, was sie an dem jeweiligen Tag gemacht hat. Wir erfahren von Geburtstagsfeiern, der Kündigung ihres Mannes, von der Krankheit des bereits erwachsenen Sohnes, von Kinobesuchen und von häuslichen Arbeiten wie der Großen Wäsche oder dem Putzen des Kellers.

Das Haushaltsbuch gewährt Einblicke in den Alltag einer Hausfrau mit Mann und zwei erwachsenen berufstätigen Kindern in der Nachkriegszeit. Es gibt Auskunft über den geographischen Raum, in dem sich Hildegard Weber bewegt hat, ebenso wie über ihr Freizeitverhalten oder die alltäglichen und nicht-alltäglichen Ausgaben für z.B. Milch, Brot und Butter oder die Reparatur von Seidenstrümpfen. Spannend ist, wie viele Informationen über die Familie aus der doch recht beschränkten Anzahl an Einträgen und Dokumenten abgeleitet werden können. So entsteht aus der Beschäftigung mit dem Haushaltsbuch heraus der Mikrokosmos einer Kleinfamilie, der das Leben in der Nachkriegszeit in einer westfälischen Kleinstadt greifbar werden lässt. 

Dörthe Gruttmann M. A.

Wissenschaftliche Referentin

Kontakt:
Tel. (0251) 83-24405
E-Mail: doerthe.gruttmann@lwl.org

Zeitkartenhalter und elektronische Stempeluhr memor electronic solari udine

Bei dem Kartenhalter aus Metall sowie der dazugehörigen elektronischen Stempeluhr handelt es sich nicht direkt um einen Archivfund, aber sicherlich um archivwürdige Bürogegenstände der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen. Denn beide befinden sich noch im Flur der Geschäftsräume der Kommission. Der Zeitkartenhalter aus Metall für 25 Stempelkarten sowie die elektronische Stempeluhr wurden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle vom Zeitpunkt des Bezuges der Räume in der Scharnhorststraße 2001 bis zum Frühjahr 2017 verwendet. Seitdem hängt ein zweites Arbeitszeiterfassungsgerät an der Wand, welches die An- und Abwesenheitszeiten digital übermittelt, wenn eine Chipkarte davorgehalten wird.

Zuvor mussten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeweils vor dem ersten Tag des neuen Monats eine neue Stempelkarte ausfüllen. Der Name und die Sollarbeitszeit wurden handschriftlich eingetragen, ebenso mussten beispielsweise Urlaubstage aufgeschrieben werden, und zwar in eine extra dafür vorgesehene Spalte für Sondereintragungen. Die Uhrzeit des Kommens und Gehens wurde auf die Stempelkarte in anderen Spalten gedruckt, wenn man sie in die Stempeluhr einführte. Diese zeigte bei dem Vorgang die erfassten Zeiten elektronisch auf einem kleinen Display an. Hierbei wurde eine Stunde in 100 Einheiten berechnet. Am Ende des Monats musste jeder ausrechnen, ob seine/ihre geleisteten Stunden mit der Sollarbeitszeit übereinstimmte. Die Stempelkarten selbst wurden monatlich weitergeleitet, im Falle der Kommission gingen diese an die Zentrale Verwaltungseinheit (ZVE).

Die sogenannte Stechuhr gehört für viele Menschen ganz unhinterfragt zum Alltag dazu. Dabei hat sich die automatische Arbeitszeiterfassung erst im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert allgemein durchgesetzt und löste andere Formen der Zeiterfassung und Regelungen ab (zum Beispiel das Läuten von Werkglocken). Ihre Etablierung hat sich auf die Wahrnehmung von Zeit erheblich ausgewirkt, normierten sie doch den Arbeitsrhythmus. Galten sie zunächst als Disziplinierungsgerät der Arbeitgeber, die einheitliche Arbeitszeiten, Pünktlichkeit und Pausen dokumentierten, hat sich diese (negative) Zuschreibung bis heute durchaus gewandelt.

Anhand von Stempeluhren lassen sich Steuer- und Regulierungsfunktionen im Sinne eines Kontrollinstrumentes im Arbeitsalltag ablesen, ebenso wie der Wandel dieser Technologie im Laufe der Zeit und damit verbunden der Wandel von Formen der Arbeitszeiterfassung.

Kathrin Schulte M. A.

Wissenschaftliche Referentin - Vertretung Dörthe Gruttmann (Redaktion Graugold)

Kontakt:
Tel. (0251) 83-24405
E-Mail: kathrin.schulte@lwl.org

Album „Kriegs-Karten“

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Inventarnummer K03139.0045.

Mit einer Größe von 17 x 15 cm ist das „Kriegs-Karten“-Album kleiner als viele andere Fotoalben im Archiv für Alltagskultur. Den leicht verknickten Einband des aus dünner brauner Pappe bestehenden Einsteck-Albums ziert ein ovales Portraitfoto Wilhelms II in Farbe. Über seinem Kopf schwebt, an einen Heiligenschein erinnernd, eine geprägte, goldene Krone, unter dem Kaiserportrait ist die Aufschrift „Kriegs-Karten“ zu lesen. Das Album stammt aus dem Personenbestand der Familie Zwarg und hat die Signatur K03139.0045 im Archiv für Alltagskultur.

Auf der Innenseite des Einbands findet sich eine handschriftliche Widmung: „Meiner lieben Emilie zu ihrem 21.ten Geburtstage, am 18.ten Juli 1915 gewidmet von Ihrer treuen Hedwig.“ Die 68 Fotopostkarten und fünf Fotografien in dem Album zeigen Szenen des Ersten Weltkriegs. Die Postkarten sind meist auf der Vorderseite handbeschriftet und zeigen zu großen Teilen zerstörte Gebäude im nördlichen Frankreich, aber auch deutsche Soldaten, Kriegsgefangene (laut Beschriftung „gefangene Franzosen“ und „Senegalesen“) und Kriegsgerät. Neben diesen Aufnahmen beinhaltet das Album auch deutlich explizitere Darstellungen: tote gegnerische Soldaten in Schützengräben, ein erhängter russischer Spion, ein abgeschossenes britisches Flugzeug samt totem Pilot und erschossene Pferde. Insgesamt zeigen elf Fotografien tote Menschen, davon eine die Beerdigung eines Deutschen, die übrigen sind – soweit erkennbar – gegnerische Soldaten. Teilweise posieren deutsche Soldaten neben den getöteten Gegnern, teilweise wurden die Folgen einer Offensive festgehalten. Während der gefallene deutsche Soldat als Individuum auf einem Friedhof bestattet wird, verschwimmen die getöteten Gegner zu einer anonymen Masse.

Dass es sich laut Widmung bei dem Album um ein Geburtstagsgeschenk von Hedwig an Emilie handelt, verwundert aus heutiger Sicht – wieso stellte ein Album mit Abbildungen von Zerstörungen und Toten ein geeignetes Geschenk zum 18. Geburtstag dar? Von Hedwig selbst stammen diese Fotografien offensichtlich nicht. Die einzelnen Karten geben allerdings Hinweise: Bei den Postkarten handelt es sich vermutlich um Fotografien, die im Fotoatelier auf Wunsch als Ansichtskarten gefertigt wurden.  Die meisten Karten sind auf der Vorderseite beschriftet (zum Beispiel „von der Offensive in der Champagne“ oder „Mörser Gestell“), seltener befinden sich auf der Rückseite Bildinformationen. Auf zwei der Karten enthält die Rückseite allerdings einen „Bestellzettel“: Stückzahlen und Nachnamen, geschrieben in unterschiedlichen Handschriften. Vermutlich wurden den Soldaten Abzüge von Fotografien ihrer Einsätze zum Kauf angeboten. Dass diese Praxis bereits professionalisiert worden war, zeigen die Bestellzettel.

Im hinteren Teil des Albums befinden sich einige beschriftete Feldpostkarten aus den Jahren 1916 und 1917 sowie weitere Kriegsfotografien Alle Feldpostkarten sind an ‚Herrn Zwarg‘ oder seine Familie gerichtet und von verschiedenen Personen verfasst, außerdem enthält das Album zwei Karten von einem Gottfried an Emilie. Inhaltlich ähneln sich die Botschaften: Man sei gut angekommen, sei bei guter Gesundheit und hoffe auf die Gesundheit der Adressaten.

Das Album war ein Geschenk einer Hedwig an Emilie Zwarg; in welcher Beziehung die beiden zueinander standen, ist nicht bekannt. Es liegt nahe, dass das Album zunächst nur die unbeschrifteten, ungelaufenen Bildpostkarten enthielt und Emilie in den folgenden Jahren Fotos und Feldpost, die sie erhalten hatte, hinzufügte.

Die Abbildung von toten gegnerischen Soldaten mag aus heutiger Perspektive irritieren, war aber im Kontext des Ersten und Zweiten Weltkrieges weit verbreitet. Die Fotos sollten Beweischarakter haben und waren Teil der Propaganda. Demgegenüber schafften es Darstellungen toter Deutscher kaum durch die Zensur.  Es ist davon auszugehen, dass solche Fotografien und Alben bei national gesinnten Frauen ein willkommenes Geburtstagsgeschenk waren, auch wenn die Bildinhalte eigentlich vor allem eines zeigen: die Brutalität, Verachtung und das unsägliche Leid, das aus Kriegen resultiert.

Niklas Regenbrecht M. A.

Wissenschaftlicher Referent und komm. Archivleitung

Kontakt:
Tel. (0251) 83-24405
E-Mail: niklas.regenbrecht@lwl.org

Totenzettel aus Westfalen, 19.-20. Jahrhundert

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Totenzettelsammlung, teilw. verzeichnet

Wie gedenken Menschen ihrer Verstorbenen? Und welche materiellen Zeugnisse bleiben vom Akt einer Beerdigung? Neben Grabsteinen, Todesanzeigen und Trauerkarten gehören auch die so genannten Totenzettel zu den Erinnerungsobjekten. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aufkommend, werden diese bei Beerdigungen an die Anwesenden verteilt.

Im Archiv für Alltagskultur befinden sich sowohl eine Reihe verzeichneter und digitalisierter Totenzettel, als auch bislang noch unverzeichnete Konvolute. Die frühesten Belege datieren auf das Jahr 1800. Sie stammen aus ganz Westfalen und darüber hinaus.

Die Gestaltung der Totenzettel unterliegt sich wandelnden Konventionen. Einblättrige Zettel wurden mit der Zeit vermehrt durch gefaltete Exemplare abgelöst. Bei Letzteren finden sich häufig auf den Vorderseiten Abbildungen von Heiligen oder Kreuzesdarstellungen, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auch Fotografien der Verstorbenen. Auch die verwendeten Sinnsprüche, Gebete und Anrufungen der Heiligen unterliegen einem Wandel. Dieser geht tendenziell Richtung Vereinfachung und schlichterer Gestaltung.

Die Totenzettel waren und sind vor allem eine katholische Sitte. Es finden sich aber auch Spuren der Entfremdung von Religion, wenn beispielsweise Kreuze durch NS-Symbole ersetzt wurden. Totenzettel geben Auskunft über die Lebensdaten, Berufs- und Verwandtschaftsbeziehungen der Verstorbenen. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts finden sich häufig sogar biographische Kurztexte und Angaben zur Todesursache. Sie sind nicht nur für genealogische Fragestellungen, sondern auch für Forschungen, die den Umgang mit dem Tod, Religiosität und Konfessionalität in den Blick nehmen, eine hervorragende Quelle.

Was die Empfänger der Totenzettel mit diesen gemacht haben, darüber geben die archivierten Totenzettel freilich keine Auskunft. Häufig wurden diese in Gesangbüchern gesammelt und – wenn sich allzu viele angesammelt hatten – in Schächtelchen ausgelagert. Sie einfach wegzuwerfen, scheint gewissermaßen tabubehaftet zu gewesen sein. Zusammenhängende Sammlungen können so manchmal auch Auskunft über das persönliche Umfeld einer sammelnden Person geben.

Marcel Brüntrup M. A.

Wissenschaftlicher Volontär

Kontakt:
Tel. (0251) 83-24406
E-Mail: marcel.bruentrup@lwl.org

Liederbuch der Junggesellen-Sodalität Riesenbeck

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, unverzeichnet.

Im Archiv für Alltagskultur, eingewickelt in Papier und mit einem Vermerk zur geplanten Restaurierung versehen, liegt ein Liederbuch der Junggesellen-Sodalität in Riesenbeck (heute ein Ortsteil Hörstels im Kreis Steinfurt). Das Buch misst 22,8 mal 15,4 Zentimeter und verfügt über einen festen, allerdings stark beschädigten Pappeinband; der Buchrücken ist zerrissen und hat sich fast vollständig vom Buchblock gelöst. Das Buchinnere besteht komplett aus Notenpapier, auf dem mit schwarz-bräunlicher Tinte handschriftlich Noten und Liedtexte eingetragen wurden. Deutsche Texte sind in deutscher Kurrentschrift, lateinische in lateinischer Schrift zu Papier gebracht worden. Von den insgesamt 100 Blatt sind die ersten 62 sowie die beiden letzten Blätter beschrieben. In späterer Zeit hat sich vermutlich ein Kind an einigen der leeren wie auch beschriebenen Seiten zu schaffen gemacht und sie mit Bleistift, Kugelschreiber und einem blauen Stift bekritzelt. Eine Seite wurde fast komplett herausgerissen, einige weitere mit einem Locher malträtiert.

Das Wort Sodalität leitet sich vom lateinischen „sodalitas“ ab, was Kameradschaft, Freundschaft, Freundeskreis oder auch Tischgesellschaft bedeuten kann. Seit dem späten Mittelalter werden verschiedene katholische Gemeinschaften und Bewegungen als Sodalitäten bezeichnet, die einzelnen Mitglieder heißen Sodalen. Bei der Junggesellen-Sodalität in Riesenbeck handelte es sich um eine marianische Sodalität, wie sie seit der frühen Neuzeit zur Ehre Mariens verbreitet waren. So finden sich unter den im Liederbuch niedergeschriebenen Kirchenliedern mehrere Bitt- und Lobgesänge zur Heiligen Jungfrau Maria, sogenannte marianische Antiphonen. Dabei ist jeweils vermerkt worden, in welchem Abschnitt des liturgischen Jahres die entsprechende Antiphon gesungen wird: „Antiphon N. I Vom ersten Sonntage des Advents bis auf Lichtmeßtag“, „Antiphon N. II Von Lichtmeß bis Ostern“, „Antiphon von Ostern bis h. Dreifaltigkeit, N. 3“ und „Antiphon N. 4 Von h. Dreifaltigkeit bis Advent“. Nach den in deutscher Sprache verfassten Kirchenliedern folgen neun lateinische Messgesänge unter dem Titel „Missae novae Monasterienses“ (Neue Klostermessen).

Gerade im katholischen Westfalen existierte im 19. Jahrhundert eine ganze Reihe marianischer Sodalitäten, für die oder von denen zahlreiche Gebets- und Gesangbücher verfasst wurden, wie etwa das 1853 erschienene „Katholische Gebet- und Gesangbuch für die Marianischen Sodalitäten“  von Hermann Josef Kappen, dem Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Lamberti in Münster. Auch das vorliegende Liederbuch stammt vermutlich aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. So finden sich auf einigen Seiten Verweise auf Lieder bei „Verspoel“ und „Roeren“, womit wahrscheinlich Christoph Bernhard Verspoell, ein katholischer Priester aus Münster, der 1810 seine „Gesänge beim römisch-katholischen Gottesdienste“ veröffentlichte, sowie der aus Ahlen stammende Organist Johann Martin Roeren, dessen „Choralbuch für den katholischen Kirchengesang“ 1845 erschien, gemeint sind. Das Liederbuch der Junggesellen-Sodalität in Riesenbeck ist somit ein Stück regionaler Kirchengeschichte Westfalens, welches auf die religiöse Praxis des traditionellen Verbandskatholizismus im 19. Jahrhundert verweist.

Mareen Averbeck B. A.

Studentische Volontärin

Archiv

Tel.: (0251) 83-22400

Quittungsbüchlein der Familie Gerling aus Saerbeck, [1727/]1729 – 1826

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Bestand Hofarchiv Gerling, Inventarnummer K02951.0247

Das Quittungsbüchlein ist Teil der umfangreichen Sammlung eines Hofes aus Saerbeck, dessen derzeitige Hofbesitzer 2017 Schriftgut aus vier Jahrhunderten als Depositum an das Archiv für Alltagskultur gegeben haben. Im Einzelnen handelt es sich u.a. um Hofübergabeverträge, viele handschriftliche Rechnungen und Quittungen sowie Unterlagen zur Flurbereinigungsmaßnahmen.

Bei einer Größe von 9,6 cm x 7,8 cm umfasst das in Leder eingeschlagene Büchlein 16 Doppelseiten. Ein Band sorgt dafür, dass das Buch verschlossen werden kann.

Vom ersten Eintrag vom 21. Oktober 1729 bis zum letzten Eintrag am 2. März 1826 dokumentiert das kleine Büchlein mit jeweils einigen wenigen Zeilen eine jährliche Pachtzahlung der Gerlings. Für was genau die Pachtzahlung fällig wurde, beantwortet das Büchlein selber nicht. Der erste Eintrag bezieht sich rückwirkend auf die Jahre 1727 und 1728. Auch andere Beiträge belegen, dass die Pacht wohl nur alle paar Jahre beglichen wurde. Neben Geld zahlten die Gerlings auch in Form von Naturalien: „d 28 october zahlet Gerlich seine pfagt und zweij Huhner pro annis 1734 et 1735 – mit [summa?] 3 Rth A v Groten“

Unterzeichner und Empfänger der Abgaben war von 1729 bis 1748 Alexander von Groten, der königliche Landrat der Grafschaft Tecklenburg. Bevor das Büchlein erneut zu ihm finden konnte, verstarb Alexander von Groten 1752 ohne Erben, weswegen sein Besitz über seine Schwester an die Familie von Blomberg ging, deren Angehörige nun bis 1826 die Pachtzahlungen quittierten.

Die in einigen Einträgen angegebenen Orte lassen darauf schließen, dass sich Mitglieder der Familie Gerling in einer Zeitspanne von fast 100 Jahren zum Haus Vorlage bei Lengerich, dem Gut Meesenburg bei Ledde und nach Tecklenburg und Osnabrück begaben, um ihre Pachtzahlung quittierten zu lassen. Da es sich um ein gebundenes Büchlein handelt, war die langfristige Nutzung des Quittungsbüchleins offenbar von Anfang an vorgesehen gewesen und auf den verbleibenden 11 Seiten hätten sicherlich noch weitere Einträge späterer Generationen Platz gefunden.

Weitere Dokumente aus dem Bestand zeigen, dass die Zahlungen bis mindestens 1859 weitergingen und somit das Quittungsbüchlein überdauerten. Darunter befindet sich auch eine gerichtliche Aufforderung, die Zahlungen zu belegen. Zusammen mit dem Quittungsbüchlein zeigt sich, wie wichtig es war, das Geben und Nehmen genau zu dokumentieren, da davon Rechte abhingen.

Aus den anderen Dokumenten lässt sich auch schließen, dass es sich bei der geleisteten Zahlung wohl um eine Grundabgabe an das Gut Meeseburg handelte. Vermutlich gab es einen gesonderten Vertrag, der aber leider nicht auf uns gekommen ist, und so macht das Büchlein letztlich auch deutlich, dass unser Blick auf die Geschichte ein begrenzter ist, dessen Reichweite davon abhängt, was überliefert wurde.

Liv Böllert

Studentische Volontärin

Archiv

Tel.: (0251) 83-22400

Gebets- und Andachtsbüchlein für die Mitglieder der Bruderschaft vom guten Tod

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Bestand Ortjohann, Inventarnummer K03139.0039

Das Büchlein mit zugehörigem Aufnahmeschein gehörte Heinrich Ortjohann aus Gütersloh, der am 10.12.1908 in die „Bruderschaft vom guten Tod“ aufgenommen wurde. Es ist 2021 über den Nachlass der Familie Ortjohann ins Archiv gekommen.

Der Aufnahmeschein ist Teil eines dunkelgrünen, gebundenen Büchleins mit rotem Buchschnitt, auf dem in goldener Schrift „Sterbetrost“ steht. Das Büchlein ist ca. 11,5 x 8 cm groß und hat einen Umfang von 260 Seiten. Der Umschlag ist mit Prägungen in Form von Blumen und einer Schriftrolle verziert. Das Frontispiz zeigt eine Schwarz-Weiß-Zeichnung von Jesus, Maria und einem Mann der mit einem Blumenstrauß im Arm auf dem Sterbebett liegt. Maria betet für den Mann, während Jesus ihn im Arm hält. Die Köpfe der drei Abgebildeten sind von einem Heiligenschein umgeben. Unter der Abbildung steht der Vers „Selig sind die Toten, die im Herrn sterben, ihre Werke folgen ihnen nach.“ (Offen 13,14).  Auf der folgenden Seite befindet sich der Aufnahmeschein, auf dem als Ausstellungsort Küsnacht, Schweiz vermerkt ist. Zur Zeit der Entstehung des Büchleins stand Pfarrer Felix Ackermann der Bruderschaft vor. Unter dem Aufnahmeschein steht: „Dieses Blatt ist nach dem Tode eines Mitgliedes an das zuständige Pfarramt abzugeben, damit die Seele dem Gebete der Gläubigen empfohlen werde.“ Anscheinend kam es nach dem Tod von Heinrich Ortjohann jedoch nicht dazu.

Bei Bruderschaften handelte es sich um eine Gemeinschaft von Männern, die sich zu freiwilligen Hilfsleistungen und sozialen Diensten verpflichteten. Im Falle der Bruderschaft vom guten Tod war dies die „ars morendi“, die Kunst des Sterbens. Damit war die christliche Vorbereitung auf einen „glückseligen Tod, von dem die Ganze Ewigkeit abhängt“ (vgl. Satzung Bruderschaft) gemeint, die seit dem ausgehenden Mittelalter u.a. in Form von Erbauungsliteratur verbreitet wurde. Die Bruderschaft vom guten Tod, auch bekannt unter dem Namen „Todesangst Christi“, wurde 1648 vom Jesuitengeneral Vincenzo Carafa gegründet. Besonders im 18. Jahrhundert erlebte sie eine Hochphase. Auch in Westfalen gab es vielerorts Ortsgruppen dieser Bruderschaft wie beispielweise in Coesfeld oder in Arnsberg.

Das Büchlein ist ein „Gebets- und Andachtsbüchlein für alle Christen insbesondere für die Mitglieder der trostreichen Bruderschaft vom guten Tode“ (S.5). Satzungsgemäß waren die Mitglieder der Bruderschaft verpflichtet, an den monatlichen Bruderschaftsgottesdiensten teilzunehmen und so oft wie möglich die heiligen Sakramente zu empfangen. Durch ihre Mitgliedschaft erhielten sie einen vollkommenden Ablass nach Empfang der hl. Sakramente der Buße und des Altars an bestimmten Tagen wie dem Fest des hl. Joseph, dem Tag der Aufnahme in die Bruderschaft sowie an weiteren christlichen Feiertagen.

Für Sterbefälle stattete sie das Büchlein mit Handlungsempfehlungen im Sinne einer ars morendi aus: „Da die ‚ars moriendi‘, die Kunst gut zu sterben, die Kunst aller Künste ist, so möge dieses Büchlein wie bisher, so auch fürderhin recht vielen Christen ein Ansporn und Gehülfe sein, recht zu leben und dadurch auf ein gutes Sterben sich wohl vorzubereiten […].“ (S.7). Gebetstexte und Andachtsübungen passend zu verschiedenen kirchlichen und privaten Anlässen sollten die Mitglieder der Bruderschaft auf den Tod vorbereiten und eine Hilfestellung bei der Sterbebegleitung bieten.

Bruderschaften wie diejenige vom guten Tod dokumentieren, wie selbstverständlich gelebte Religiosität und die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben um die Wende zum 20. Jahrhundert zum alltäglichen Leben dazu gehörten. Konzepte wie „gutes Sterben“ und „Sünde“ waren den Menschen absolut geläufig und prägten ihr Handeln. Dafür ist das „Gebets- und Andachtsbüchlein“ ein gutes Beispiel. 

Peter Herschlein B. A.

Studentischer Volontär

Bibliothek

Tel.: (0251) 83-24389

Foto und Tonaufnahme einer Tonpfeife aus Westerkappeln

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Inventarnummern: 0000.69312 und 12149

Unter der Inventarnummer 0000.69312 ist im Archiv für Alltagskultur die Schwarz-Weiß-Fotografie einer kleinen Tonpfeife verzeichnet. Unter den Tondokumenten findet sich zudem eine rund einminütige Audioaufnahme, welche das Blassen auf dieser Pfeife dokumentiert. Welche Geschichte verbirgt sich hinter diesen Archivalien?

In den 1970er Jahren wurde die Tonpfeife von dem damaligen Archäologie-Studenten Wieland Wienkämper auf einem Acker in der Westerkappelner Bauerschaft Sennlich aufgesammelt. Da er sein Fundstück nicht deuten konnte, wandte er sich an die Volksmusikforscherin Renate Brockpähler von der Volkskundlichen Kommission für Westfalen um weitere Informationen über sein Fundstück zu bekommen. Bei dieser Gelegenheit wurden auch die Foto- und Tonaufnahmen angefertigt und im Archiv hinterlegt. Doch auch die Expertin konnte bei der Einordnung des Fundstückes nur bedingt weiterhelfen. Denn es konnte kein vergleichbares Stück aus der Region ausfindig gemacht werden. Daher wurden verschiedene Überlegungen zur Herkunft und Bedeutung des Fundes angestellt.

Pfeifen werden zur Signalübermittlung zwischen Personen oder auch zur Kommunikation zwischen Mensch und Tier, beispielsweise bei der Jagd, eingesetzt. In der wissenschaftlichen Literatur finden Tonpfeifen als Musikinstrumente nur wenig Beachtung. So sind sie sowohl in Veröffentlichungen zur Volksmusik bzw. Musikgeschichte, als auch in Betrachtungen zum Töpferhandwerk kaum präsent.

Umso interessanter erscheinen damit die Funde im Archiv für Alltagskultur. Die Foto- sowie Tonaufnahmen und eine kleine Skizze zeigen, dass man sich eingehend mit dem Stück beschäftigt hat. Zudem ist eine französischsprachige Literaturangabe notiert. Diese führt zu einem Artikel in der Zeitschrift „Folklore Suisse“ von 1946. In dem dort abgedruckten Bericht werden kleine Tonpfeifen aus der schweizerischen Ortschaft Bonfol vorgestellt. Diese Pfeifen wurden im Winter in Heimarbeit von den Töpferfamilien hergestellt. Anschließend wurden diese an Bäckereien verkauft und als Schwanzanhängsel für kleine Pferde aus Pfefferkuchen verwendet. Besonders bei den Kindern waren die Pfeifen nach dem Verspeisen der Pferdchen als „Musikinstrument“ beliebt.    

Für die Pfeife auf den Aufnahmen des Archivs für Alltagskultur kann ein solcher Verwendungszweck jedoch nicht bewiesen werden. Möglicherweise war die Pfeife bei der Jagd als Signalinstrument für einen Jagdhund im Einsatz gewesen. Die Kommunikation zwischen Jäger:innen und Hund/en ist ein wichtiger Bestandteil der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Tier. Durch den Einsatz einer Pfeife können klare Befehle an den Hund auch über weite Distanzen weitergegeben werden. Beweisen lässt sich die Verwendung der Tonpfeife bei der Jagd jedoch nicht, so scheinen auch andere Verwendungsmöglichkeiten, beispielsweise als Kinderspielzeug, möglich.

Über diese Fragen hinaus sind die Archivfunde auch aus epistemologischer Sicht von Interesse. So zeigen sie, welche Objekte in das Archiv für Alltagskultur aufgenommen wurden und welche Informationen dabei von Interesse waren und daher festgehalten worden sind.
Dabei werden die unterschiedlichen Herangehensweisen von Volkskunde und Archäologie sichtbar. So sind beispielsweise keine Angaben zum Fundkontext notiert worden, der in der archäologischen Forschung eine große Rolle spielt. Zudem lassen sich anhand dieses Archivfundes auch neue Methoden in der Musikforschung, wie in diesem Fall das Erstellen von Tonaufnahmen, nachvollziehen.

Clara Weiss B. A.

Studentische Volontärin

Redaktion / Archiv

Tel.: (0251) 83-24389

Serena Patrone

Studentische Volontärin

Archiv

Tel.: (0251) 83-22400

Yannick Rüskamp

Studentischer Volontär

Archiv

Tel.: (0251) 83-22400