„Du sollst nicht ehebrechen!“

27.09.2019

Holzhauser Kanzel aus dem 17. Jahrhundert angehängt, von der auch Pfr. Lübbersen gepredigt hat. (Foto: Sebastian Schröder)

Ein schwerer Normverstoß im frühneuzeitlichen Pfarrhaus

Sebastian Schröder

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich 1681 die Kunde in der ganzen evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Holzhausen (heute Teil der Stadt Preußisch Oldendorf) in der damals kurbrandenburgischen Grafschaft Ravensberg: Der Pfarrer Daniel Lübbersen hatte seine Ehefrau Anna Catharina mit seiner Magd betrogen. Er brach damit das sechste Gebot! Umgehend ließ das Konsistorium in Bielefeld – seinerzeit die landesherrliche Aufsichtsbehörde in kirchlichen Angelegenheiten – den Fall gehörig untersuchen. Daniel Lübbersen wurde daraufhin im Pfarrhaus in Arrest gesetzt und durch vier „Schützen“ bewacht. Die beteiligte „Weibspersohn“ – also die Magd Anna Gerdraut Ellermanns – wurde von den Amtsdienern verhaftet und in der ravensbergischen Landesburg Limberg inhaftiert. Im Verhör sagte die Magd aus, sie sei 19 Jahre alt, stamme aus dem osnabrückischen Kirchspiel Buer und diene seit anderthalb Jahren im Holzhauser Pfarrhaus. Gleich mehrmals hätte der Geistliche sich mit ihr „fleischlich vermischet“ und mit ihr „Unzucht getrieben“. Das erste Mal sei sie auf dem Dachboden gewesen und habe den gedroschenen Roggen in Säcke verladen, als Lübbersen die Leiter emporgestiegen sei und sie auf das Stroh geworfen habe. „Undt ob sie sich gleich seiner erwehren wollen, wehre er ihr doch zu starck gewesen, undt [hätte] sie zur Rücke aufs Strohe nieder geworfen.“

Acht Tage danach habe Lübbersen sie in die Studierstube gebeten, damit Anna Gerdraut ihn lausen sollte. Der Pfarrer habe die Tür abgeschlossen, seine Magd auf eine hölzerne Truhe gelegt und „hette […] sie unterdeßen nach seinen Belieben an ihr Leib und Brüste, undt unter den Rock gegriffen“. Wiederum vier Wochen später habe die Ehefrau des Pfarrers die Magd ins Holzhauser Bruch geschickt, um dem dort mit der Feldarbeit beschäftigten Geistlichen und dessen Knechten Essen zu bringen. Während die Knechte die Pferde tränkten, habe sich Lübbersen abermals an der Magd „zu schaffen gehabt“. Diesmal nicht unbemerkt: Ludolph Volbert wurde Zeuge des Beischlafs, verbreitete die Nachricht im gesamten Dorf und setzte auch die lokale Obrigkeit in Kenntnis.

Eine weitere pikante Note brachte das Verhör zum Vorschein: Als nach dem Geschlechtsverkehr ihre Periode ausblieb (die Quellen sprechen von der „monatlichen Kranckheit“), suchte Anna Gerdraut Rat beim vermutlichen Vater, dem Pfarrer. Dieser habe ihr befohlen, sie solle Blätter des „Siebenbaums“ (heute auch bekannt als Sadebaum, Juniperus sabina, sowie Stink- oder Gift-Wacholder) pflücken und mit warmen Bier zu sich nehmen. Der Siebenbaum diente zu jener Zeit als Abtreibungsmittel. Dementsprechend wurde Lübbersen nicht nur des Ehebruchs bezichtigt, sondern einer noch größeren Sünde beschuldigt, nämlich die „Schwängerung zu verhindern“ und „die Frucht abzutreiben“. Die Anschuldigungen gingen noch weiter: Bereits mit seiner vorherigen Magd, Christine Rellers, habe er Geschlechtsverkehr gehabt. Ferner habe er seine Ehefrau misshandelt.

Daniel Lübbersen stritt die Vorwürfe größtenteils ab. Er gebe zwar zu, eine große Sünde begangen und gegen das sechste Gebot verstoßen zu haben. Allerdings übertreibe die Magd maßlos. Der Zeuge Ludolph Volbert könne ihn gar nicht auf dem Feld gesehen haben. Vielmehr lüge Volbert und verbreite seine Aussage aus Rache, da der Zeuge vom Pfarrer des Diebstahls angeklagt worden war. Eine Abtreibung habe Lübbersen erst recht nicht befohlen.

Das Pfarrhaus, in dem Pfarrer Lübbersen und seine Familie gewohnt haben, und die umliegenden Gebäude sind auf dieser Karte von Holzhausen aus dem Jahr 1779 gut zu sehen (Stadtarchiv Preußisch Oldendorf/Sammlung Familie von Oheimb).

Erstaunlicherweise wurde der Geistliche bei seiner Verteidigung von seiner eigenen Ehefrau unterstützt. Mit „weinenden Augen“ und „fast fußfällig, ja mit blutigen Thränen“ schrieb sie dem Konsistorium. Sie bat, man möge ihrem Mann verzeihen. Denn Lübbersen habe nicht nur sich selbst in das Unglück gestürzt, sondern „auch mich und allen in unserm endlich beflecketen Ehebette erzeugeten Kindern eine solche Flecke angehangen, welche so lange dieselbe leben und deren noch ein einzeles Bludts Tropffen übrig, nicht außzuwaschen stehet“. Würde ihr Mann verurteilt, sei der Lebensunterhalt der Familie gefährdet. Scheint es auf den ersten Blick sonderbar, weshalb gerade die Ehefrau ihren Mann derart verteidigte, so ist dieses vor allem auf die Sorge um die eigene finanzielle und persönliche Situation zurückzuführen. Ein gesellschaftlicher Neubeginn war angesichts der Vorgeschichte nahezu ausgeschlossen.

Genutzt hat das Bittschreiben der Pfarrersgattin jedoch nichts. Am 12. März 1681 verkündete das Konsistorium der Gemeinde, dass Daniel Lübbersen seines Amtes enthoben wurde. Ihm folgte Johann Jacob Cato als neuer geistlicher Hirte in Holzhausen.

Die Affäre um Pfarrer Lübbersen eröffnet einen beeindruckenden Blick in das Innere eines frühneuzeitlichen Pfarrhauses. Sie zeugt vom Zusammenleben und Zusammenarbeiten der Pfarrfamilie mit dem Gesinde und gleichzeitig davon, welche Normvorstellungen und Werte die damalige Gesellschaft vertrat – vor allem, welche sie vehement verpönte. Zudem belegt die Quelle, dass ausgerechnet ein Pfarrer Kenntnis über eine Möglichkeit der Abtreibung besaß und somit über medizinisch-pharmazeutisches Wissen verfügte.

 

[Quelle: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, Minden-Ravensberg, Konsistorium, Nr. IV, 413: Pastorat zu Holzhausen (Amt Limberg), 1665–1796.]