Das Einjährige

27.03.2020

Obwohl der einjährige Freiwilligendienst bei der Armee 1925/26 längst abgeschafft war, konnten diese Schüler der Oberrealschule Hagen mit der Bezeichnung "Einjähriges" noch etwas anfangen. Foto: Archiv für Alltagskultur in Westfalen/Peter Tell.

Das Einjährige

Christiane Cantauw

Eine aus Warendorf überlieferte „Bierzeitung der Einjährigen 1927“ im Archiv für Alltagskultur erinnert an einen fast vergessenen Begriff, der im 21. Jahrhundert nicht mehr geläufig ist. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein kann die Bezeichnung dagegen als bekannt vorausgesetzt werden. Dies ist umso erstaunlicher, als der Bedeutungszusammenhang, in dem sie ursprünglich stand, seit 1918 nicht mehr vorhanden war. Wort und Sache gingen – wie so oft in der Geschichte – getrennte Wege und auch wenn es die Sache nicht mehr gab, so erwies sich das dazugehörige Wort - nun in anderem Zusammenhang - noch viele Jahrzehnte lang als überlebensfähig. 

Ursprünglich kommt die Bezeichnung „Einjähriges“ aus dem Bereich des Militärs. Als „Einjährige“ oder „Einjährig-Freiwillige“ bezeichnete man dort diejenigen jungen Männer, die sich nach Abschluss der mittleren Reife freiwillig zum Militär­dienst gemeldet haben. Die Möglichkeit zum Einjährig-Freiwilligen Militär­dienst wurde in Preußen 1814 geschaffen. Schülern, die die Klasse 10 eines Gymnasiums oder einer kaufmännischen Realschule mit Erfolg abgeschlossen und somit die mittlere Reife erlangt hatten, wurde damit die Möglichkeit eröffnet, ihre Militärdienstzeit zu verkürzen. Die gängige Bezeichnung für diese Soldaten war „Einjährige“ oder „Einjährig-Freiwillige“.

Titelblatt der Bierzeitung der Einjährigen aus Warendorf, 1927. Foto: Archiv für Alltagskultur in Westfalen.

Ihre Ausrüstung, Verpflegung, Unterkunft und Kleidung mussten die Einjährig-Freiwilligen selbst finanzieren. Das war ein gravierender Nachteil im Vergleich zu den anderen Soldaten. Ne­ben der verkürzten Dienstzeit gab es aber durchaus weitere nicht zu unterschätzende Vorteile, die für den einjährigen freiwilligen Militärdienst sprachen: Nach­dem sie ihr Jahr beim Militär beendet hatten, wurden die Einjährigen als Reserveoffiziere eingestuft. Das war eine Position mit hohem gesellschaftlichem Ansehen. Nicht zuletzt erhöhte der einjährige Freiwilligendienst beim Militär in Kombination mit dem Schulab­schluss auch die beruflichen Aussichten für diejenigen, die es auf eine Beamten­laufbahn abgesehen hatten.

Nach dem Ende des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1918 wur­de der Militärdienst der Einjährig- Freiwilligen abgeschafft. Der Begriff "Einjähriges" war je­doch bereits in den zivilen Sprachgebrauch übergegangen und wurde nun als Synonym für die mittlere Reife weiterverwendet.

Die Zeichnungen in der Bierzeitung der Einjähri-gen aus Warendorf äußern auf lustige Weise auch Kritik an Reglementierungen durch die Lehrer. Foto: Archiv für Alltagskultur in Westfalen.

Die Bierzeitung im Archiv für Alltagskultur zeigt, dass der Schulabschluss 1927 ebenso wie heute ein besonderes Ereignis im Leben der jungen Erwachsenen war, dem sie eine sehr aufwändig gestaltete Zeitung widmeten. Ein Blick in die handschriftlich verfasste Abschlusszeitung aus Warendorf lässt darauf schließen, dass viel Arbeit und Mühe in ihr stecken. Alle Seiten sind mit selbstgezeichneten Bildern versehen. Enthalten sind Anekdoten über die Lehrer („Unsere Pauker“), humorvolle Verse zu jedem Mitschüler, Gedichte über das Schülerleben und fiktive Anzeigen nach dem Muster: „Suche Stellung als I. Vorarbeiter bei den Arbeitslosen. Prima Zeugnisse abhanden gekommen“. Dass es beim Schulabschluss auch damals schon sehr ausgelassen zuging, lassen die folgenden Zitate vermuten: „Wer niemals einen Rausch gehabt hat, wird aufgefordert, noch heute zum Wohle der Menschheit ein braver Mann zu werden“ und „Strengstens verboten ist, mit belegten Butterbrötchen oder Salzheringen zu werfen“.