Als alle Millionäre waren … Materielle Erinnerungen an das Inflationsjahr 1923

14.11.2023 Marcel Brüntrup

Andreas Eiynck

Die ungedeckten Kriegskosten für den Ersten Weltkrieg, die von den Siegern geforderten Reparationszahlungen und die Schuldenpolitik der jungen Weimarer Republik führten Anfang der 1920er-Jahre zu einer Hyperinflation ungekannten Ausmaßes, die im Herbst 1923 ihren Höhepunkt erreichte.

Um ihre hohen Ausgaben für die Kriegsschulden, die Reparationsleistungen und den Generalstreik während der Ruhrbesetzung bestreiten zu können, gab die deutsche Regierung ständig mehr Geld in Umlauf. Dieses Papiergeld war aber nicht durch einen realen Gegenwert gedeckt. Die Währung verlor rasch an Wert, während Preise und Löhne in die Höhe schossen. Bald mussten die Geldscheine mit immer mehr Nullen für Millionen und Milliarden versehen werden und am Ende wurden die vorhandenen Scheine einfach mit neuen Zahlen überdruckt.

Inflationsgeld aus dem Jahr 1923.

In der letzten Phase im Herbst 1923 wurde das Papiergeld in Bündeln gehandelt und in Wäschekörben transportiert. Wer bei der Auszahlung des Lohnes das Geld nicht gleich wieder ausgab, konnte am nächsten Tag nichts mehr dafür kaufen, so schnell verfiel der Wert der Währung.

Grundstückseigentümer und Immobilienbesitzer sowie alle, die in Sachwerte investiert hatten, konnten dabei ihren Schaden in Grenzen halten. Viele Sparer hingegen, die ihr Geld in vermeintlich sichere Kriegsanleihen und andere währungsgebundene Anlageformen investiert hatten, verloren ihre gesamten Ersparnisse. Dies traf breite Bevölkerungsschichten bis weit in den Mittelstand. Besonders betroffen waren Witwen und Waisen, deren Geld die Vormünder in angeblich mündelsichere Kriegsanleihen investiert hatten.

Für die meisten Zeitgenossen wurde die Inflation daher zu einer traumatischen Erfahrung, die sich in den Biographien und im Bewusstsein einer ganzen Generation deutlich niedergeschlagen hat. Bei vielen blieb die Erkenntnis, dass sie selber als gutgläubige Sparer alles verloren hatten, während andere ungeschoren davonkamen oder durch das Horten von Waren und Sachgütern vom Währungsschnitt von der Mark zur Rentenmark im November 1923 sogar noch profitierten.

Als Erinnerungsstücke an traurige Zeiten und als Beweismittel für spätere Generationen bewahrten viele Zeitzeugen Geldscheine aus der Inflationszeit mit Nennwerten von Millionen und Milliarden sorgsam auf. Kaum ein Nachlass der „Generation Kaiserreich“, in dem sich nicht die bunten Banknoten mit den langen Zahlenreihen finden. Sie kleben in Geschäftsberichten und Familienchroniken, liegen in Schubläden oder Zigarrenkisten einträchtig zwischen alten Fotos und Dokumenten.

Schatulle mit drei Erinnerungsmedaillen zum Inflationsjahr 1923.

Es waren aber nicht nur die alten Banknoten, die an die Inflation erinnerten. Bald kamen auch andere Souvenirs in Umlauf. Dazu gehört etwa eine weit verbreitete kleine Schatulle mit drei Medaillen, die auf der Rückseite eine verzweifelte Familie vor einem Dornenstrauch zeigen samt der Umschrift: „Des deutschen Volkes Leidensweg“.

Der Text der ersten Medaille lautet: „Am 1. Nov. 1923 kostete 1 Pfund Brot 3 Milliarden  1 Pfund Fleisch 36 Milliarden  1 Glas Bier 4 Milliarden“.

Die zweite Medaille berichtet: „Am 15. Nov. 1923 kostete 1 Pfund Brot 80 Milliarden  1 Pfund Fleisch 900 Milliarden  1 Glas Bier 52 Milliarden“.

Und auf der dritten Medaille ist eingeprägt: „Am 1. Dezember 1923 kosteten in Papiermark  1 Pfund Brot 260 Milliarden  1 Pfund Fleisch 3,2 Billionen 1 Goldmark 1 Billion“. Das unterhalb der Inschrift eingeprägte untergehende Segelschiff symbolisierte die weit verbreitete Sicht auf die deutsche Wirtschaftslage.

Irre Zahlen aus wirren Zeiten!

Verlauf der Inflation am Beispiel des Portos für eine Postkarte.

Auf einem Erinnerungsbogen („Gedenktafel“) für Briefmarkenfreunde mit dem Titel „Dokumente einer irrsinnigen Zeit“, ist die galoppierende Inflation am Beispiel des Briefportos für eine Postkarte dargestellt. Dieses betrug 1920 noch 5 Pfennige, 1922 3 Mark, im März 1923 100 Mark, um Juli 3000 Mark, Ende Oktober 2 Millionen, im November 200 Millionen und im Dezember 1922 20 Milliarden Mark.

Das von einem Briefmarken-Versandhaus in Würzburg aufgelegte Blatt gibt allerdings die Ursachen der Inflation nur unvollständig wieder, indem es behauptet: „Veranlasst durch Friedensvertrag und Ruhrbesetzung“. Und es mahnt: „Gedenkt dieser Zeit von Kind zu Kindeskind!“.

Neben solchen seriell produzierten Erinnerungsartikeln sind auch sehr individuelle Erinnerungsstücke an das Inflationsjahr 1923 überliefert.

Hausinschrift, Kreuzviertel Münster (Foto: Cantauw/LWL).

Eine bekannte Hausinschrift zur Erinnerung an das Inflationsjahr 1923 befindet sich in Münster im Kreuzviertel am Haus Raesfeldstraße 5, einem Wohnhaus im neoklassizistischen Baustil. Die oberhalb der Haustür in der ersten Etage angebrachte Inschrift lautet: „Als am 25. November 1923 dieses Haus im Rohbau fertig war, kostete 1 Dollar 4,21 Billionen Papiermark.“ Es ist rückblickend kaum vorstellbar, wie unter den Bedingungen der Hyperinflation der Bau eines Hauses überhaupt organisiert und vor allem abgerechnet werden konnte.

Führerscheingebühr im November 1923 von 25 Milliarden Mark.

Doch auch humorvolle Erinnerungsstücke sind überliefert. Der Lingener Schlachtermeister Theodor Körner, Jahrgang 1888, legte am 29. Oktober 1923 die Prüfung für seine Fahrerlaubnis ab, was ihm am 19. November in Form eines Führerscheins amtlich bescheinigt wurde. Die dafür notwenige „Stempelgebühr“, zahlbar an das Finanzamt Lingen, zahlte Körner am 24. November 1923 ein. Die Summe betrug satte 25 Milliarden Papiermark. Dieses dürfte wohl der teuerste Führerschein aller Zeiten in Lingen gewesen sein.

Es ist allerdings nicht unwahrscheinlich, dass der für seinen Humor bekannte Schlachtermeister die Summe absichtlich erst an diesem Tag bezahlte, um den Milliardenbetrag vom Finanzamt testiert zu bekommen. Und auch, dass dieser Führerschein in der Familie Körner hundert Jahre lang aufbewahrt wurde, dürfte in erste Linie mit der Milliardensumme zusammenhängen.

Neben die Papiermark war am 15. November als offizielles Zahlungsmittel die Rentenmark getreten. Im Oktober 1924 erfolgte dann der Wechsel zur Reichsmark und die alte Währung wurde abgeschafft. Die alten Geldscheine mit den Millionen- und Milliardenwerten waren mittlerweile so wertlos geworden, dass sich ihr Umtausch in das neue Geld nicht mehr lohnte.