Die Sorgen der Müller. Zur Geschichte der Hollweder Mühle im 18. Jahrhundert

17.11.2023 Marcel Brüntrup

Sebastian Schröder

Mühlen zur Herstellung von Mehl waren in der Frühen Neuzeit äußerst wichtige Anlagen, stellten sie doch die Ernährungssicherheit in Stadt und Land sicher. Überdies versprachen sich ihre Betreiber von ihnen hohe Verdienstmöglichkeiten. Folgerichtig befassten sich deswegen auch die preußischen Kriegs- und Domänenkammern mit Wind-, Wasser-, Ross- und Schiffmühlen. Im Folgenden soll am Beispiel der Hollweder Mühle dargestellt werden, welches Potenzial die Akten der Kriegs- und Domänenkammer zur Erforschung des Mühlenwesens bieten.

Auf dieser Karte aus der Mitte des 17. Jahrhunderts ist nördlich der „Baurschaff Mehne“ (heute Levern-Niedermehnen) der Standort einer Wassermühle verzeichnet, die von der Aue betrieben wurde: „Mühlen-Hollwede“ – im 18. Jahrhundert sollte der preußische König in deren Nähe eine hölzerne Bockwindmühle errichten lassen (LAV NRW W, U 102, Nr. 7499).

Ursprünglich wurde diese Mahlanlage in der Ortschaft Westrup (heute Gemeinde Stemwede im Kreis Minden-Lübbecke) errichtet. Einen Nachfolgebau translozierte man in den 1960er-Jahren in das LWL-Freilichtmuseum Hagen.

Die Bauerschaft Westrup war im 18. Jahrhundert Teil des Kirchspiels Wehdem, das zum mindischen Amt Rahden und somit zum preußischen Herrschaftskomplex zählte. Als der Landesherr im Jahr 1702 das dortige Mühlenwesen untersuchte, existierten im gesamten Amtsgebiet lediglich eine Wind- sowie eine Rossmühle unter territorialer Hoheit. Alle anderen Mahlanlagen gehörten dem Adel, geistlichen Institutionen oder Bauern. Vor allem der seit 1713 regierende preußische König Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) erhoffte sich von den Mühlen lukrative Einnahmen; er witterte „fette Beute“. Der Monarch bemühte sich deshalb, alle Mahlstätten unter seine Kontrolle zu bringen. Fortan sollten alle leibfreien Untertanen ihr Getreide ausschließlich in königlichen Mühlen mahlen lassen, wozu sie in Bezirke eingeteilt wurden. Die landesherrlichen Beamten ließen daraufhin im gesamten Fürstentum Minden sowie in den übrigen preußischen Teilen Westfalens Mahlanlagen errichten. Im Kirchspiel Wehdem entstanden zwei hölzerne Bockwindmühlen, in Hartenfeld und Hollwede. Der König verpachtete sie an den örtlichen Amtmann, der seinerseits einen Müller oder Knecht bestellte. Zur Hollweder Mühlen mussten 197 Personen aus der Bauerschaft Westrup sowie 139 Eingesessene des Wehdemer Ortsteils Mesenkamp ihr Getreide bringen.

Ab den 1760er-Jahren mehrte sich allerdings Kritik an diesem Vorgehen. Seitens der Obrigkeit war man ernüchtert hinsichtlich des erwarteten wirtschaftlichen Nutzens: Die Bauwerke mussten regelmäßig kostenintensiv gewartet werden. Aber auch die Mahlgenossen waren nicht zufrieden. Sie beschwerten sich über korrupte Müller oder ließen ihr Getreide widerrechtlich in privaten Mühlen verarbeiten. König Friedrich II (1712–1786) verkaufte seine königlichen Mahlbetriebe daher in Erbpacht. An der Hollweder Bockwindmühle zeigte jedoch zunächst niemand Interesse, da „diese Mühle schlecht gelegen“ sei, wie der Rahdener Amtmann bemerkte. Schließlich erklärte sich der Müller Johann Wilhelm Schaaff im Jahr 1771 doch bereit, die Anlage für 65 Reichstaler zu erwerben; dieser Betrag lag weit unterhalb des veranschlagten Wertes in Höhe von über 550 Reichstalern. Dennoch genehmigte der Preußenkönig das Vorhaben. Neben der Erbkaufsumme hatte Schaaff eine jährliche Pacht über 121 Reichstaler zu entrichten.

Schon wenige Monate nach der Besitznahme wandte sich der neue Eigentümer an die landesherrlichen Beamten der Kriegs- und Domänenkammer in Minden. Seine Bockwindmühle sei „die allerbaufälligste“ im gesamten Umland, unter anderem weise das Dach Löcher auf. Außerdem hätten die Bauern auf den anliegenden Grundstücken Bäume angepflanzt, die der Mühle den Wind nähmen. Deshalb plante Schaaff, die gesamte Anlage umzusetzen: Ins Auge gefasst hatte er ein Grundstück in der Westruper Heide, ungefähr „eine halbe Viertelstunde“ Fußmarsch vom bisherigen Standort entfernt. Die Westruper Landwirte wehrten sich aber gegen das Vorhaben, da sie den Bauplatz als dringend benötigte Viehweide angeblich nicht entbehren könnten. Darüber hinaus kämpfte Schaaff mit einem weiteren Problem: Er lebte in der bei der Bockwindmühle befindlichen Rossmühle; ein eigenes Müllerwohnhaus existierte nicht. Die Kriegs- und Domänenkammer war in dieser Hinsicht einsichtig und genehmigte 1772 die Errichtung eines solchen Gebäudes.

Ein Blick in die Akte: Verzweifelt schrieb der Müller Carl Ludwig Schaaff im Mai 1789 an die Kriegs- und Domänenräte in Minden. Ihm drohe angesichts seiner angespannten wirtschaftlichen Lage der „völlige Ruin“ (LAV NRW W, D 607, Nr. 2251, fol. 81v–82r).

Spätestens in den 1780er-Jahren übernahm Carl Ludwig Schaaff die Mühle seines Vaters. Auch ihn belasteten finanzielle Sorgen und Zukunftsängste: In der Gegend um Westrup könne nur „schlechtes Korn“ angebaut werden, viele Menschen würden sogar Brot aus Kartoffeln backen und demnach kein Mehl benötigen, ferner mangele es an Wind. Einige Mahlgäste hätten sich außerdem händisch betriebene Mühlen („Handqueren“) angeschafft. Sofern der Landesherr die Pacht nicht verringere, drohe sein „völliger Ruin“, verzweifelte der Müller. Die Kriegs- und Domänenräte in Minden beharrten allerdings unerbittlich auf der Zahlung. Sie verboten den Landwirten lediglich, Gehölze in unmittelbarer Nähe der Bockwindmühle zu pflanzen.

Offensichtlich ließ sich Schaaff trotzdem nicht entmutigen. 1805 legte er neben der vorhandenen Vorrichtung zum Mahlen von Roggen einen Weizen- und Graupengang an. Doch erst das 19. Jahrhundert mit seinen bahnbrechenden industriellen und gesellschaftlichen Veränderungen sorgte auch im Mühlenwesen für richtungweisende Neuerungen: Die Müller kamen etwa in den Genuss der Gewerbefreiheit. Nunmehr konnte ein langgehegter Plan verwirklicht werden: Die Hollweder Windmühle wechselte ihren Standort; ab 1848 drehten sich ihre Flügel auf der Westruper Dillenhöhe. Im Laufe der Zeit wandelte sich zudem ihr Aussehen stark: Aus der hölzernen Bockwindmühle wurde ein Galerieholländer; eine Dampfmaschine sorgte für genügend Kraft bei Windstille und trieb unter anderem ein Sägegatter an – aber das ist nochmal ein eigenes Kapitel der überaus vielseitigen und bewegten Geschichte der Westruper Mühle.

Ohnehin dürfte anhand der Überlieferung der Mindener Kriegs- und Domänenkammer deutlich geworden sein, wie stark sich bereits im 18. Jahrhundert das Mühlenwesen gewandelt hatte. Darüber hinaus berichten die Akten von den alltäglichen Nöten und Sorgen der Müller und bieten somit tiefe Einblicke in das Leben der ländlichen Bevölkerung.

Quelle: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 2251: Erblicher Verkauf der Hollweder Mühle (Amt Rahden, Vogtei Rahden), 1771–1801.

Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:

Ein Dickicht voller Alltagskultur: Die preußischen Kriegs- und Domänenkammern in Westfalen im 18. Jahrhundert

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