„If God is a DJ, life is a dance floor“. Das rock'n'popmuseum Gronau stellt „Disco“ aus

21.11.2023 Niklas Regenbrecht

Dana und Dennis auf der Tanzfläche mit Amanda Lear.

Timo Luks

Im Gronauer rock'n'popmuseum ist noch bis Jahresende – und danach an weiteren Standorten, etwa in Bocholt – eine Sonderausstellung zu besuchen, die sich der Discokultur widmet. Als (Gast-)Kurator:innen zeichnen Annette Hartmann und Martin Lücke verantwortlich. Die Ausstellung führt Besucher:innen durch eine fiktive Disco und nutzt die mit einem Tanzlokal verbundenen Funktionsräume – von Einlass und Kasse über Garderobe und Bar zur Tanzfläche und zum WC – als Leitfaden. Thematisch bedeutet das, es geht an der Kasse um das Geschäftsmodell von Discotheken, an der Garderobe um Mode und Styling, an der Bar und auf der Tanzfläche um die Kernbereiche des Entertainments, aber auch um die technische Seite des Musikauflegens. (Ausführungen zum Farbprofil und Storytelling der Ausstellung, die die Illusion einer einzigen Discothek unterstützen sollen, finden sich im Begleitband.)

Bereits an der Kasse lernen die Besucher:innen Dana und Dennis, zwei vom Comic-Künstler Tobi Dahmen gestaltete Figuren, kennen, die sich ihrerseits an der Kasse kennenlernen und von Themenraum zu Themenraum näherkommen. Die beiden sind in einem Stil gezeichnet, der mit einem gewissen Retrocharme nicht unbedingt an zeitgenössische Clubkultur erinnert. Das passt zu einer Ausstellung, die – so jedenfalls mein Eindruck – in leichter Ironie eine Portion Nostalgie versprüht. Sie tut das aber in einer Weise, die Besucher:innen dazu anregt, auch über die eigene nostalgische Besetzung des Themas „Disco“ nachzudenken.

Ob Gott nun ein DJ ist, darüber mag man streiten. Dass er Schwarz und womöglich auch eher eine Frau ist, scheint aus Discoperspektive klar zu sein. Die Gronauer Ausstellung präsentiert den US-amerikanischen Musiker, Komponisten und Produzenten Nile Rodgers sowie die Sängerin Donna Summer als wahrscheinlichste Kandidat:innen. Die Geschichte von Disco als Musikrichtung ist nicht zu trennen von ihren italoamerikanischen, hispanischen, lateinamerikanischen oder Schwarzen Wurzeln. Immer wieder kreuzte sich diese Geschichte mit einer „ethnischen Befreiungsbewegung“ (Anita Jóri). Selbst- und Stilbewusstsein waren in diesem Kontext oft genug politisch.

Tanzen mit dem „Sex Guru“.

Die Gronauer Ausstellung zeigt aber auch, wie sich das schrittweise verschob: In den USA wurde das Phänomen Disco parallel zum zunehmenden kommerziellen Erfolg „weißer“. In der Bundesrepublik wurde aus einer selbst- und stilbewussten Blackness eine Ansammlung von Exotismen, das heißt eine bewusst betriebene Exotisierung von Künstler:innen. Das wiederum bezog sich ebenso auf Hautfarbe und „race“ wie auf Geschlecht: Boney M. meets Amanda Lear. Wollte man den Exotismus des bundesdeutschen Discodiskurses auf den Punkt bringen, es böte sich ein Artikel aus dem Express an, der in Gronau als Reproduktion präsentiert wird: Im Jahr 2016 erinnerte das Boulevardblatt seine Leser:innen daran, wie einst ein „Sex-Guru“ der Karnevalshochburg am Rhein eine „Bhagwan-Disco“ brachte.

Im Zentrum der Ausstellung steht die Hochphase der Discokultur. Allerdings geht das Gezeigte zeitlich darüber hinaus und präsentiert verschiedene Entwicklungen und vor allem auch Brüche: Deutlich wird zum Beispiel, dass frühe Etablissements für die Reichen und Privilegierten an der Côte d'Azur und anderen Treffpunkten des internationalen Jetsets mit jener Discowelle der langen 1970er Jahre, die Saturday Night Fever im kollektiven Gedächtnis verankert hat, nur wenig gemein haben. Ebenso verhält es sich mit der DJ- und Clubkultur der Gegenwart, die ebenfalls Thema der Ausstellung ist. In historischer Perspektive wird erkennbar, dass sich hinter dem Phänomen des kommerziell betriebenen Tanzlokals ganz unterschiedliche Dinge verbergen. Die Assoziationen und gängigen Bilder zum Thema Disco verweisen freilich alle in erster Linie auf einen bestimmten Ausschnitt dieser Geschichte.

Die eng gebaute Ausstellung vermittelt ein intensives Discoerlebnis mit spannenden und überraschenden Einblicken. Als Rundgang mit aufeinander folgenden Stationen konzipiert, ermöglicht sie auch ein eher sprunghaftes Entdecken; ganz so, wie man beim Discobesuch vielleicht an der Bar merkt, dass man etwas in der Jacke vergessen hat und noch einmal zurück zur Garderobe geht, oder beim Weg zur Toilette jemanden auf der Tanzfläche entdeckt, den man unbedingt erst noch begrüßen will. Der – räumlich bedingte – kompakte Aufbau hat aber auch einen Nachteil: Die Abstimmung mit dem Audioguide ist in einigen Bereichen nicht optimal. Manchmal reicht ein kleiner Tanzschritt, um unvermittelt die Informationen zu Exponaten auf dem Kopfhörer zu empfangen, die man sich überhaupt nicht anschaut – und dann muss man sich drehen und wenden, bis die gewünschten Informationen zu hören sind. Das mag der Klangrealität beim Clubbesuch entsprechen, ist für eine Ausstellung dann aber doch nicht ganz ideal.