Ein Dickicht voller Alltagskultur: Die preußischen Kriegs- und Domänenkammern in Westfalen im 18. Jahrhundert

21.02.2023 Niklas Regenbrecht

König Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) bestieg 1713 den preußischen Königsthron. 1723 rief er die Kriegs- und Domänenkammern ins Leben. Gemälde von Antoine Pesne, um 1733, gemeinfrei.

Sebastian Schröder

2023 jährt sich die Gründung der preußischen Kriegs- und Domänenkammern zum 300. Mal. Zu Jahresbeginn 1723 ordnete König Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) die Bildung dieser Verwaltungsinstanz an.

Nun, bestimmt können sich die meisten spannendere Dinge vorstellen als Verwaltungsgeschichte. Überhaupt mag man fragen: Ein Thema für die Alltagsgeschichte? Die Antwort lautet jedoch: Auf jeden Fall! Ohnehin ist Verwaltungsgeschichte gar nicht so langweilig, wie gemeinhin angenommen wird. Mehr noch: Wer einen Blick auf die Genese und in die Historie von Behörden und deren Registraturen wagt, der erhält erstaunliche, überraschende, spannende und teils sogar belustigende Einblicke. Und wer sich für Leben und Alltag heutiger und vergangener Epochen und Kulturen interessiert, der wird nicht umhinkommen, Verwaltungsunterlagen zur Hand zu nehmen, diese zu untersuchen und zwischen ihren Zeilen zu lesen. Grund genug also, anlässlich des Jubiläums zurückzuschauen.

Unmittelbar nach seinem Herrschaftsantritt im Jahr 1713 begann der junge König Friedrich Wilhelm I. mit umfassenden Reformen. Diese betrafen zum einen das Steuer- und Städtewesen, zum anderen das Schul-, Mühlen- und Justizwesen, um nur einige Beispiele zu nennen. Eine weitreichende Umgestaltung erfuhr des Weiteren die Behördenstruktur. So schuf der Monarch 1723 die Kriegs- und Domänenkammern. Sie waren als Provinzial- oder Mittelbehörden direkt gegenüber dem Generaldirektorium in Berlin als oberster und zentraler preußischer Administration weisungsgebunden. Der Preußenherrscher bezweckte mit diesem Schritt unter anderem die Zurückdrängung der regionalen Eliten, eine Stärkung der preußischen Infrastruktur und eine Steigerung der Steuereinnahmen.

Ein Blick in die Archivbestände der Kriegs- und Domänenkammern verdeutlicht deren Tätigkeit. Ihr waren Gewerbe und Handwerk, Handel, Ordnungspolizei und Gesundheitswesen, Schul- und Kirchenwesen, die Erhebung von Steuern und Zöllen sowie die Kontrolle der Landwirtschaft zugeordnet. Zudem waren die Räte dieser Kammern angehalten, Statistiken über die Beschaffenheit des Landes zu führen und Daten zu sammeln. Ferner wachten die Beamten über die Abhaltung von Jahrmärkten, die Durchführung des Lotteriewesens, die Einhaltung der Maße und Gewichte sowie die Organisation der Schifffahrt. Und sie beaufsichtigten das staatliche Bauwesen, worunter Schul- und Kirchenbauten, Wege und Brücken fielen. Auch der Abbau von Bodenschätzen und die Anlage von Bergwerken unterstand der Aufsicht durch die Kriegs- und Domänenkammern. Schließlich sei auf die Verwaltung und Verpachtung der Domänen, also der landesherrlichen Eigenbesitzungen, sowie die Organisation des Forstwesens verwiesen. In diesem Zusammenhang muss außerdem die Kontrolle des Markenwesens und vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Zuständigkeit für die Teilung der gemeinen Marken genannt werden.

Einblick in das Magazin des Landesarchivs Nordrhein Westfalen, Abteilung Westfalen mit den Unterlagen der Kriegs- und Domänenkammer Minden (Foto: Landesarchiv NRW).

Schon diese knappe Übersicht dürfte gezeigt haben, wie umfassend die Kompetenzen der bei den Kammern tätigen Beamten waren. Folglich stellen die Registraturen und überlieferten Archivbestände für Alltagskulturforscherinnen und -forscher eine geradezu unerschöpfliche Fundgrube dar. Wer sich mit dem Preußen des 18. Jahrhunderts beschäftigt, wird auf viele seiner Fragen Antworten oder zumindest Hinweise in den Schriftstücken der Kriegs- und Domänenräte finden. Für das 18. Jahrhundert lassen sich wohl kaum Aktenkonvolute aufspüren, die facettenreicher Alltag und Leben in Stadt und Land schildern.

Im Rahmen einer kleinen Reihe soll in diesem Jahr in jedem Monat ein Thema aus den Beständen der Kriegs- und Domänenkammern näher betrachtet werden. Dabei steht die Kriegs- und Domänenkammer Minden im Mittelpunkt. Sie war die Territorialbehörde für das Fürstentum Minden sowie die Grafschaften Ravensberg, Tecklenburg und Lingen, wobei die beiden letztgenannten Länder zeitweilig eine eigenständige Verwaltung besaßen. Die Mindener Kammerüberlieferung wird heutzutage im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, verwahrt. Der gesamte Bestand liegt digitalisiert vor. Gleiches gilt übrigens auch für die Akten der Kammerdeputation für die Grafschaften Tecklenburg und Lingen. Insofern bieten sich beste Forschungsmöglichkeiten, um sich auf die Spur des Alltags im 18. Jahrhundert zu begeben. Die Blog-Beiträge sollen zeigen, welches Potenzial in den Quellen steckt und mögliche Ansätze zu deren Erforschung aufweisen. Aufgrund der schier überwältigenden Masse des Materials können jedoch lediglich Schneisen durch das Dickicht der Überlieferung geschlagen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Forschung zukünftig auch fernab dieser skizzierten Linien weitere Pfade beschreitet.