Der Sagenweg in Raesfeld

21.10.2022 Peter Herschlein

Eine Station des Sagenweges am Eingang zum Schloss

Andreas Eiynck

Unter dem Motto „Raesfeld – einfach sagenhaft“ richtete die Gemeinde Raesfeld im Jahr 2010 einen „Sagenweg“ ein, der auf Schautafeln im Freien die Sagenwelt des Dorfes, des Schlosses und der Bauerschaften vorstellt. Die Route führt vom Ortskern zum bekannten Wasserschloss Raesfeld, der heutigen Akademie des Handwerks. Zehn Jahre nach der Eröffnung wurde der Weg erneuert und zu einem „Kunst- und Sagenweg“ erweitert. Zu den Stationen entlang des Hauptweges im Ort kommen noch einige Außenstationen an sagenhaften Stätten in der freien Landschaft, z.B. in der Bauerschaft Homer. Insgesamt werden 13 Sagen in Text und Bild vorgestellt.

Es ist erstaunlich, wie viele Sagen mit der relativ kleinen Gemeinde im Münsterland verbunden sind. Dies ist nicht zuletzt einigen rätselhaften Vorgängen in der Geschichte des Schlosses und der untergegangenen Burgstelle Kretier zu verdanken, die wohl den Anlass zu populären Deutungen und Überlieferungen gaben.

Dokumentiert wurden die meisten Sagen und Erzählungen von Lehrer Hermann Büscher, der sie 1930 in seinem Buch „Bramgau-Sagen“ veröffentlichte. Sprachlich hat er die Überlieferungen stark überarbeitet, die plattdeutsche Originalsprache in das Hochdeutsche übersetzt und die Erzählungen teilweise auch in Balladenfom wiedergegeben.

Im Tiergarten von Schloss Raesfeld

Die Geschichten berichten von Hühnern und „Homännchen“, die Grenzsteine versetzt haben und dafür nach ihrem Tod keine Ruhe finden. Am Ort des Betrugs müssen sie nachts umherlaufen und „hoho“ rufen.Die sagen erzählen vom Wilden Jäger und von Wiedergängern, von „Spinnwiefken“ und vom Hund mit den glühenden Augen - allesamt bekannte Sagenmotive aus dem nordwestdeutschen Raum. Bei den historischen Sagen kommen viele Schlossbewohner vor und natürlich darf auch Fürstbischof Bernhard von Galen (1606 – 1678) hier nicht fehlen.

Ortsspezifischen Anklang haben etwa die Geschichten vom Weinbergteich im Tiergarten des Raesfelder Schlosses oder dem unterirdischen Gang, der vom Schloss bis in den Ortsteil Erle führen soll. Doch von solchen unterirdischen Gängen wird auch an vielen westfälischen Wasserburgen und Gräftenhöfen im Münsterland berichtet. Nur entdeckt hat sie noch keiner.

Für den Sagenweg mussten die überlieferten Geschichten auf ein einheitliches Info-Tafelformat gekürzt werden und erhielten dabei auch eine sprachliche Überarbeitung. Zur Illustration dienen aktuelle Holzschnitte nach historischen Motiven.

Blick auf das Schloss Raesfeld

Ein weithin bekanntes und auch von Hermann Büscher aufgezeichnetes Sagenmotiv ist die Geschichte vom Wilden Jäger, dem die Jagd über alles andere geht. Sie sei an dieser Stelle noch einmal wiedergegeben:

„Der wilde Jäger im Lanzenhagen

Vor vielen Jahren lebte in der Nähe des Schlosses Raesfeld ein alter Bauer. Dieser hatte nur einen Sohn, dessen größte Leidenschaft die Jagd war. Tag und Nacht lag er draußen in Feld und Wald und ließ den alten Vater die schwere Arbeit in Feld und Haus allein verrichten. Alle Ermahnungen des Vaters an den Sohn, sein Tun aufzugeben und ein rechtschaffener Bauer zu werden, waren vergebens, der Sohn frönte dem Weidwerk weiter.

Da wurde der alte Mann schwer krank. Er ließ seinen Sohn an das Sterbelager rufen, um ihm noch einmal Vorhaltungen über sein Treiben zu machen. Aber der Sohn kam nicht, er nahm sein Gewehr und zog hinaus auf die Jagd. Da wurde der Alte zornig, verfluchte seinen Sohn und sprach: „So jage denn bis zum jüngsten Tag!“ Darauf starb der Bauer.

Von dieser Zeit an irrt der Sohn im Lanzenhagen umher, noch häufig hallen die Wälder wider von der wilden Jagd und vom Hundegebell.“

Schloss Raesfeld im Nebel

Nicht alle 13 Sagen stammen aus dem Buch von Hermann Büscher. Als Kostprobe daher noch eine von Hermann Kuhlmann aus Erle aufgezeichnete Sage:

„Der Wiedergänger in Raesfeld

Zu seinen Lebenzeiten war ein Bauer aus Raesfeld habgierig und raffsüchtig. Unrechtmäßig machte er Gebrauch von einem Acker, der einem Nachbarn gehörte. Übermäßig hing er an fremdem Besitztum. Als er krank wurde, besuchte ihn der Pfarrer von Raesfeld. Der Zuspruch des Pfarrers hatte die Wirkung, dass der Bauer sich bereit erklärte, ein Schriftstück zu unterschreiben, das die Rückgabe des Ackers endgültig gemacht hätte.

Als der Pfarrer das Haus verlassen hatte, änderte der Bauer noch auf dem Sterbebett seinen Entschluss, und den Leuten im Haus sagte er immer wieder: „Kinder, haltet fest an dem Acker, ich will sehen, dass ich damit fertig werde und weiterkommen!“ Darüber ist er gestorben.

Als er beerdigt worden war und Begräbnisteilnehmer das Trauerhaus besuchten, sahen sie den soeben bestatteten Großvater am Herd sitzen, mit dem Eisen das Feuer schüren und dabei eine schwarze Pfeife rauchen. Von dem Orte, wo er gearbeitet, gesorgt und habgierig dem Nachbarn das Grundstück vorenthalten hatte, konnte der alte Mann nicht loskommen. Zeitlebens war er unehrlich gewesen, und jetzt musst er ruhelos umherwandern und für einen Frevel büßen.

Zuweilen kam der Tote nur bis zur Tennentür und reichte dann rotglühende Briefe über den unteren Teil des Tores. Aber die Bewohner des Hauses nahmen die Briefe nicht an. Kein Mensch konnte die Nachbarschaft des alten Wiedergängers lange ertragen. Man dachte nicht daran, ihn zu erlösen. Da musste er in der Schlossfreiheit zu Raesfeld umgehen, bald als Kuh, bald als Kalb. Schließlich verbannten ihn Mönche weit von den Menschen in einsame Gruben und Büsche des Moores.“

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