Telemach auf der Gräfteninsel

18.08.2020 Kathrin Schulte

Bildtapete im Museum des KULT in Vreden. Foto: Andreas Eiynck.

Telemach auf der Gräfteninsel

Eine französische Bildtapete auf einem Münsterländer Bauernhof

Andreas Eiynck

 

Der Gräftenhof Schulze Lohoff in Laer, so kann man mit Fug und Recht behaupten, ist einer der ältesten, größten und schönsten Bauernhöfe im Münsterland. Doch nicht um die großzügige Gräftenanlage, den Speicher von 1495 oder das Bauernhaus von 1574 soll es hier gehen, sondern um Ereignisse auf dem Hof in einer Zeit des Umbruchs in den Jahrzehnten um 1800, als das Münsterland französisch und die leibeigenen Bauern freie Leute wurden.

Die damalige Hoferbin Maria Elisabeth Schulze Lohoff (1744-1808) heiratete 1777 standesgemäß den 11 Jahre jüngeren Johann Wilhelm Höping (1755-1816), der den Namen Schulze Lohoff annahm. Unter diesem Ehepaar wurden verschiedene Umbauten am Hause vorgenommen. Die Vorfahren Höpings stammten in direkter Linie vom Hof Schulze Lohoff. Vermutlich handelte es sich um eine „Zweckehe“, die eine Hofnachfolge innerhalb der Verwandtschaft sichern sollte. Als die Ehefrau 1808 starb, war jedenfalls kein Stammhalter in Sicht.

Noch im gleichen Jahr schritt Johann Wilhelm Höping zu einer zweiten Ehe mit der immerhin dreißig Jahre jüngeren Maria Anna Loysing (1785-1855). Sechs Jahre darauf, Höping war nun bereits 59 Jahre alt, stellt sich 1814 mit Johann Franz Schulze Lohoff der Stammhalter ein. Der Vater starb jedoch schon zwei Jahre später und der Hof stand ohne Bauer dar.

Bildtapete im Museum des KULT in Vreden. Foto: Andreas Eiynck.
Im Obergeschoss des alten Bauernhauses hinter dem Fachwerkgiebel war die Bildtapete eingebaut. Foto: Andreas Eiynck.

Mittlerweile hatte Napoleon die Bauernbefreiung auch im Münsterland verkündet und der bisherige Grundherr des Schulzen Lohoff, das Kloster Nottuln, wurde 1811 aufgelöst. Die Witwe Schulze Lohoff war nun in jeder Hinsicht eine freie Bäuerin und musste niemanden mehr danach fragen, wen sie heirateten dürfe, und ein möglicher Heiratskandidat brauchte auch keinen „Freibrief“ mehr, um sich damit gleich wieder in die Leibeigenschaft des Klosters zu begeben.

So trat Maria Anna geborene Loysing, verheiratete Höping, genannt Schulze Lohoff, in eine zweite Verbindung ein mit Johann Wilhelm Wallney, der aus Rellinghausen bei Essen stammte. Wie es zu dieser Verbindung kam, ist unbekannt. Die Ära dieser Hofbesitzer endete, als kurz nach 1830 der herangewachsene Sohn aus erster Ehe den Hof übernahm. Wallney hatte sich mittlerweile in Laer offenbar gut etabliert, denn seine Tochter Maria Sophia (1830-1880) heiratete sich 1856 auf den Schulzenhof Welling im Dorf ein.

Wallney brachte offenbar frischen Wind auf den alten Schulzenhof Lohoff, denn in seiner Zeit wurde die Hofanlage großzügig umgestaltet. 1818 erfolgte der Umbau des Speichers und auch die aufwendig gestalteten früheren Torpfeiler dürften aus seiner Zeit stammen. Im Dachgeschoss des Hauses, wo bis dahin nur Heu und Stroh lagerten, ließen Wallney und seine Frau einen großen Saal einbauen und dort wurde eine 1823 in Paris gedruckte Bildtapete mit Szenen aus „Telemach auf der Insel der Calypso“ angebracht.

Die Bildtapete stammt aus der bekannten Pariser Werkstatt Dufour& Jeroy. Sie zeigt die Geschichte des Telemach nach dem Roman von Fenelon, der 1695 den Erzählstoff aus der griechischen Mythologie literarisch bearbeitete. Dass der kapitalismuskritische Inhalt dieser utopischen Geschichte, in der Besitz und alle ständischen Schranken aufgehoben sind, ausgerechnet auf einem Schulzenhoff programmatisch an die Wand kam, darf wohl bezweifelt werden. Es war eben nur eine Tapete. Das Motiv zeigt aber doch, dass die Ideen und die Geistesgeschichte der Aufklärung (und dazu zählte auch die Bauernbefreiung) an der Landbevölkerung im Münsterland nicht ganz vorbei gingen. Jedenfalls an jenen Schichten, denen die Aufhebung der Leibeigenschaft handfeste Vorteile brachte. Und dazu zählten ganz sicher auch die Witwe Schulze Lohoff und ihr neue Ehemann Johann Wilhelm Walley.

Bildtapete im Museum des KULT in Vreden. Foto: Andreas Eiynck.

Die Tapete gelangte 1974 in das Vredener Hamalandmuseum. Doch beim Erwerb ging nach Meinung einiger Beteiligter nicht alles mit rechten Dingen zu. Man stritt – wie könnte es anders sein – um Besitz, Stand und Gemeinnutz. Und da hatte jeder so seine eigene Sichtweise. Auf dem Hof wohnte damals nicht der Bauer Schulze Lohoff selber, sondern seine beiden unverheirateten Schwestern. Die Familie war zerstritten – darüber sprach das ganze Münsterland. Jedenfalls verschenkten die Schwestern die Tapete kurzerhand an das Museum, angeblich um sie – so geht es aus ihren Schilderungen hervor – vor einer willkürlichen Zerstörung durch ihren Bruder zu retten. Der Erhaltungszustand der Tapete wurde von den Schwestern als sehr schlecht angegeben, wobei der große Restaurierungsaufwand möglichweise auch der eiligst getätigten Demontage geschuldet war.

Die wahren Besitzverhältnisse auf dem Hof blieben dem Museum zunächst so lange unbekannt, bis der Hofbesitzer 1981 telefonisch bei der Kulturabteilung des Kreises Borken die mittlerweile restaurierte Tapete als sein Eigentum anmeldete. Der Sachverhalt und der Verbleib dieses kulturellen Schatzes im Hamalandmuseum wurden schließlich einvernehmlich zwischen dem Grundstückeigentümer des Hofes Schulze Lohoff sowie dem Oberkreisdirektor Raimund Pingel, seinem Kulturamtsleiter Günter Inhester und dem damaligen Museumsleiter Wilhelm Elling geklärt.

Mittlerweile bildet die französische Bildtapete von einem Münsterländer Schulzenhof nach einer erneuten Restaurierung eines der Glanzstücke im Museum des „KULT“ in Vreden.

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Schlagworte: Andreas Eiynck · Neuzeit