Die Tatsache, dass die Fotografien stets im (halben oder ganzen) Dutzend produziert wurden, prädestinierte sie geradezu zum Verschenken. Entsprechend finden sich in den Alben (Ganzkörper-)Portraits oder Kniestücke von Familienmitgliedern, Verwandten, Freundeskreis und Bekannten ebenso versammelt wie Aufnahmen bekannter Persönlichkeiten. Letztere sind allerdings in den drei Alben aus dem Alltagskulturarchiv nicht vertreten, dafür aber Aufnahmen, die man von fernen Verwandten und Bekannten aus St. Louis, Bingham (Memphis), Berlin, Hamburg oder Düsseldorf erhalten hatte.
Vielfach nutzten Berufsfotografen Atelierhintergründe und Requisiten, um den Fotografien eine bestimmte Anmutung zu geben. Portraits wurden meist schräg von vorn aufgenommen; oft stützen die Portraitierten einen Arm auf einem Tisch oder Stuhl ab. Teppiche, Felle, Säulen und Vorhänge sollten ein wohnliches und großbürgerliches Ambiente schaffen. Da Posen und Requisiten für Wohlhabende und weniger Wohlhabende gleichermaßen Verwendung fanden, erwiesen sich die Visitfotografien als ein Instrument der visuellen Angleichung unterschiedlicher Milieus. Im Central-Volksblatt für den Regierungsbezirk Arnsberg hieß es dazu in einem 1868 verfassten Artikel zum Thema „Photographien“: „Nun kommt der Photograph, bringt uns in die richtige Stellung (welche, um Mühe zu sparen, neunmal von zehnmal genau die unseres Vorgängers ist) und heißt uns fest auf einen bestimmten Punkt an der Wand zu blicken.“ (27.5.1868)
Wie die Carte de Visite-Fotografien wurden in den Fotoateliers auch die sogenannten Kabinettaufnahmen im nassen Kollodiumverfahren gefertigt. Die Kabinettkarten maßen ca. 15 x 10 cm, waren somit fast doppelt so groß wie die Fotografien im Visitformat. Sie erfreuten sich vor allem für Gruppenaufnahmen großer Beliebtheit, waren aber auch ungleich teurer. So verlangte man 1885 in Düsseldorf noch 20 Mark für ein Dutzend Kabinettbilder. Durch die Maschinisierung der Herstellung war der Preis für die prestigeträchtigeren Aufnahmen 20 Jahre später aber so deutlich gesunken, dass im Atelier Germania in Münster 1904 nur noch 4,90 Mark für ein Dutzend Kabinettbilder verlangt wurden. Dass beide Formate über mehr als 50 Jahre hinweg nebeneinander existierten, belegen die drei Alben im Alltagskulturarchiv, in denen Aussparungen für beide Formate vertreten sind – wenn auch zahlenmäßig mehr für die kleineren Visitformate.