Recht der Besitzenden, der Wissenden oder der Widerständigen? Die bäuerliche Jagd.

03.11.2023 Marcel Brüntrup

Marcel Brüntrup

Die Ausübung der Jagd war bereits seit dem Mittelalter ein mit Macht, Einfluss und gesellschaftlichem Prestige verbundenes Standesprivileg. Während die ländliche Bevölkerung bis etwa 1500 auf dem eigenen Grund und Boden jagen durfte und lediglich von der „hohen Jagd“ auf das sogenannte Hochwild ausgeschlossen war, wurde ihr dieses Recht Anfang des 16. Jahrhunderts genommen. Das Jagdregal sicherte den adeligen Landesherren das alleinige Jagdrecht zu und verbot jede Privatjagd, die nicht von fürstlichen Gnaden gestattet worden war. Insbesondere die Bauern litten unter dieser Machtdemonstration: Die Jagd auf ihrem eigenen Grundbesitz blieb ihnen auch dann verwehrt, wenn das Wild großen Schaden auf ihren Äckern und in ihren Wäldern anrichtete. Zur Eindämmung der „Wilderei“ war diese mit harten Strafen belegt und den bäuerlichen Untertanen oftmals sogar die Hundehaltung verboten worden. Zudem mussten die Bauern umfangreiche Jagdfrondienste, beispielsweise als Treiber für die adeligen Jagdgesellschaften, ableisten. Diese Belastungen führten wiederholt zu Streitigkeiten mit dem Adel und spielten eine nicht unwichtige Rolle im Bauernkrieg von 1524. Mit dessen Niederschlagung gingen vorerst auch die Hoffnungen unter, die negativen Auswirkungen des Jagdregals auf die ländliche Bevölkerung zumindest abzumildern.

Der satirische Blick auf die Bauernjagd kurz nach dem Ende des Jagdregals offenbart Vorurteile gegen jagende Bauern. Münchener Bilderbogen Nro. 26., München 1849.

Eine zentrale Zäsur in der Geschichte der Jagd in Deutschland stellt die Abschaffung des Jagdregals während der Revolution von 1848/49 dar. Obwohl die Revolution in politischer Hinsicht scheiterte, blieb die in der Reichsverfassung festgeschriebene Aufhebung der Jagddienste und die Bindung des Jagdrechts an das Grundeigentum bestehen. Die Freigabe der Jagd führte allerdings innerhalb kurzer Zeit zu einem massiven Einbruch der Wildbestände, da viele Bauern versuchten, die Wildschäden auf ihrem Grundbesitz durch eine hohe Zahl von Abschüssen einzudämmen. Bereits im Jahr 1850 wurde das jedem Grundeigentümer zustehende Jagdrecht daher juristisch vom sogenannten Jagdausübungsrecht getrennt, welches an einen zusammenhängenden Grundbesitz mit einer festgelegten Mindestgröße, den sogenannten Eigenjagdbezirk, gebunden war. Kleinere Grundstücke werden seither zu gemeinschaftlichen Jagdbezirken zusammengefasst, in denen die Jagd durch Verpachtung ausgeübt wird. Damit blieb die Jagd, wenn auch nicht einem privilegierten Adel, so doch finanziell und gesellschaftlich privilegierten Grundeigentümern und Besitzbürgern vorbehalten.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete sich in diesen Kreisen eine bürgerliche Jagdideologie heraus, deren zentraler Begriff die „Weidgerechtigkeit“ war. Soziale Herkunft, Beruf und Standesunterschiede sollten keine Rolle mehr spielen, vielmehr wurde Wert auf die weidgerechte Gesinnung des Jägers und die weidmännische Ausübung der Jagd gelegt. Mittels dieses jägerlichen Ehrenkodexes wurde die Jagd zu einer ehrenvollen Tätigkeit erhoben, die die vermeintlich „echten und gerechten Weidmänner“ von bloßen „Schießern“, „Aasjägern“ und „Sonntagsjägern“ abgegrenzte. Mit diesen verächtlichen Begriffen bezeichneten die bürgerlichen Jäger insbesondere jagende Landwirte, die aufgrund ihrer beruflichen Verpflichtungen nur sonntags jagen gehen konnten und denen es angeblich nur auf eine hohe Zahl von Abschüssen, Wildbret und Trophäen ankäme. Typisch für die bürgerliche Jagdliteratur um die Wende zum 20. Jahrhundert war die negative Charakterisierung der Bauernjäger in Odenwälders 1901 erschienenem Buch „Der gerechte Jäger“:

„Der Bauer denkt nur an Gewinn und an seinen Vorteil. Er ist mit den Gewohnheiten des Wildes sehr vertraut und absolut kein Wildfreund, aber Jagdschinder, so oft er Zeit hat. Ein Knecht, auch wohl der Hirt, auch beide sind mit seinem Wissen oft genug Schlingensteller und Hasenknapper im Winter, sogar zur Schonzeit, um die sich der Bauer wenig kümmert.“

In den von der Kommission Alltagskulturforschung gesammelten bäuerlichen Familienfotoalben finden sich auch Fotografien von der Jagd. Hier eine Sauerländer Jagdgesellschaft mit erlegtem Wildschwein. 1930er Jahre. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Sammlung BF Nr. 18b S10.

Ein erklärtes Ziel der ab den 1870er Jahren gegründeten bürgerlichen Jagdvereine war daher die Zurückdrängung insbesondere der kleinbäuerlichen Jäger, die den Großteil der Jägerschaft im Deutschen Reich ausmachten. Auf lokaler Ebene schlossen sich viele Kleinbauern zu sogenannten Bauernjagden zusammen, um die Jagd in ihren zusammengelegten Bezirken gemeinschaftlich auszuüben. Dies geschah häufig in der Form von Treibjagden, von denen ein Gewährsmann der Volkskundlichen Kommission (heute Kommission Alltqagskulturforschung) aus Lavesum (Haltern am See) berichtete:

„Treibjagden vollziehen sich immer mit großem Hallotria und viel Lärm. […] Wälder wurden bei einer Treibjagd von den Schützen umstellt, bevor die Treiber den Wald lärmend durchstöbern, und auf freiem Feld stellen sich Schützen und Treiber in Kreisform auf und laufen dann gemeinsam auf den Kreismittelpunkt zu, wohin sich auch die aufgeschreckten Hasen verziehen.“ (Bericht M04029)

Die mit viel Aufwand und jagdlichen Ritualen betriebenen Treibjagden waren ein den ganzen Tag umfassendes, gesellschaftliches Ereignis, wie aus der Nähe von Hamm berichtet wurde:

„Der jeweilige Hofesinhaber war bisher immer an der Gemeindejagd (ca. 400 ha) beteiligt. Treibjagden begannen meistens auf dem Hof mit einem Frühstück für alle Teilnehmer und endeten abends in der Dorfwirtschaft. Das erlegte Wild wurde aufgeteilt und dann eingefroren oder verschenkt.“ (M06620)

Am Ende einer solchen Gesellschaftsjagd stand das sogenannte Schüsseltreiben, das gemeinsame Essen der Jäger, Treiber und Hundeführer. Die Zubereitung warmer Mahlzeiten und die Bewirtung der Jagdteilnehmer mit Schnaps war üblicherweise Aufgabe der Bäuerinnen. Zwar war die Teilnahme an der Jagd für Frauen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber doch eher unüblich, wie ein Bericht aus Oelde nahelegt: „Zu einer Fuchsjagd hat Herr Schulze Gassel auch einmal Jagdgäste geladen, darunter sogar eine Frau.“ Die Berichterstatterin selbst, zu der Zeit als Kindermädchen auf dem Hof angestellt, durfte als Treiberin teilnehmen und dabei „mit dicken Stöcken an die Bäume schlagen.“ (M05051)

Ein zu der Zeit eher ungewöhnlicher Anblick: Frauen auf der Jagd. 1938. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Sammlung BF Nr. 18a S12.

Jagdbezirke, in denen die Bauern nicht selber jagen gingen, wurden an Berufsjäger verpachtet und die Pacht als sogenanntes Jagdgeld an die einzelnen Landwirte ausgezahlt:

„Eigenjagdbezirke hat es in Lavesum nie gegeben, da keiner der wenigen Bauern, die 300 Morgen und mehr besitzen, ihre Ländereien arrondiert liegen haben, wie das Jagdgesetz es diesbezüglich vorschreibt. Auch von der vor 1933 bestehenden Möglichkeit, daß sich 2 Bauern durch Zusammenfassung ihrer Grundbesitzungen einen Eigenjagdbezirk schafften, wurde niemals Gebrauch gemacht. Das Pachtgeld für die Jagden wurden den Bauern früher auf ihre Morgenzahl umgerechnet als sog. Jagdgeld in bar ausgezahlt. In den 20er Jahren opferten es die Lavesumer Bauern für den Neubau ihrer Kirche.“ (M04029)

Einige empfanden diese Regelung in Anbetracht der teilweise erheblichen Wildschäden auf ihren Grundstücken allerdings als ungerecht, weshalb sie sich das Jagdgeld zwar auszahlen ließen, sich gleichzeitig aber als Wilderer betätigten:

„In Lavesum gab es früher stets 3–4 Wilddiebe, und sie waren offenes Geheimnis. Rein begrifflich rechne ich sie bezüglich ihrer Leidenschaftlichkeit, mit der sie ihre verbotene Tätigkeit ausübten, zu den echten Jägern, die man keineswegs mit den heutigen Aasjägern, die vom Auto aus gewerbsmäßig ihr Handwerk betreiben, vergleichen darf. Im gewissen Sinne fühlten sie sich sogar zu ihrem Tun gerechtfertigt, weil sie das Jagdgeld nicht als vollen Ausgleich für die ihnen vom Wild verursachten Flurschäden ansahen.“ (M04029)

Während einige Wilddiebe heimlich mit dem Gewehr auf die Jagd gingen und beispielsweise des Nachts auf ihren Feldern Hasen schossen, übten sich die meisten im als unweidmännisch empfundenen Fallenstellen und bestätigten damit die Vorurteile der bürgerlichen Jäger. Aus der Nähe von Rheine wurde berichtet:

„Der Wildbestand in Uthuisen wurde arg mitgenommen durch Wilddiebe. Sie arbeiteten selten mit Gewehren, viel häufiger mit Schlingen. Sie strööpten. Sie hießen daher ganz allgemein auch Strööper. Strööpen = eine Schlinge zuziehen.“ (M05484)

Insbesondere unter Kleinbauern und Heuerlingen war das illegale Fallenstellen weit verbreitet. So heißt es in einem plattdeutschen Bericht über das Leben eines Kötters im Südlohner Feld um 1900: „Alls göng doch en Ströpen (Wildern). Ströpen dat dähn se alle. […] Un äöwwerall han se de Stricke (Schlingen) staohn.“ (M04701) Das Unrechtsbewusstsein hielt sich dabei in Grenzen, wie ein Bericht aus Stadtlohn belegt: „Das ist lautloses Jagen! Nicht erlaubt, aber genauso reizvoll wie das Schmuggeln im Grenzgebiet!“ (M06406)

War ein Bauer nicht Teil einer Jagdgenossenschaft, wollte aber dennoch gesetzeskonform auf die Jagd gehen, musste er über die nötigen Beziehungen oder finanziellen Mittel zur Nutzung eines Jagdbezirks verfügen. Die bürokratischen Anforderungen waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch vergleichsweise unkompliziert:

„Man ließ sich von Freunden, Verwandten oder Bekannten zur Jagd einladen, wenn diese eine Jagd hatten. Bei gutem Geldbeutel pachtete man sich selbst eine Jagd. Ein Jagdschein […] wurde einem ohne weiteres ausgestellt von der Verwaltung. Diese stellte dann nicht erst große Nachfragen an. Man hatte auch keine Prüfung zu machen. So ein Jagdschein kostete für 1 Jahr 0,- Mark. Alles ging also sehr einfach und schnell.“ (M05484)

Jäger mit Gewehr, Fernglas und Münsterländer Jagdhund. 1930er Jahre. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Sammlung BF Nr. 3a S47.

Die heute übliche Jagdprüfung zur Erlangung des Jagdscheins wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt, wobei die Jagdgesetzgebung zu dieser Zeit regional noch sehr unterschiedlich war. Erst unter den Nationalsozialisten wurde das Jagdrecht mit dem am 3. Juli 1934 verabschiedeten Reichsjagdgesetz reichsweit vereinheitlicht. Eine Neuerung war unter anderem die gesetzliche Verankerung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Waidgerechtigkeit“ (jetzt mit „ai“ geschrieben). Das Gesetz schloss außerdem die gemeinschaftliche Pachtung durch Jagdgenossenschaften aus, was den Bauern die Ausübung der Jagd erschwerte:

„Nach dem Ersten Weltkriege wurden die Bauern auch in den Jagden um Rheine Jagdpächter. Ich bin dann auch immer Pächter oder wenigstens Mitpächter in einer der Jagden in Catenhorn, Hauenhorst oder Dutum. Als aber die Maßnahmen des 3. Reiches das Jagen immer mehr erschwerten, gab ich das mir so liebe Vergnügen auf.“ (M05484)

Hier zeigte sich der enorme politische Einfluss, den die meist großbürgerlichen Jagdfunktionäre mittlerweile erlangt hatten und den sie noch im Krieg unter anderem gegen die Interessen der Bauernschaft durchzusetzen wussten. So häuften sich im Winter 1942/43 beispielsweise die Beschwerden der Ernährungsämter beim Reichsjagdamt gegen dessen Anweisung, zur Ernährung von Kleinkindern vorgesehenen Hafer für die Wildfütterung in den Staatsjagdrevieren abzugeben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Jagd den Deutschen von den Besatzungsmächten zunächst verboten worden, sämtliche Schusswaffen mussten ausgehändigt werden. In den folgenden Jahren wurden dann nach und nach die Regelungen des Reichsjagdgesetzes in die Landesjagdgesetze und Ende 1952 schließlich in das Jagdgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Der Großteil der Jagdscheininhaber ist seither im 1949 gegründeten Deutschen Jagdverband organisiert.

Die Ausübung der Jagd demonstrierte durch die Jahrhunderte immer Macht, Prestige und Stand – Privilegien, die verteidigt werden mussten. Wurden zur Verteidigung zunächst rechtliche Restriktionen ins Feld geführt, so waren es ab dem 19. Jahrhundert auch vermeintliche Wissensbestände wie die Waidgerechtigkeit. Die Sicht der Bauern auf die Jagd war demgegenüber geprägt von Pragmatismus, Widerständigkeit und Not, die in Wilderei mündete, sowie von dem Bemühen um die Sicherung ihrer Feldfrüchte gegen das Wild. Auf der anderen Seite wussten die wohlhabenderen Bauern auch das kulturelle Kapital zu nutzen, das die (Treib)Jagd versprach.

Literatur

Jutta Buchner: Kultur mit Tieren. Zur Formierung des bürgerlichen Tierverständnisses im 19. Jahrhundert, Münster 1996, S. 166-190.

Hubertus Hiller: Jäger und Jagd. Zur Entwicklung des Jagdwesens in Deutschland zwischen 1848 und 1914, Münster 2003.

Klaus Friedrich Maylein: Die Jagd – Funktion und Raum. Ursachen, Prozesse und Wirkungen funktionalen Wandels der Jagd, Dissertation, Universität Konstanz 2005.

Eugen Syrer: 150 Jahre Jagdpolitik, in: Verein zum Schutz der Bergwelt (Hg.): Jahrbuch des Vereins zum Schutz der Bergwelt 55, München 1990.

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