„Narrheit oder Verbrechen“. Der Hitler-Putsch im Spiegel der Herforder Presse

07.11.2023 Niklas Regenbrecht

Historische Zeitungen können im Kommunalarchiv eingesehen werden und sind eine wertvolle Quelle für die lokale Geschichtsforschung. Hier geht es um den gescheiterten Putsch. Foto: Kommunalarchiv Herford.

Robin Butte

Am 10. November 1923 sahen es viele Herforder wohl zum ersten Mal in der Tageszeitung, das Gesicht, dessen Träger bald weltpolitische Bedeutung erzielen sollte, und dessen Taten auch heute noch ein Musterbeispiel für die Möglichkeiten menschlicher Grausamkeit sind. Damals war er, der 34-jährige Adolf Hitler, bereits eine regionale Größe in Bayern. Ein Bayern, in dem es fünf Jahre nach Ende des Kaiserreiches und der Einführung der parlamentarischen Demokratie von Menschen wimmelte, welche sich nach autoritären Regierungsstrukturen sehnten. Adolf Hitler war einer von ihnen. Als geschickter Redner hatte er bereits den Vorsitz der radikalnationalen NSDAP inne. Gestützt auf seine Kampforganisation, die SA, und einige bairische Bürgerwehren versuchte er am 8. November 1923, zusammen mit dem General a.D. Ludendorff in Bayern die Macht zu ergreifen. Der Hitler-Putsch wurde bereits am nächsten Tag niedergeschlagen und schien den krisengebeutelten Deutschen nur ein weiterer Versuch radikaler Kräfte zu sein das System der parlamentarischen Demokratie auszuhebeln. Der Zeitgeist war damals nun ein anderer und die junge Demokratie hatte auch in Herford viele Skeptiker und Feinde. So wundert es nicht, dass die drei damaligen Herforder Tageszeitungen, welche jeweils ganz verschiedene Gesellschaftsschichten ansprachen, zu recht unterschiedlichen Putschbeurteilungen kamen.

So verglich das eher konservative „Herforder Kreisblatt“ unter dem Titel „Narrheit oder Verbrechen“ den Hitler-Putsch mit dem drei Jahre zuvor erfolgten Kapp-Putsch, bei welchem radikale Kräfte von Berlin aus versucht hatten, die parlamentarische Demokratie zu beseitigen. Denn „es sei daran erinnert, dass der Kapp-Putsch, der in seiner Lächerlichkeit an das Hitler-Ludendorffsche Abenteuer erinnert, uns in der innen- und außenpolitischen Entwicklung auf Monate, ja auf Jahre zurückgeworfen und unermesslichen Schaden zugefügt hat. Die schnelle Beendigung des Münchener Abenteuers…wird vielleicht imstande sein, so weitreichende Folgen zu verhindern.“ Man müsse nun hoffen, dass „weite Kreise aus dem äußersten Flügel der bürgerlichen Parteien…aus den Münchener Vorgängen die Lehre (ziehen), dass mit abenteuerlichen Plänen unserem Volke nicht gedient ist.“

Ähnlich urteilte die liberale „Herforder Zeitung für Stadt und Land“ unter dem Titel „Das Münchener Verbrechen beendet“. Hitler sei noch weit dilettantischer und mit einem geringeren Rückhalt als Wolfgang Kapp drei Jahre zuvor ans Werk gegangen. „Nur ein kindischer Mensch konnte glauben, es genüge, mit sechshundert Bewaffneten einen Bierkeller zu besetzen, zufällig anwesende Minister festzunehmen und den Generalstaatskommissar mit vorgehaltenem Revolver zur Annahme einer unklaren Erneuerung zu zwingen, um Bayern oder gar das Deutsche Reich zu erobern.“ Durch die Niederschlagung bleibe „Deutschland…davor bewahrt, in die Privattragödie…narrenhafter, verantwortungsloser Ehrgeiziger hineingezogen zu werden.“ Gemeint sind nicht nur die Putschisten selbst, denn „sind es…nicht die…Kreise der Schwerindustrie, die den Unfug in München finanziert haben? Aus wessen Taschen sind denn eigentlich die ungeheuren Gelder geflossen, mit denen seit Jahren Waffen angeschafft, Verbände organisiert, Mörder gedungen werden.“ Die Regierung habe nun die Pflicht, scharf gegen diese Unterstützerkreise vorzugehen.

Die Herforder „Neue Westfälische Volkszeitung“ hingegen zeigte mehr Verständnis für die Putschisten. Sie schrieb zwar: „Wir haben durchaus keinen Anlass, den nationalsozialistischen Staatsstreichversuch…rechtfertigen zu wollen.“. Die Regierung treffe jedoch eine Mitschuld, denn „nur durch Bildung einer Regierung, die das Vertrauen der nationalen Kräfte im ganzen Reich findet, kann weiteres Unglück verhütet…werden.“ Daher gelte es, die nationale Bewegung „von den ihr anhaftenden Schlacken eines übertriebenen Radikalismus zu befreien und sie ein(zu)spannen für die gemeinsame nationale Sache, der sie zweifellos sehr wertvolle Dienste schon geleistet hat.“

Was genau mit diesem Dienst gemeint ist, gibt die Zeitung in der Bewertung Hitlers zu erkennen, dem zwar eine „staatsmännische Begabung“ fehle, dem man aber als großes Verdienst anrechnen müsse, „dass es ihm gelang, ungezählte Arbeiter aus den Banden des internationalen Sozialismus zu befreien und mit nationaler Gesinnung zu erfüllen.“  

Betrachtet man die Bewertungen und Hoffnungen der drei Herforder Zeitungen heute, so sind uns wohl das „Herforder Kreisblatt“ und die „Herforder Zeitung für Stadt und Land“, die das Ansinnen Hitlers und seines Gefolges verurteilten, gefühlsmäßig am nächsten. Ihre Hoffnungen, die Nationalsozialisten werden nun von weiteren desaströsen Abenteuern absehen, oder zumindest durch staatliches Handeln in Schach gehalten werden, erfüllten sich aber nicht. Die Hoffnung der „Neuen Westfälischen Volkszeitung“, dass die Nationalsozialisten bald an der Regierung beteiligt werden, hingegen einige Jahre später schon. Mit dem Ergebnis allerdings, dass das Land, welches sie zu lieben beteuerten, bald in weiten Teilen in Schutt und Asche lag.

So sind die drei Herforder Tageszeitungen aus längst vergangenen Tagen eine wertvolle Geschichtsquelle, welche uns sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede zu unserem heutigen Fühlen und Denken aufzeigen und eventuell dazu beitragen kann, vergangene Fehler nicht zu wiederholen.  Eine Quelle, welche im Herforder Kommunalarchiv jedem Geschichtsinteressierten zur Verfügung steht, und welche über das Zeitungsportal NRW zum Teil auch schon online einsehbar ist.

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 126, 13.09.2023, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

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