Figur einer lastentragenden Afrikanerin aus Ebenholz: Dekoration mit kolonialem Bezug?

30.01.2024 Marcel Brüntrup

Leon Greifenstein

Im folgenden Beitrag wird die aus Privatbesitz stammende Ebenholzfigur einer Frau mit einem Korb auf dem Kopf präsentiert. Sie fand Eingang in eine Lehrveranstaltung am Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie an der Universiät Münster zum Thema „Kolonialismus auf dem Dachboden: Beute, Andenken, Geschenke“ im Wintersemester 2022/2023. Dieser Lehrveranstaltung war ein gemeinsamer Aufruf der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen, LWL, und des Westfälischen Heimatbunds vorausgegangen, in dem nach Gegenständen mit kolonialem Bezug in Privathaushalten gefragt wurde.

Komplettaufnahme der Ebenholzfigur. (Aufnahme: Leon Greifenstein)

Was sehen wir?

Die Figur wurde aus Ebenholz handgeschnitzt, besitzt eine für diese Holzart typische dunkle Patina und ist 23 Zentimeter hoch, sechs Zentimeter breit und fünf Zentimeter tief. Die Figur steht auf einem Sockel aus schwarz-bemalter Spanholzplatte. Zusammen mit der Spanholzplatte wiegt das Objekt 250 Gramm. Die Figur hat oberhalb der Fußgelenke eine Bruchstelle und wurde mit Holzklebstoffen repariert.

Die Figur vermittelt ein stereotypes, europäisch geprägtes Bild einer afrikanischen Frau. Deutlich ist ein Trend zum Naturalismus sichtbar: die Frau trägt einfache Bekleidung, keine Schuhe und einen Korb auf ihrem Kopf. Aus der Perspektive westlicher Industrienationen mutet die Darstellung naturverbunden, archaisch und exotisch an. Letzteres ist unter anderem auf die Ziernarben zurückzuführen, die im Gesicht der Frauenfigur zu erkennen sind. Ziernarben dienen ähnlich wie Tattoos in verschiedenen Gesellschaften Zwecken wie Identitätsstiftung, spirituellem Schutz oder Körperschmuck. Sie treten vereinzelt in verschiedenen Teilen der Welt auf, sind aber primär in Westafrika zu finden.

Nahaufnahme des Gesichts der Skulptur. Hier sind die Ziernarben zu erkennen. (Aufnahme: Leon Greifenstein)

Herkunft der Figur

Der Besitzer Herr K. erwarb die Figur 1975 auf einem Kunsthandwerker- und Flohmarkt in Paris, unterhalb der Basilica Sacré Cœur de Montmartre und war damals laut eigener Aussage beeindruckt von der „archaischen Exotik“ der Figur. Der Händler stammte laut Herrn K. wahrscheinlich aus einem nordafrikanischen Land. Ob die Figur auch daher stammt, ist fraglich, die Ziernarben verweisen eher aus eine westafrikanische Herkunft. Im Haushalt von Herrn K. erfüllt die Figur dekorative Zwecke auf dem CD-Regal von Herrn K.. Er war es auch, der den Sockel aus Spanholzplatte für einen besseren Stand der Figur ergänzte.

Erwähnenswert ist, dass es sich bei der Figur nicht um ein Einzelstück handelt, zumindest hat sich nach kurzer Internetrecherche eine sehr ähnliche Figur in einem Onlinemarkt in den USA finden lassen. Auf Anfrage konnte der Verkäufer jedoch nicht zur weiteren Klärung der Provenienz dieser und ähnlicher Figuren beitragen, weil es sich auch in diesem Fall um einen Flohmarkterwerb gehandelt hat. Nach weiterer Recherche in Verkaufsportalen im Internet kann aber gesagt werden, dass das Motiv der afrikanischen Frau mit Last auf dem Kopf offenbar im Kunsthandwerk und in der Airport art durchaus verbreitet ist.

Touristenkunst als Andenken

Airport art, auch Touristenkunst oder Souvenirkunst genannt, bezeichnet sowohl materielle als auch immaterielle Dinge, welche speziell für Tourist:innen produziert wurden/werden und auf stereotypen Vorstellungen von einem Land und seinen Einwohnern beruhen. Sie haben mit der lokalen oder regionalen Kunst des jeweiligen Landes wenig oder gar nichts zu tun.  „Airport“ – Flughafen - steht hier einerseits als Synonym für das Reisen, andererseits auch als Verkaufsort für die Objekte und Leistungen.  Die unter dieser Bezeichnung zusammengefassten Kunstgegenstände zeichnen sich durch das Verlassen der regionalen Grenzen, eine Stereotypisierung in der Darstellung, die Reduzierung auf wenige prägnante Motive, Inhalte und Formen sowie die Veränderung in Größe und Material aus. Im Gegensatz dazu bezeichnet „Souvenir“ die durch Erinnerung geprägte Beziehung zwischen Gegenstand und Besitzer:in. Die ständige Abrufbarkeit von Emotionen und Erinnerungen verleiht Souvenirs ihren Charme und ihre individuelle Bedeutung. Die Grenzen zwischen Airport art und Souvenir sind, wie in diesem Fall auch, oft fließend.

Bereits im 19. Jahrhundert wurden Skulpturen und Objekte aus Holz und Metall in großen Mengen aus West- und Zentralafrika nach Europa verbracht. Dort wurden sie sowohl von Privatpersonen als auch von Museen gesammelt und ausgestellt. Sie wurden dort vielfach zu Belegen kultureller Überlegenheit umgedeutet. Bereits 1914 kritisierte der französische Ethnologe Arnold van Gennep die unwissenschaftliche Vorgehensweise der Sammler:innen/Käufer:innen und die Konsequenzen für das lokale Kunsthandwerk. Durch den wachsenden Abnahmemarkt, hauptsächlich in Europa, entstanden im Laufe der Zeit Veränderungen im lokalen (Kunst-)Handwerk. Lokal ansässige Kunsthandwerker formten schon um 1900 Objekte nach Bewertungskriterien von Fremden, die als Kolonisator:innen, Missionare/Missionarinnen oder Reisende ins Land gekommen waren. Vor allem seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sorgte der Ferntourismus für die noch stärkere Umstellung des Marktes auf die Bedürfnisse und Erwartungen von Touristen; die Kunsthandwerker:innen versuchten aus finanziellen Gründen, den Vorstellungen der Tourist:innen möglichst zu entsprechen. Durch die Entstehung eines Marktes rund um Airport art und Souvenirs wichen über Generationen überlieferte Kulturfertigkeiten, Kreativität und künstlerische Freiheit einer massenhaften Herstellung stereotyper Artefakte. Daraus entstand eine partielle Abhängigkeit der lokalen Kunsthandwerksszene von Tourist:innen.

Die kleine Ebenholzfigur aus der Wohnung von Herrn K. ist ein Beispiel für die Verflechtung von Airport art und Souvenir. Für Herrn K. ist sie ein Andenken an einen Urlaub in Frankreich. In Gestalt dieser Ebenholzfigur, die sich vereinfachter kultureller Zuweisungen bedient und diese somit reproduziert, werden aber auch rassistische und stereotype Bilder in nachkolonialer Zeit fortgeführt und verbreitet.

Literatur

Duscher, Paul: Spuren des Kolonialismus in der Airport-Art: Vier Beispiele aus Westfalen. In: Koloniale Welten in Westfalen, hrsg. von Sebastian Bischoff, Barbara Frey und Andreas Neuwöhner, Paderborn 2021, S. 271-290.

Everts-Grigat, Senta (Hrsg.): Airport Art, das exotische Souvenir, Stuttgart 1987 (Ausstellung d. Inst. für Auslandsbeziehungen im Forum für Kulturaustausch, 2. - 22. September).

Grabner, W. Silvana: Airport Art: Ein Kulturphänomen des 20.Jahrhunderts. Dargestellt an ausgewählten Beispielen. Diplomarbeit am Institut für Kunstgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz 2009.