“...ich ergreife die Feder, um euch ein paar Reihen zu schreiben.” Soldatenbriefe aus Kaisers Zeiten im Archiv des Heimatvereins Altenberge (Teil 1)

29.10.2024 Marcel Brüntrup

Gebhard Aders

Im Jahre 2009 schlossen sich einige Mitglieder des Heimatvereins Altenberge zu einer Arbeitsgruppe “Genealogie und Ortsgeschichte” zusammen. Ziel war es, eine Datenbank zur Familiengeschichte anzulegen, ein Museum einzurichten und ein Bild- und Dokumentenarchiv aufzubauen. Das Archiv bestand zunächst aus einer großen, ungeordneten Sammlung von Fotos, Negativen und Dias. Das Dokumentenarchiv enthielt anfangs nur die Registratur des Vereins. Im Jahr 2010 kam die ortsgeschichtliche Sammlung des langjährigen Vereinsvorsitzenden Eugen Zurholt hinzu. Im Laufe der Jahre wuchs das Archiv um Abgaben von Landwirten, Firmen und sowie von Nachlässen von Privatpersonen. Das Besondere an diesen Schriftstücken war, dass sie im Gegensatz zu Verwaltungsakten in kommunalen und staatlichen Archiven fast ausschließlich den privaten Bereich betreffen. Da waren z. B. einige in Spiegelschrift geschriebene Liebesbriefchen, Notizbücher eines Schulzen über seine Wirtschaft, Schönschreibübungen eines Bauernmädchens aus dem 18. Jahrhundert oder ein selbstverfasster französisch-deutscher Sprachführer aus der napoleonischen Zeit.

2020 erhielt das Archiv den Nachlass der 2019 verstorbenen früheren Zahnärztin Cilly Tegethoff geborene Lepper. Darin waren unter anderem private Briefe, Glückwunschschreiben zu Geburtstagen, religiöse Gedichte und eine Mappe mit 11 Briefen, die zwei Soldaten aus Nordwalde, Bernhard Lepper und Josef Schemmann, in den Jahren 1894–1896 und 1902–1904 an ihre Verwandten geschrieben haben. Die Familie Lepper wird diese Briefe wohl deswegen aufbewahrt haben, weil sie farbig gestaltete Briefköpfe enthielten mit patriotischen Sprüchen, Abbildungen der Kaserne oder humoristischen Darstellungen aus dem Soldatenleben dieser Zeit. Die Schrift beider Verfasser ist sehr gut leserlich, die Rechtschreibung alles andere als gut. Besonders Bernhard schrieb sehr häufig „nach Gehör“. Das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Kinder in den Volkschulen die Schönschrift im Abschreiben von Texten übten, doch  beim Schreiben von frei formulierten Texten oft überfordert waren.   

Bernhard Lepper (1880–1967) und Joseph Schemmann (1874–1942) aus dem münsterländischen Nordwalde verbrachten ihre Dienstzeit in Mörchingen. Das war ein kleines Nest in Lothringen, südlich von Metz gelegen, das ab 1919 Morhange heißt. Hier entstand nach 1880 eine große Garnison. Zu ihr gehörten ein Brigadestab, zwei Infanterieregimenter, eine Artillerieabteilung sowie eine Kavallerieeskadron von circa 150 Mann – alles in allem knapp 1800 Soldaten. Insgesamt war das mehr als die Zahl der einheimischen Bevölkerung. Es scheint auf den ersten Blick ungewöhnlich zu sein, dass westfälische Wehrpflichtige in dieser Gegend ihren Wehrdienst leisteten. Aber nach dem Krieg 1870/1871, den deutschen Armeen siegreich gegen Frankreich geführt hatten, musste Frankreich die Gebiete Elsass und Lothringen an das Deutsche Reich abtreten. Aber die Deutsche Armeeführung traute den Elsässern und Lothringern nicht, dass sie loyal zum Deutschen Reich stünden. So entschied man sich für einen heimatfernen Einsatz der Wehrpflichtigen: Westfalen und Rheinländer wurden in die Garnisonen an der Westgrenze einberufen und Rekruten von dort sollten ihren Wehrdienst weiter östlich absolvieren.

Die Dienstzeit im Heer betrug zwei Jahre. Im Frühjahr wurden die Dienstpflichtigen bei der Ersatzkommission des Landkreises gemustert und erhielten zum 1. Oktober den Gestellungsbefehl. Der Grund für dieses Datum war, dass der überwiegende Teil der Wehrpflichtigen in der Landwirtschaft tätig war und die jungen Männer erst noch die Ernte einbringen mussten. Sie erhielten mit der Post den Gestellungsbefehl und eine Eisenbahnfahrkarte zum Garnisonsort. Von Altenberge dauerte die Reise mit der Eisenbahn bis Mörchingen etwa 10 Stunden. In der Kaserne angekommen wurden sie erst einmal eingekleidet: Der Anzug, wie die Unform damals genannt wurde, bestand aus einem dunkelblauen „Waffenrock“ und schwarz melierter Hose mit roten Biesen, für den Innendienst trugen sie einen weißgrauen Drillichanzug. Die Kopfbedeckung war eine schirmlose Mütze, zur feldmarschmäßigen Ausrüstung wie auch zum Exerzieren und Wachdienst trug der Soldat einen Lederhelm mit Metallspitze, die so genannte Pickelhaube.

Die Karikatur auf einer Postkarte von der Einkleidung einer jungen Frau auf der Kleiderkammer einer Kaserne entsprach natürlich nicht der Realität, sondern den Wunschvorstellungen einiger Rekruten.

Einige Tage später wurden die neuen Rekruten vereidigt, und dann begann der Ausbildungsdrill mit Exerzieren, Gefechts- und Schießübungen und Sport. Dabei zeigte sich, dass einige der jungen Männer auch mit einfachen gymnastischen Übungen bereits überfordert waren.

Selbst einfache gymnastische Übungen scheiterten an der mangelnden Übung der neuen Rekruten.

Nach einer Woche war es soweit, dass die frischen Rekruten ihre Vorgesetzten ordentlich grüßen konnten und man sie unter Aufsicht ihres „Stubenältesten“, eines Gefreiten, der über ein Jahr gedient hatte, in den Ort gehen lassen konnte. Was sie in zwei Jahren Militärdienstzeit sonst noch lernten und wie sich ihr Alltag gestaltete, dass erfährt man zumindest teilweise aus den Briefen von Bernhard Lepper und Joseph Schemmann an ihre Verwandten in Nordwalde, die in weiteren teilen dieser kleinen Serie vorgestellt werden sollen.

Quelle:

Archiv Heimatverein Altenberge, Nachlass Leper/Tegethoff, Karton 2, Mappe 6.