Niklas Regenbrecht
In persönlichen Nachlässen ganz normaler Leute, wie sie im Archiv für Alltagskultur in Westfalen gesammelt werden, finden sich vielfach auch Familienunterlagen. Dazu zählen Briefe, Fotografien, Ausweise und Urkunden. Dazu gehören aber häufig auch Ahnenpässe und -tafeln aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde regimeseitig damit begonnen, durch Abstammung begründete Ausgrenzung in die Gesetzgebung zu übertragen. Das fing an mit dem so genannten „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 und wurde etwa in den Nürnberger Gesetzen weiter verschärft. In der Konsequenz mussten Angehörige bestimmter Berufsgruppen nachweisen, dass sie „arischer“ Abstammung waren, also keine jüdischen Vorfahren besaßen. Das galt etwa für Beamte, Ärzte, Juristen, Studenten oder Erbhofbauern, wobei sich die Zahl der Gruppierungen, für die entsprechende Regelungen eingeführt wurden, in den 1930er Jahren stetig vergrößerte. Viele private Organisationen, wie etwa Vereine, führten eigeninitiativ oder unter Druck ähnliche Vorgaben für ihre Mitglieder ein. Für die Vielzahl an NS-Organisationen galten sie sowieso. Dieser „Abstammungsnachweis“, umgangssprachlich auch „Ariernachweis“ genannt, bezog sich in der Regel auf die Eltern und Großeltern des Probanden. In Fällen des so genannten großen Abstammungsnachweises mussten Urkunden für alle am Stichtag 1. Januar 1800 lebenden Vorfahren beigebracht werden. Mitglieder bestimmter nationalsozialistischer Organisationen hatten den Nachweis bis zum Jahr 1750 zurückreichend zu erbringen. Die Datumsgrenze war zum einen arbeitspraktisch begründet, zum anderen ging man davon aus, dass nach 1800 die „Judenemanzipation“ eingesetzt habe, in Folge derer es zu „Vermischungen“ gekommen sei.
Viele Menschen mussten also bei verschiedenen Stellen und Institutionen ihre Herkunft nachweisen, wollten sie nicht ihre Karriere oder gar ihr Leben riskieren. In einem ersten Schritt musste diese Art von Herkunft erst einmal festgestellt werden, was zu einem Boom der Genealogie, in der zeitgenössischen Sprache „Sippenkunde“, führte. Viele Bürger fingen nun also an, auf eigene Faust oder mithilfe von spezialisierten genealogischen Vereinen, bei Pfarr- und Standesämtern Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden ihrer Vorfahren zu erfragen.
Um nun nicht bei jeder einfordernden Institution mit einem dicken Stapel an Urkunden oder großformatigen Ahnentafeln die eigene Abstammung nachweisen zu müssen, wurde gewissermaßen als handliche Variante der so genannte Ahnenpass gängig. Hierin mussten die Inhalte der Urkunden übertragen und anschließend beglaubigt werden. Der Erläuterungstext in einem Ahnenpass-Vordruck hielt dazu fest: „Um die große Wichtigkeit der Abstammungsverhältnisse eines Menschen hervorzuheben, verlangt der Staat bei zahlreichen Gelegenheiten den Ahnennachweis. Die vorteilhafteste und bequemste Form dieses Nachweises ist der amtlich beglaubigte Ahnenpaß.“ (Ahnenpaß, National-Verlag Westfalia, Dortmund)