Hofchroniken

04.09.2020 Kathrin Schulte

Handschriftliche Hofchronik Schulze Epping in Horstmar (19. Jh.). Foto: Archiv Emslandmuseum Lingen.

Hofchroniken

Andreas Eiynck

Schon rein äußerlich könnten sie unterschiedlicher nicht sein: mal aufwendig gedruckt und in Leinen eingebunden, mal fotokopiert und spiralgeheftet – Hofchroniken sind schon auf den ersten Blick eine sehr vielfältige Quellengattung.

Und gleiches gilt für den Inhalt. Ein Stammbaum ist immer dabei, doch damit beginnt schon das Dilemma: beschreibt er die damaligen Hofbewohner, oder die Vorfahren der heutigen Hofbesitzer, die ja häufig gar nicht identisch sind. Dann hat man entweder fremde Leute in der eigenen Chronik oder die richtigen Vorfahren zum falschen Hof.

Meistens sind in Hofchroniken auch historische Quellen unterschiedlichster Art einbezogen. Hat ein Chronist in den Archiven recherchiert, dann werden Belege für Hof und Familie aus Urkunden und Schatzungslisten gerne zitiert, am liebsten verbunden mit möglichst frühen Jahreszahlen: „Unsern Hof gibt es schon seit 1300-und…“. Ansonsten sind die quellenkritisch zumeist völlig unbeleckten Autoren bei der Auswahl ihrer Quellen nicht allzu wählerisch. Nicht selten schlagen die gerne zitierten älteren heimatkundlichen Beiträge eine Brücke bis zurück in „graue Vorzeit“ – besonders, wenn die entsprechenden Bodenfunde auf „eigenem Grund“ des Hofes oder zumindest in der eigenen Bauerschaft zu Tage traten.

Selten ergeben die älteren Quellen über Namen und Daten hinaus ein anschauliches Bild der Lebenswelt in früheren Zeiten. Oft hangeln sich die Verfasser über etliche Seiten von Schatzungslisten zu Steuerregistern und von Generation zu Generation. Wichtig erscheint dabei oft die Frage, ob der Name durchgängig in „direkter“ (= männlicher) Linie nachweisbar ist, ob durch Namensänderung bei Einheirat des Mannes (also Erbschaft in weiblicher Linie) die Stammlinie „verfälscht“ wurde oder gar durch „doppelte Einheirat in einer Generation“ der Hof an eine „blutsfremde Linie“ weitergeben wurde, die lediglich den Hofnamen angenommen hat, was früher nicht gerade selten passierte.

Einzelne Archivquellen wie Protokolle von Hofübergaben, Eheverträge und Inventarverzeichnisse liefern punktuelle Ergänzungen. Hinzu kommen häufig Dokumente aus dem eigenen Hofarchiv, wobei Grundstücks- und Katastersachen überwiegen.

Den Schilderungen von Begebenheiten aus dem 19. und 20. Jahrhundert liegen oft alte Berichte oder autobiographische Aufzeichnungen früherer Hofbewohner zugrunde. Fast immer sind es übrigens Männer, die die Hofchroniken verfasst haben – die Frauen schrieben wohl eher Kochbücher, die übrigens ebenfalls von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Gelegentlich reichen die Aufzeichnungen zurück bis in die „Franzosenzeit“, berichten von den „preußischen Griepern“ und Erlebnissen mit den „Kosacken“, wobei die Erzählungen bisweilen eher sagenhaften Charakter tragen.

Breiten Raum nehmen Schilderungen des Wandels in der Landwirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein: die Aufteilung der Marken und die Ödlandkultivierung, die Einführung des Kunstdüngers und der Einsatz erster landwirtschaftlicher Maschinen. Auch größere Bauprojekte und Beschreibungen des Wandels von Haus und Hof finden sich in vielen Hofchroniken ausführlich dargestellt.

Wetterkapriolen und besondere Naturerscheinungen, Dürren und Überschwemmungen werden regelmäßig vermerkt – insbesondere unter dem Aspekt der Ernteeinbußen in der Landwirtschaft.

Auch viele Themen der traditionellen Volkskunde werden in den Hofchroniken angesprochen: Hausbau und Wohnen, Nahrungs- und Genussmittel, Kleidung, frühere Tätigkeiten auf einem Bauernhof, der Umgang mit dem Vieh, das Familienleben, aber auch kirchliche und religiöse Praktiken sowie Spuk und Aberglauben.

Sozialgeschichtliche Aspekte wie etwa das Heuerlingswesen und soziale Unterschiede in der ländlichen Bevölkerung werden nur selten angesprochen und wenn, dann zumeist verklärt. Auch die Spannungen innerhalb der Familie durch das Anerbenrecht werden hier aus einem ganz speziellen Blickwinkel – dem des Hoferben – betrachtet.

Die Notzeiten der Ersten und Zweiten Weltkriegs spiegeln sich in den Hofgeschichten ebenso wie die Erinnerungen an die Wirtschaftskrise in den 20er Jahren, die auch die Landwirtschaft hart traf, und die Aufnahme der Flüchtlinge ab 1945, die damals in großer Zahl auf den Bauernhöfen einquartiert wurden.

Die älteren Hofchroniken sind oft noch handschriftlich verfasst. Nicht selten enthalten sie Zeichnungen und Skizzen, die je nach künstlerischem Geschick des Verfassers von einfachen Strichzeichnungen bis zu kleinen Kunstwerken reichen. Etwa seit den 1930er-Jahren sind auch Fotografien ein fester Bestandteil der Chroniken.

Die Zeit nach 1960 wird zumeist gerafft geschildert. Im Mittelpunkt steht dabei der rasante Wandel in der Landwirtschaft, der jeden Bauernhof quasi in eine „ewige Baustelle“ verwandelte, denn das Motto in der Landwirtschaft lautete nun für jeden Bauernhof: „wachse oder weiche“. Hinzu kommen Schilderungen zu Veränderungen im Alltagsleben auf dem Lande durch wachsende Mobilität, Technisierung in allen Bereichen und steigenden Wohnkomfort im Bauernhaus. Die Angaben hierzu basieren zumeist auf den eigenen Erlebnissen und Erfahrungen der Autoren. Persönliche Kommentare oder Wertungen zu diesem Wandel sind vergleichsweise selten.

Hofchroniken sind eine sehr subjektive Quellengattung und stark geprägt durch die individuelle Sichtweise ihrer Autoren auf einen zumeist eng begrenzten Raum. Die Übergänge zu Biografien und Autobiographien sind fließend. Manchmal wirken die Aufzeichnungen wie eine persönliche Bilanz der Verfasser, sie sich aber im Gewand einer Chronik verbirgt. Das macht Hofchroniken als historische Quellen schwierig, verleiht ihnen aber andererseits auch einen besonderen Reiz und eine große Anschaulichkeit. Und es reiht sie ein in die Gruppe der volkskundlichen Berichte und Fragebogen früherer Jahrzehnte, in denen oft ähnlich berichtet wird.