(K)ein Saurier für Gronau? Zum Modell des Brancasaurus im Drilandmuseum

02.11.2021 Dorothee Jahnke

Unübersehbar begrüßte bislang das Gipsmodell des in Gronau entdeckten „Brancasaurus Brancai“ die Besucher im Drilandmuseum. Quelle: Emil Schoppmann.

Emil Schoppmann

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in der sogenannte „Schieferkuhle“, der einstigen Tongrube der Ziegelei Gerdemann & Co im Gronauer Glanerfeld spektakuläre Fossilienfunde gemacht. Wo in knapp 40 Metern Tiefe von 1883 bis 1917 Tonschiefer gewonnen wurde, befand sich vor rund 140 Millionen Jahren ein subtropisches Binnenmeer. Die Lagunengewässer, Seen und sumpfigen Wälder des „Niedersächsischen Beckens“ bildeten den Lebensraum einer einzigartigen Unterwasserfauna.

Das zurzeit vor tiefgreifenden Umbaumaßnahmen stehende Drilandmuseum besitzt eine umfangreiche Sammlung, welche Gronaus bedeutende Rolle als Fundort geologisch-paläontologischer Objekte offenbart. Zu den vorhandenen Fossilien aus der Zeit der tiefen Unterkreide Berrias, genauer dem unteren Valanginium der Bückeberg-Formation, zählen unter anderem in Sedimentgestein konservierte Corbula-Muscheln, Fischskelette, ein Flossenstachel der Haigattung Hybodus oder Krokodilschuppen. Ebenfalls existiert eine Knochenplatte des Bauchschildes der erstmals hier nachgewiesenen Wasserschildkröte „Desmemys bertelsmanni Wegner“.

Berühmtheit erlangte Gronau jedoch durch zwei Saurierfunde von internationalem Rang: Im Juli 1910 wurde in der Tongrube das weltweit erste fast vollständig erhaltene Skelett eines Plesiosauriers entdeckt. Professor Theodor Wegner vom Geologischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster benannte die neue Saurierart zu Ehren seines Lehrers, dem Paläontologen Wilhelm von Branca, als „Brancasaurus brancai“. 1912 konnten erneut Teile eines kopflosen Plesiosaurier-Skeletts geborgen werden, dessen genaue wissenschaftliche Zuordnung zunächst jedoch ausblieb. Der in Fundlage aus einer Steinplatte herauspräparierte Knochenfund verschwand über viele Jahrzehnte wohlbehütet, allerdings unter falscher Bezeichnung, in einer Magazinschublade. Erst 2013 erbrachte der Berliner Paläontologe Dr. Oliver Hampe den Nachweis, dass es sich hierbei um das einzigartige Exemplar einer weiteren bislang unbekannten Saurierart handelt, die seitdem als „Gronausaurus wegneri“ bezeichnet wird.

Das 1912 präparierte Skelett des Brancasaurus. Abbildung aus: Theodor Wegner: „Brancasaurus Brancai“, Tafel V, Leipzig 1914. Foto: Geomuseum Münster.

Diese der Gattung der Plesiosaurier zuzuordnenden Schwimmsaurier waren optimal an das Leben im Meer angepasst. Bei einer Körperlänge von bis zu vier Metern, suchten sie mit ihrem langen, biegsamen Hals im Oberflächenwasser nach Nahrung. Zur Fortbewegung dienten ein bootsförmiger Körper sowie vier kräftige, paddelförmige Flossen. Wahrscheinlich wurden die beiden Skelette aus der Gronauer Tongrube einst als Kadaver durch Stürme in einen flachen Teil der Alstätter Bucht gespült, wo sie die Zeit überdauerten.

Nach ihrer Entdeckung schenkten die damaligen Ziegeleibesitzer die wertvollen Fossilien dem Geologisch-Paläontologischen Museum in Münster, in dessen Besitz sie sich noch heute befinden. Der erste der beiden Plesiosaurierfunde wurde, finanziert durch Gronauer Unternehmer, im Jahr 1912 wieder zu einem 3,25 Meter langen Skelett zusammengesetzt und bildete lange Zeit eines der Glanzstücke des Geologischen Instituts. Nach diesem Vorbild ließ die Stadt Gronau aus Anlass der Wirtschaftsschau 1988 das farbig bemalte Gipsmodell eines lebenden Brancasaurus anfertigen. Dieser „Erste Gronauer“ fand daraufhin seinen Platz im neu eröffneten Drilandmuseum, wo er zu einem Wahrzeichen und Stellvertreter der originalen Skelette avancierte. Lediglich von 1991 bis 1993 und noch einmal im Jahr 1995 bereicherte der erst später als Gronausaurus klassifizierte Knochenfund auf Betreiben des Gronauer Geologen Dr. Lennart Schleicher die Dauerausstellung des Drilandmuseums.

Der „Erste Gronauer“ als Modell auf der Wirtschaftsschau 1988. Quelle: Emil Schoppmann.

Angesichts des geplanten Neubaus wären in Gronau zukünftig die räumlichen Kapazitäten für eine angemessene erdgeschichtliche Präsentation gegeben. Von Seiten der Unabhängigen Wählergemeinschaft wird bereits gefordert, „unseren Gronausaurus wieder nach Hause [zu] holen“. Die enorme Popularität von Sauriern ist ungebrochen und könnte besonders Familien, Kinder und Schulklassen ins Museum locken. Neben ihrer identitätsstiftenden Bedeutung besitzen die Saurierknochen für Gronau damit eine über die Stadtgrenzen hinausreichende Strahlkraft. Ob allerdings die Präsentation eines der originalen Skelette in Gronau denkbar ist, scheint fraglich. Voraussichtlich bleibt das Geomuseum Münster, welches zurzeit ebenfalls umfassend saniert wird, die alte und neue Heimat der Gronauer Schwimmsaurier. Den GronauerInnen wird ihr mittlerweile liebgewonnenes Sauriermodell also bis auf Weiteres erhalten bleiben.

Allerdings haben neben den großen Naturkunde- und Landesmuseen in den letzten Jahren Dinosaurier-Ausstellungen auch in kleineren Häusern gezeigt, dass die Präsentation von qualitativ gleichwertigen Kopien das emotionale und ästhetische Erlebnis für die Besucher kaum schmälern. So zeigt etwa das Haus Hövener in Brilon auf anschauliche Weise die Lebendrekonstruktion und den Skelettabguss eines Iguanodons, dessen Original sich ebenfalls im Geomuseum Münster befindet. Wie die Diskussion über den künftigen Standort auch ausgehen mag, bleibt der Stadt Gronau in jedem Fall die Freude erhalten, Namensgeber einer eigenen Dinosaurierart zu sein.

 


Weiterführende Literatur:
Theodor Wegner: Brancasaurus Brancai n. g. n. sp., ein Elasmosauride aus dem Wealden Westfalens, in: Wilhelm Branca: Zum siebszigsten Geburtstage 9. September 1914. Eine Festschrift seiner Schüler, Leipzig 1914, S. 235-305.
Markus Bertling: „Gronausaurus wegneri Hampe, 2013“. Gronau geht als Namensgeber einer neuen Echsen-Gattung in die internationale Wissenschaft ein, in: Bürgerbuch Gronau und Epe, 20. Jg., Bd. 5, Gronau 2014, S. 172-176.
Gerhard Lippert: Die Entdeckung des Gronausaurus. Geschichtliche Nachbetrachtung einer späten wissenschaftlichen Würdigung der Stadt Gronau, in: Westfälische Nachrichten vom 05.06.2013.
Sven Sachs: Dinosaurier-Funde aus Westfalen, in: Berichte Naturwissenschaftlicher Verein für Bielefeld und Umgegend e.V., Bd. 37, Bielefeld 1996, S. 237-253.
 

Kategorie: Aus anderen Sammlungen

Schlagworte: Museum · Emil Schoppmann