Luftschiffabsturz im Teutoburger Wald am 28. Juni 1910

28.06.2019

Diese Landung des Starrluftschiffs „Graf Zeppelin“ in Dortmund hat Hermann Tell am 10. August 1930 fotografiert. Die Bespannung des Luftschiffs bestand aus fünffach imprägnierten Baumwollstoff, dessen letzten Anstrich pulverisiertes Aluminium beigemengt worden war, um die Feuergefahr zu minimieren (Foto: Hermann Tell, LWL-Volkskundearchiv).

Luftschiffabsturz im Teutoburger Wald am 28. Juni 1910

Volksschullehrer Heinrich Mevenkamp beschreibt die Havarie in seinen Lebenserinnerungen

Christiane Cantauw

Die achtbändigen Lebenserinnerungen von Heinrich Mevenkamp aus Rheine-Catenhorn, die sich im Archiv der Volkskundlichen Kommission befinden, sind eine spannende Quelle für das ausgehende 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als Einjährig-Freiwilliger in der 5. Kompagnie des Infanterie-Regiments Herwarth von Bitterfeld befand sich Mevenkamp 1910 in Münster, wo man sich auf die Landung des Zeppelin LZ 7 „Deutschland“ vorbereitete.

Der LZ 7, ein Starrluftschiff der 1909 gegründeten DELAG (Deutsche Luftschiffahrts-Aktiengesellschaft), war am 28. Juni 1910 in Düsseldorf gestartet. Ziel der Pressefahrt, die für die Passagierluftfahrt werben sollte und an der 20 Journalisten aus England, den USA und Deutschland teilnahmen, war Münster, das der Zeppelin allerdings nicht erreichte. Bei auffrischendem Wind fiel gegen Mittag ein Motor aus und das Luftschiff wurde Richtung Teutoburger Wald abgetrieben. Als sich die Wetterbedingungen weiter verschlechterten und abermals ein Motor ausfiel, versuchte man das näher gelegene Osnabrück zu erreichen. Ein plötzlich einsetzender Schneesturm machte aber auch dies unmöglich. Er drückte den Zeppelin so tief herunter, dass die Gondel an den Baumwipfeln hängen blieb.

Noch vor der eigentlichen Havarie war das Militär in Münster benachrichtigt worden. Alle verfügbaren Soldaten wurden zum Bahnhof befehligt, wo sie einen Zug nach Osnabrück bestiegen. Von Osnabrück ging es in Viehwaggons weiter bis Georgsmarienhütte. Dort hieß es, der LZ 7 hänge in einem Waldstück. Die Soldaten machten sich nun in Gruppen auf den Weg zur Unglücksstelle. Über den Anblick vor Ort schreibt Mevenkamp: „Und da hing nun in einem Waldstück mit nach meiner Erinnerung im Durchschnitt schenkeldicken Nadelholzbäumen dieses noch vor einer Stunde stolze Gebilde menschlichen Geistes als ein Bild der Zerstörung etwa zwei bis drei Meter hoch in den Baumkronen. Die Seidenhülle zerfetzt, die Gondeln durchstoßen von Baumstümpfen, die Propeller zersplittert. Mehrere der Mitreisenden standen noch recht verdattert herum. Ich erinnere mich an einen jungen Mann mit ‚Kreissäge‘, der um ein Haar von einer von einem Propeller schräg abgeschlagenen Baumspitze, die die Gondel durchstoßen hatte, aufgespießt worden wäre. Er hatte den Schock noch nicht überwunden.“

Glücklicherweise haben sowohl alle 20 Passagiere als auch die Crew das Unglück überlebt. Dass dies längst nicht immer der Fall war, zeigt nicht zuletzt die Katastrophe von Lakehurst (1937), wo das Luftschiff Hindenburg nach erfolgreicher Atlantiküberquerung beim Landeanflug Feuer fing. 36 Menschen starben bei diesem Unglück. Selten waren Luftschiff-Havarien jedenfalls nicht. Das zeigt auch eine Wikipedia-Seite, die unter https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Ungl%C3%BCcken_mit_Luftschiffen zahlreiche Luftschiffunglücke auflistet. 

Die Unfälle, Bruchlandungen und Abstürze der riesigen Luftschiffe taten der Begeisterung der Bevölkerung für dieses Verkehrsmittel aber keinen Abbruch. Nachdem der Luftschiffbau und die technische Weiterentwicklung der Fahrzeuge im Ersten Weltkrieg noch forciert worden waren, – immerhin waren auf deutscher Seite in diesem Krieg 300 nicht-starre und 100 starre Luftschiffe im Einsatz – war die militärische Nutzung dieses Verkehrsmittels nach dem Krieg aber erst einmal beendet. In den späten 1920er Jahren lebte jedoch die Passagierluftfahrt wieder auf. Großen Anteil daran hatte sicherlich der von der DELAG betriebene LZ 127 „Graf Zeppelin“, mit dem zuvor bereits eine spektakuläre Atlantiküberquerung und eine Weltumrundung gelungen war. Der LZ 127 war wohl das bekannteste und erfolgreichste Luftschiff seiner Zeit.

Am 10. September 1929 um 12.17 Uhr, also vor fast 90 Jahren, überflog der „Graf Zeppelin“ Rheine. Heinrich Mevenkamp erinnert sich daran, das Starrluftschiff vom Waldhügel aus gesehen zu haben. Hunderte Rheinenser seien dorthin gekommen, um sich den Anblick nicht entgehen zu lassen. In der Münsterländischen Volkszeitung hieß es im pathetischen Duktus der Zeit am 17. September hierzu: „Ein überwältigender Anblick, wie der Riese in verhältnismäßig langsamer Fahrt über der Stadt schwebt (…). Aus den Fenstern der Gondel winkt man den Tausenden, die angewurzelt vor Staunen und Begeisterung dastehen, Grüße zu. Begeisterter Beifall dankt den Bezwingern der Lüfte für den heißersehnten Besuch der arbeitsreichen Industriestadt. (...) Möge er noch vielen Deutschen jenen herrlichen Anblick vermitteln, der uns zehn Minuten ganz in seinen Bann zog.“       

Um das Luftschiff und die Passagiere vor den Schaulustigen zu schützen, wurde der Zeppelin von Ordnungskräften abgeschirmt. Gut zu sehen ist hier die Führergondel mit der Kommandobrücke, in der sich außerdem eine moderne Funkstation, die zehn Kabinen der max. 24 Passagiere, ein Aufenthaltsraum, Toiletten und Waschräume sowie die Küche befanden. Dortmund, 10.8.1930 (Foto: Hermann Tell, LWL-Volkskundearchiv)