„Ludwig hat die größte Praxis hier in Herford“. Sanitätsrat Dr. Ludwig Nolting und sein Haus am Bergertor

21.09.2021 Niklas Regenbrecht

Familie Nolting und Familie Herrmann sitzen auf der Terrasse. Foto: Kommunalarchiv Herford.

Christoph Laue

„Ludwig hat die größte Praxis hier in Herford“, mit großem Stolz berichtet Christine Rothe am 30. April 1895 ihrer Tochter Anne, dass deren Schwester Johanne nun die Braut von Dr. Nolting ist. Überprüfen lässt sich diese Behauptung nicht. Das Adressbuch 1896 nennt zwölf niedergelassene Ärzte für die etwa 20.000 Einwohner in Herford, über die Zahl der Patienten findet sich nichts.

Ludwig Nolting, geboren 1858 als Sohn von Luise Nolting, geborene Erdbrügger und Musiklehrer Heinrich Nolting, hatte sich nach seinem Studium von 1880 – 1884 und Promotion mit der Arbeit „Schwangerschaft und Geburt compliciert durch Ovarientumor“, in Berlin zum 1. April 1885 als Arzt in Herford niedergelassen und führte im Haus Bergertorstr. 4/6 seine Praxis. Der imposante Fachwerkbau aus dem 18. Jahrhundert war das letzte Haus auf der Bergertorstraße in Richtung Bergertor. Hier hatten ab 1822 der als „Brombeer-Weihe“ bekannte Arzt Dr. August Weihe und danach sein Sohn Dr. Justus Weihe auch als Homöopathen ihre Praxis.

Die Gartenansicht des Hauses an der Bergertorstraße. Foto: Kommunalarchiv Herford.

Der große Garten der Familie reichte bis an fast an die Werre, hinter dem Haus verlief die Bowerre und unter dem Haus floss die sogenannte Kleine Werre her in Richtung der Bergertormauerstraße in die Neustadt. Aus dem Haus blickte die Familie auf das Bergertor, weit über die Werre und auf den Kleinbahnhof am anderen Ufer. Gegenüber der Vorderseite des Gebäudes gingen die Bergertormauer- und Credenstraße von der hier sehr engen Bergertorstraße ab. Im Zuge der Verbreiterung der Straße musste das Haus 1940 weichen und wurde abgerissen, vorher gab es Pläne, es abzubrechen und als Hitlerjugend-Heim nach hinten versetzt neu aufzubauen. Noltings verzogen an den Pöppelmannwall 3, wo bis zu Beginn der 1990er Jahre noch die Tochter Hildegard (Hilde) lebte.

Am 6. September 1895 heiratete Ludwig die 17 Jahre jüngere Johanne Rothe, Tochter des Lederfabrikanten Friedrich Rothe und seiner Frau Christine, geborene Stedefeder, beide aus alten Herforder Familien stammend. Die Familie Nolting stammte ursprünglich aus Hausberge (heute Porta Westfalica) und Rehme (heute Bad Oeynhausen), der Legende nach stammt sie von einem im Dreißigjährigen Krieg aus Schweden gekommenen Ministersohn ab. Ludwig stellte umfangreiche Familienforschungen an.

Johanne und Ludwig Nolting bei der Gartenarbeit. Foto: Kommunalarchiv Herford.

Die Hochzeitsfeier fand im edlen Hotel Rorig am früheren Bahnübergang nahe des Herforder Bahnhof statt, die Speisefolge weist unter anderem „Frischen Rheinsalm, Filet à la Jardinière, Hummer mit Mayonnaise“ und „Entenbraten“ aus. Ein vierseitig gedruckter „Hochzeits-Kladderadatsch“ als „Fest-Nummer zur Hochzeits-Feier“ enthält viele lustige Texte und „getürkte“ humoristische Anzeigen.

Die Ehe wurde mit vier Töchtern gesegnet, von denen die erste, Lotte, aber bereits am Tag nach der Geburt starb. Marianne Nolting, 1897 geboren, heiratete 1922 den Fabrikanten Reinhold Dürkopp, Hildegard, geboren 1901, blieb unverheiratet und Anna-Elisabeth, geboren 1902 ging später als Ehefrau von Gottfried Herrmann nach Berlin.

Das Haus Bergertor 4/6 war der Mittel- und Treffpunkt der großen Familie, hier pflegten der durch Patent Wilhelm II. von Preußen vom 23. Oktober 1911 zur Führung des Titels „Sanitätsrat“ berechtigte Ludwig Nolting und seine Frau ihren großen Garten und eine Vogelzucht mit großer Voliere. Nolting war 1895 zweiter Vorsitzender des Vereins „Fauna“. Viele Fotografien zeigen Nolting auch mit seinen Hunden. Seine Praxis erwirtschaftete der Familie ein hohes Einkommen, Fotos aus dem Haus zeigen neben den großen Räumen teure Möbel und schon früh Telefon und Radio. Ein von Juli 1899 bis Dezember 1941 geführtes Haushaltungsbuch weist die Ausgaben der Familie nach und ein kleines „Contobuch für Herrn Dr. Nolting“ enthält die Namen und Kredit-Abzahlungen zahlreicher Schuldner aus den Jahren 1891 bis 1967.

Im Ersten Weltkrieg war Ludwig Nolting trotz schon höherem Alter als Bataillonsarzt beim Landsturm Infanterie Ersatz Bataillon 21 unter anderem in Szezypiorno und Skalmierzyce in Polen stationiert, wo er auch für ein großes Kriegsgefangenenlager für Polen zuständig war. Im März 1935 konnte Nolting sein 50jähriges Arzt-Jubiläum feiern, zum dem ihm etliche Kollegen aus Herford gratulierten. Am 19. Mai 1935 verlieh ihm der Ärzte Verein Minden-Lippe auf seiner Frühjahrstagung die Ehrenmitgliedschaft. 1944 erhielt er – nach dem Eisernen Kreuz II. aus 1. Weltkrieg und dem Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer 1936 noch das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse ohne Schwerter durch den Gaugesundheitsführer verliehen.

Ludwig Nolting mit seinen Schäferhunden. Foto: Kommunalarchiv Herford.

Die Familie berichtet über Wohltaten Ludwig Noltings. So von kostenloser ärztlicher Versorgung von Armen und der heimlichen Behandlung von Juden spät abends, weshalb die Kinder früher ins Bett geschickt wurden. Ein Enkel erzählt, dass er zum Brot holen durch die Bergertormauer gegangen sei und von bösen Buben beraubt werden sollte. Da hätten aber andere Buben gesagt, „den lasst mal in Ruhe, das ist der Enkel von Dr. Nolting, der hat uns immer gut behandelt.“

88-jährig starb Ludwig Nolting am 25. November 1946 in Herford, seine Frau überlebte ihn noch um 21 Jahre und starb einen Tag vor Ihrem 92. Geburtstag 1967. Teile des Familiennachlasses – auch zur Familie Dürkopp - befinden sich seit kurzem im Kommunalarchiv Herford, neben vielen Fotos und Dokumenten auch handgeschriebene Kochbücher bis in die 1880er Jahre zurück. Forscher zum Alltagsleben finden hier eine reiche „Beute“.

Das Arbeitszimmer von Ludwig Nolting. Foto: Kommunalarchiv Herford.

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 117, 16.06.2021, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

Link: https://www.kreisheimatverein.de/wissen/hf-magazin/

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Schlagworte: Christoph Laue · Kaiserzeit