600 Jahre Werner Rolevinck und das Alltagsleben der Westfalen

08.08.2025 Niklas Regenbrecht

Hinweistafel am Rolevinck-Hof in Laer.

Andreas Eiynck

Er zählt zu den Klassikern der westfälischen Geschichtsschreibung: Der Kölner Karthäusermönch und Autor Werner Rolevinck (1425-1502), gebürtig von einem Bauernhof im Münsterland. Und dessen Geburtstag jährt sich 2025 zum 600. Mal. Das darf gefeiert werden.

Die Abteilung für Westfälische Landesgeschichte am Historischen Seminar der Universität Münster veranstaltete hierzu im Juli dieses Jahres eine Tagung, bei der Person und Werk des Autors Werner Rolevinck umfassend beleuchtet wurden

An dieser Stelle müssen daher der Lebensweg Rolevincks, sein Lebenswerk und dessen Rezeption nicht noch einmal geschildert werden. Es mag der Hinweis genügen, dass sein Hauptwerk sicherlich der „Fascilulus temporum“ von 1473 darstellt, eine Universalgeschichte, die in etwa 50 Druckausgabe eine Gesamtauflage von 100.000 Exemplaren erreichte. Das war für die Zeit Rolevincks eine ungeheure Verbreitung.

In seiner Heimatregion Westfalen ist Rolevinck bis heute bekannt durch sein „Westfalenlob“: „De laude Saxoniae nunc Westfaliae dictae“ (Zum Lobe Westfalens, des alten Sachsenlandes), das 1478 erstmals erschien. Es gilt als älteste Kulturgeschichte einer deutschen Landschaft und einige der dort formulierten Stereotypen über Westfalen und seine Bewohner:innen sind bis heute verbreitet.

Im Zusammenhang mit der traditionellen „Westfälischen Volkskunde“ wurde Rolevinck häufig zitiert, denn außer der Geschichte des Landes schildert er auch die Lebensweise und die Charaktereigenschaften seiner Bewohner:innen. Immer wieder zitiert wird dabei eine Passage aus dem 2. Kapitel des III. Buches des „Westfalenlobes“: „In einer armseligen Hütte auf dem Lande steht ihre Wiege. Als kleine Kinder müssen sie schon das Vieh hüten. Mit bloßen Füßen trippeln sie über die harten Schollen. Ihre Kleidung besteht aus rauhem Hanfgewebe. Mit grobem Brot und Gerstengrütze stillen sie ihren Hunger. Und wie sieht es mit ihrem Hausrat aus? Ihre Betten, wenn sie überhaupt welche haben, sind harte Lagerstätten aus Stroh und Heu. Aus grober Leinwand und rauhen Lumpen machen sie sich ihre Kleider. Ihre Kücheneinrichtung besteht aus: Wasserkessel, Kochtopf, Schüssel, Löffel, Trinkbecher, Napf, Faß, Korb, Spind, Kiste und ähnlichen Dingen. Manchmal haben sie von diesen Gegenständen nur je einen, mitunter auch mehrere, doch werden diese zu allen möglichen Zwecken verwendet. Um Wasser zu holen, Füße zu waschen, Essen zu bereiten, gebraucht man denselben Eimer. Die Todesstrafe steht beinahe darauf, wollte jemand von diesem alten Herkommen abweichen. In solchen häuslichen Verhältnissen wachsen die Kinder auf, die später in die Fremde gehen. Nach fünf weiteren Jahren sind sie imstande, schwerere Arbeiten zu verrichten. Dann kommt ihnen das Viehhüten ihrer Kinderzeit als Müßiggang vor, und sie ziehen mit dem Pflug auf den Acker, fahren Erntewagen und Kutschen, helfen beim Dreschen und Düngen; kurz, packen überall tüchtig dort mit an, wozu eigentlich Männerkräfte gehören.“

Rolevinck schildert auch manche Bräuche, etwa die Umzüge zum Eiersammeln in der Zeit vor Ostern, oder die mittelalterlichen Wallfahrten zu berühmten Reliquien. Bei alledem sorgt er dafür, dass der Bauernstand und die alteingesessene Bevölkerung seiner Heimat charakterlich in bestem Lichte erscheinen. Die Armut breiter Bevölkerungsschichten übersieht er dabei nicht: „… alle tragen die furchtbaren Fesseln der Sorge, daß die Not ihre alten Tage bedroht. Das Ackerland bei uns ist ja nicht so ertragreich und wer nichts hat, wie will der auf ehrliche Weise zu etwas kommen!“

Rolevinck beschreibt Westfalen als ein Auswandererland, um dann an vielen Beispielen zu schildern, wie die in der Heimat erworbenen Eigenschaften maßgeblich zum Erfolg der Ausgewanderten in der Fremde beitragen.

Viele Sagengestalten, Heiligenlegenden und sagenhafte Begebenheiten hat Rolevinck in seinem „Westfalenlob“ dokumentiert. Daran haben mache örtliche Traditionen angeknüpft, etwa das Wirken der beiden Ewalde in seinem Heimatort, dem „Ewaldidorf“ Laer, wo selbst der Dorfbach nach ihnen benannt wurde.

Dort in Laer ist die Geburtsstätte des berühmten Autors, der alte Rolevinck-Hof (heute Schulte Altenroxel), ein großer Bauernhof am Rande des Ortskerns, bis heute im Ortsbild präsent und mit einer Erinnerungstafel ausgezeichnet. Ein Straßenname und der Name der Schule erinnern an den berühmtesten Spross der Gemeinde.

Im Mai des Jubiläumsjahres gab es in Laer als „dreitägiges Familienfest“ ein „mittelalterliches Marktgeschehen“, für das die Gemeinde das Unternehmen „Anno. Events – Mittelalterliche Feste & Märkte“ engagiert hatte. Mit einer Ausstellung in der Galerie Lengerhaus führte Galerist Thomasz Samek die Besucher:innen unter dem Titel „Fasciculus Temporum - Der erste Bestseller der Welt“ in die Bücherwelt des ausgehenden Mittelalters ein.

Doch auch dauerhaft sichtbar hat die Gemeinde Laer im Jubiläumsjahr die Erinnerung an Werner Rolevinck dokumentiert: mit einem kleinen Denkmal für den großen Sohn des Ortes auf dem Rathausvorplatz. Geschaffen hat das bronzene Bildwerk das Künstlerehepaar Renate und Leo Janischewsky aus Burgsteinfurt. Die Bronzeskulptur zeigt den berühmten Autor nicht als Karthäusermönch, sondern als lesebegeisterten Knaben. „Diese Darstellungsweise soll insbesondere seine unersättliche Neugier und seinen Wissensdurst symbolisieren“, heißt es in einer Mitteilung der Gemeinde Laer zur Aufstellung des Denkmals

Das in seiner Konzeption recht gegenständlich gehaltene Bildwerk reiht sich ein in eine Vielzahl ähnlich gestalteter Arbeiten des Ehepaares Janischewsky. Sie knüpfen inhaltlich häufig an örtliche Besonderheiten oder historische Begebenheiten an und finden sich auf zahlreichen Plätzen und in vielen Fußgängerzonen der Region. Die Popularität ihrer Werke für den öffentlichen Raum kennte offenbar kaum Grenzen. Künstlerwettbewerbe, Abstraktion als Denkanstoß und Kunstjurys sind in diesem Zusammenhang im ländlichen Raum und kommunalen Umfeld offenbar nicht stark gefragt. Häufig entscheidet kurzerhand ein Sponsor oder anderer Finanzier über die Auftragsvergabe.

Ein weit verbreiteter Aufkleber weist aus das Rolevinck-Jubiläum hin.

Eine Erinnerungskultur ganz anderer Art pflegt übrigens schon seit einigen Jahren eine unbekannte Person oder Gruppe, mutmaßlich aus dem nördlichen Münsterland. Dort sieht man seit 2023 an manchen Verkehrsschildern und Laternenpfählen einen Aufkleber mit den Konterfei Werner Rolevincks und dem einfachen Text: „Werner Rolevinck - 1425 Laer 1502 Köln – Mönch Jurist Autor – Erster Historiker WESTFALENS – 2025: 600 Jahre Rolevinck: 'Buch zum Lobe Westfalens'.“ Doch nicht überall kommt diese Art der „Guerilla-Werbung“ auch gut an – die Gemeinde Laer zumindest hat Strafanzeige erstattet.

 

Für die Zitate wurde benutzt:

Werner Rolevinck: Das Buch zum Lobe Westfalens. Herausgegeben von Annelise Raub. Nach der Ausgabe Hermann Bückers von 1953 neu bearbeitet und herausgegeben von Annelise Raub. Verlag Aschendorff, Münster 2002.

Aus Sicht der Alltagskulturforschung sei an dieser Stelle auch verwiesen auf Hans-Jürgen Warnecke: Das Hofrecht von Schulze Rolevinck in Laer. In: Westfälische Zeitschrift 130, Paderborn 1980, S. 31-49.

Kategorie: Aus anderen Sammlungen

Schlagwort: Andreas Eiynck