Reinhold Budde: eine ambivalente Persönlichkeit
Wie sind die Bilder entstanden? Reinhold Budde (1904-1968) kam aus Enger im Kreis Herford. In den 1920er Jahren war er dort als Kaufmann tätig. In der Weltwirtschaftskrise 1929 verlor er seine Arbeit und schulte an der Evangelischen Wohlfahrtsschule Berlin zum Sozialarbeiter um. In seinen Heimatort zurückgekehrt, arbeitete er ab 1932 als Wohlfahrtspfleger und ab 1939 als Sozialamtsleiter sowie „Volkspfleger“. 1933 trat Budde der NSDAP bei, was vermutlich bei der Beförderung zum Sozialamtsleiter eine Rolle gespielt hat, dann aber 1945 zu seiner Amtsentlassung führte.
Budde war kulturell interessiert und engagiert und stand möglicherweise vor allem dem evangelisch-konservativen Milieu nahe. Er veröffentlichte in der NS-Zeit über lokalgeschichtliche Themen in der lokalen Tageszeitung Herforder Kreisblatt. Darunter befindet sich auch ein Stadtrundgang für Touristen. Darin beschreibt Budde detailreich die Kirche mit dem Grabmal des Herzogs Wittekind, der dort im 9. Jahrhundert gelebt haben soll. Im Rahmen von Zeitungsartikeln befasste er sich auch mit handwerksgeschichtlichen Themen.
Zwischen 1938 und 1948 filmte Budde – mit maßgeblicher Unterstützung und im Auftrag der Stadt Enger – eine Reihe von offiziellen Ereignissen in der Stadt. Das waren überwiegend Veranstaltungen der NS-Machthaber, so die Eröffnung der „Widukind-Gedächtnisstätte“ – ihre Einrichtung war durch einen Besuch der NS-Größe Himmler angestoßen worden –, der Besuch der „Alten Garde“ der NSDAP und ein „Jubelschützenfest“.
Eine Dokumentation traditioneller Alltagskultur
Reinhold Budde hatte eine genaue Vorstellung davon, was er fotografieren wollte. Es ging ihm um Ausprägungen traditioneller und ländlich-bäuerlicher Alltagskultur im Amt Enger.
Gegenstände seines Interesses waren die ältesten Häuser, Gehöfte mit ihrem Bewuchs, die umliegenden Felder, die Innenräume mit Möbeln und Arbeitsgeräten, aber auch (traditionelle) Kleidung und Schmuck. Besonders umfangreich berücksichtigte er immaterielles Kulturerbe: Arbeitstechniken der Landwirtschaft, die er in Fotoserien dokumentierte, und Landhandwerke sowie Alltags- und Festtagsbräuche. Die Bilder zeigen einen antimodernen Blickwinkel. Buddes Dokumentationen sind bewusst selektiv: „Unpassende“, „moderne“ Dinge wie Neubauten aus der Boomphase des Kaiserreichs, Autos, Lastwagen und Verkehrsanlagen, moderne Industrieanlagen oder Industriearbeitsplätze werden ausgespart. All das kommt nicht vor. Menschen in moderner Kleidung konnte Budde allerdings nicht immer vermeiden.
Budde hat sein selektives Vorgehen, seinen besonderen Blick auf Vergangenes, nicht selbst erdacht. Er hat sicherlich Veröffentlichungen gekannt, die mögliche Motive zeigten, die zu einer Dokumentation gehören konnten, wie er sie plante. Den wissenschaftlichen Hintergrund dazu bot das, in den 1930er Jahren noch neue, Universitätsfach Volkskunde. Die Volkskunde suchte Kulturgüter, materielle und immaterielle, vor allem im ländlichen Raum, wo man glaubte, mehr als in der Stadt altartige, „ursprüngliche“ Kulturphänomene finden zu können. Der geschichtliche und gesellschaftliche Hintergrund wurde vernachlässigt, das Bild einer geschichtslosen Vorzeit gezeichnet. Die auf die Gegenwart gekommenen, materiellen und immateriellen Relikte aus der Vergangenheit galt es vermeintlich zu retten bzw. zumindest zu dokumentieren. Dem im Kollektiv auftretenden „entwurzelten“ Städtern sollten die Menschen auf dem Land als bodenständige und naturverbundene Vertreter:innen eines germanischen Volkstums gegenübergestellt werden. Diese Sichtweise war aus der sogenannten Heimatschutzbewegung heraus entstanden und passte zur „Blut- und Boden“-Ideologie des NS-Regimes. Eher ausgeblendet, wurde dabei die ländliche Lebensrealität, die sich mit der Industrialisierung eingestellt hatte. Die harte und schlecht bezahlte Arbeit in der Landwirtschaft war schon lange nicht mehr sonderlich attraktiv. Durch die Verbesserung ihres Images und Sozialprestiges sollte dem entgegengewirkt werden.