Uneheliche Kinder, Unterhaltsforderungen und sexualisierte Gewalt: Amtmann und Drost berichten zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus dem Amt Rahden

15.02.2022 Niklas Regenbrecht

Heute Ruine, früher Zentrum des Amtes Rahden: Die in ihren Gründen bereits mittelalterliche Burg war Sitz des Amtmanns. Hier fand sich auch die Amtsstube, Foto: Sebastian Schröder.

Sebastian Schröder

Das Fürstentum Minden war in der Frühen Neuzeit in mehrere Verwaltungsämter gegliedert, darunter im Nordwesten das Amt Rahden. An der Spitze der Ämter standen sogenannte Drosten, die innerhalb ihrer Bezirke ein gehöriges Mitspracherecht in landesherrlichen Angelegenheiten und darüber hinaus bei zahlreichen Entscheidungen das letzte Wort besaßen. Den Drost unterstütze ein Beamter, der auch als Amtmann bezeichnet werden kann. Das war allein deshalb notwendig, weil der Drost nicht zwingend vor Ort anwesend war. Der Amtmann fungierte quasi als Schnittstelle zwischen den Untertanen, dem Drost und den übergeordneten Landesbehörden. Zudem versah er die amtliche Gerichtsbarkeit, worunter vor allem kleinere Delikte fielen. Daneben bestellten die landesherrlichen Verwaltungen einen adligen Landdrost, der in den Ämtern ein gehöriges Mitspracherecht und darüber hinaus in zahlreichen Angelegenheiten das letzte Wort besaß.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war der Adlige Heinrich von Münch, Besitzer des Rittergutes Benkhausen, Landdrost im Territorium Minden und somit auch für das Amt Rahden zuständig. Unter anderem oblag es ihm – oder während seiner Abwesenheit dem Amtmann – in Sexualdelikten und Ehestreitigkeiten zu entscheiden. Beispielsweise ging es im Jahr 1715 um eine finanzielle Beihilfe für Barbara Sandtmann und ihr uneheliches Kind, das sie ausgerechnet mit Hermann Meyrose, einem Diener des Landdrosten, gezeugt hatte. Zunächst bestritt Meyrose, der Vater des Kindes zu sein. Vielmehr bezeichnete er Sandtmann als eine „leichtfertige Dirne“. Dennoch drängte das Amt, dass er die alleinerziehende Mutter heiraten solle, um den Lebensunterhalt der jungen Familie zu sichern. Dem Amtmann war es ein großes Anliegen, dass Sandtmann nicht in die Armut abrutschte und dann letztlich staatlicher- oder kirchlicherseits hätte versorgt werden müssen.

Prostitution spielte auch bei der Untersuchung der Schwangerschaft der Anna Dorothea Krämer im August 1714 eine Rolle. Partout weigerte sich die Frau, den Namen des Mannes zu nennen, der sie geschwängert hatte. Sie gab lediglich zu Protokoll, der Gesuchte sei in der Gastwirtschaft zu (Preußisch) Ströhen erschienen, wo sie gedient habe. Nachts habe sie der Mann in ihrer Kammer besucht und ihr 24 Groschen für den Geschlechtsverkehr gegeben. Anschließend sei er weiter nach Bremen gezogen. Offenbar handelte es sich um einen Schustergesellen aus Herford, der gerade auf Wanderschaft war.

Dem Amtmann ging es bei der Untersuchung der beiden Fälle weniger um die Moral als vielmehr darum, dem Amt den Unterhalt einer Mutter und ihres unehelichen Kindes zu ersparen.

Ganz anders verhielt es sich in folgendem Fall: Im September 1714 wurde der junge Rüter auf der Langenriede aus dem Kirchspiel Rahden beim Amtmann zu Rahden vorstellig. Er beklagte sich „bitter“ über seinen Schwiegervater, der ihn übel im Hause traktiere. Auch seine Ehe sei zerrüttet, berichtete Rüter. So hätte seine Gattin den Schlüssel zum Brotschrank versteckt – wohl auf Betreiben des garstigen Schwiegervaters. Einen ganzen Tag habe Rüter ohne einen Bissen Brot oder Essen verbringen müssen. Weil er das „Schappe“, worin das Brot lagerte, nicht gewaltsam zerstören wollte, habe er den Schlüssel erbeten. Daraufhin hätte seine Ehefrau einen Knüppel ergriffen und den jungen Rüter damit geschlagen, sodass dessen Faust schwer verletzt wurde. Der Rahdener Amtmann bestellte deshalb umgehend die resolute Dame in die Amtsstube ein. In Anwesenheit der streitenden Eheleute schlug er vor, einen Ehevertrag auszuhandeln. Wohlgemerkt: Zu diesem Zeitpunkt lag die Trauung erst ein halbes Jahr zurück. Rüters Gattin hielt jedoch gar nichts von diesem Vorschlag, wie sie unmissverständlich zum Ausdruck brachte, indem sie ihren Mann lautstark schalt. Damit die Situation nicht weiter eskalierte, ließ der Amtmann die Frau in der „Wachtstube“ arrestieren und sogleich deren Eltern herbeizitieren. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass sich das Rütersche Gehöft finanziell in einem „desolaten“ Zustand befand. Dazu trügen auch die Senioren bei, die sich „von ihrem Bettelbrode satt eßen undt dennoch fast doppelte Leibzucht genießen wollen“, wie sich der Rahdener Amtmann echauffierte. Um sie zur Vernunft zu bringen, ordnete der Beamte eine Gefängnisstrafe an, weil er keine andere Möglichkeit sah, die bäuerliche Besitzung vor dem wirtschaftlichen Ruin zu retten.

Diese Angelegenheit ist gleich in mehrfacher Hinsicht äußerst aufschlussreich. Einerseits zeigt sich, dass sexualisierte oder häusliche Gewalt durchaus auch von Frauen gegenüber Männern verübt wurde. Andererseits zeugt die Schilderung davon, wie die landesherrlichen Behörden penibel darauf achteten, dass die bäuerlichen Besitzungen ein hinreichendes Auskommen besaßen. Bei heruntergewirtschafteten Gehöften bestand die Gefahr, dass Steuern und Abgaben nicht mehr gezahlt werden konnten; insofern war dem Amtmann sehr daran gelegen, die finanzielle Situation der Rüterschen Stätte zu verbessern. Deshalb sah er sich genötigt, sowohl die Ehefrau als auch deren Eltern in Gewahrsam zu nehmen, denen er ein schwerwiegendes Fehlverhalten vorwarf. Schließlich erkennt man, dass die Bäuerin, der Bauer und mitunter die Altenteiler eine enge Einheit bildeten, die unweigerlich über Gedeih oder Verderb der Stätte entschied. Dissonanzen konnten schnell das fragile System Hof ins Wanken bringen.

 

Quellen: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, Haus Benkhausen, Akten, Nr. 1102, 5665, 6135, 6721, 8608.