Ein Buch aus „Vorliebe fürs Vaterland“: August Karl Holsches „Historisch-topographisch-statistische Beschreibung der Grafschaft Tecklenburg“

18.11.2025 Niklas Regenbrecht

Deckblatt von Holsches „Beschreibung der Grafschaft Tecklenburg“, Berlin und Frankfurt an der Oder 1788. (Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb10019639?page=9)

Sebastian Schröder

Im Jahr 1788 ließ ein preußischer Assistenzrat aus dem westpreußischen Bromberg seine 588 Seiten starke „Historisch-topographisch-statistische Beschreibung der Grafschaft Tecklenburg“ drucken. Sein Name lautet: August Karl Holsche. Dass sich in Diensten der Krone stehende Beamte mit der Geschichte eines Territoriums auseinandersetzen, wäre an und für sich nicht ungewöhnlich. Aber wieso beschäftigte sich ausgerechnet ein in Westpreußen tätiger Staatsdiener mit der ganz am anderen Ende des preußischen Herrschaftsbereichs gelegenen Grafschaft Tecklenburg?

Ein Blick in die Vita Holsches lüftet dieses Geheimnis. Geboren 1749 in Hannover, studierte Holsche ab 1766 in Göttingen Rechtswissenschaften. Anschließend heuerte er bei der Kriegs- und Domänenkammer in Minden an, der preußischen Lokalverwaltung für die Territorien Minden und Ravensberg sowie Tecklenburg und Lingen. Wenige Jahre später, ab 1773, war der Jurist direkt in Tecklenburg stationiert, wo er als Hoffiskal fungierte und somit quasi das Amt eines Staatsanwaltes versah. Vergeblich bemühte er sich, eine Anstellung in Berlin zu erlangen. Doch erst weitreichende Veränderungen der Gerichts- und Justizlandschaft aufgrund landesherrlicher Reformen führten dazu, dass Holsche seine Stellung in Tecklenburg aufgeben konnte und 1787 in Bromberg zum Assistenzrat befördert wurde. Und so erzählte er selbst in der Vorrede seiner Landesbeschreibung: „Ein funfzehnjähriger  Aufenthalt in der Grafschaft Tecklenburg hat mir Gelegenheit gegeben, über die Verfassung dieser Provinz nachzudenken, und zu deren Beschreibung einige Materialien zu sammlen; gute Freunde aber haben mich ersuchet, meine Sammlung in Ordnung zu bringen und öffentlich bekannt zu machen.“ Gleichwohl sah sich der preußische Beamte auch mit Zweifeln konfrontiert: „Der Gegenstand, welchen ich bearbeitet habe, ist gering, und mancher wird denken: der Mann hätte die Mühe sparen können, weil dies Ländchen nur eine Brocke vom Ganzen ist, womit es in Verbindung stehet.“ Dennoch verdeutlichte Holsche gleich zu Beginn seiner Studie, dass die Grafschaft Tecklenburg eine eigenständige Geschichte besitze, die es lohne, näher ergründet zu werden. Schließlich könne die gegenwärtige Lage eines Landstrichs nur mit Blick in die Vergangenheit hinreichend erklärt werden. Zugleich veröffentlichte der Jurist sein Werk für denjenigen Leser, „der Vorliebe fürs Vaterland hat“. Einerseits richtete sich Holsche also direkt an die tecklenburgische Bevölkerung, wobei wohl vornehmlich an diejenigen Personen als Leser gedacht hat, die lesen und schreiben konnten – also eher eine gebildete Schicht, zu der etwa Pfarrer, Staatsdiener oder Kaufleute gezählt haben dürften. Andererseits hoffte Holsche, sein „Traktat“ diene „in der Folge zur Verfassung einer vollständigen Geschichte und Beschreibung Westphalens“.

Demzufolge betrachtete der Autor sein Buch als eine Art Zwischenbericht auf dem Weg zu einer weiteren Beschäftigung mit der westfälischen Geschichte. Und er selbst meinte, dass sich zur tecklenburgischen Vergangenheit noch weitaus mehr zusammentragen ließe; einige Passagen könnten in Zukunft womöglich noch „weggestrichen, berichtiget, ergänzet, verbessert und ausgefeilet“ werden. In diesem Zusammenhang benannte Holsche die Schwierigkeit, überhaupt an schriftlich gesichertes Wissen zu gelangen. Ein Archiv sei während seiner Dienstzeit in Tecklenburg nicht vorhanden gewesen – alle landesherrlichen Unterlagen lagerten in Minden in der Registratur der Kriegs- und Domänenkammer. In den Worten Holsches heißt es: „Auf dem hiesigen Schlosse findet sich nichts Brauchbares mehr, es ist alles weggeschafft, und zu den Archiven der Nachbarn wird mir der Zutritt nicht gestattet.“ Somit habe er seine Informationen vor allem aus anderen Büchern oder Druckwerken gewonnen, wobei er durchaus gewisse Ungereimtheiten der älteren Literatur aufgespürt habe. Welche Publikationen genau auf dem Lesepult des Beamten lagen, verrät er jedoch nicht: „Verschiedene Begebenheiten hätte ich durch Urkunden ins Licht zu setzen gewünscht, denn es kommt noch sehr viel Dunkles und Widersprechendes darin vor, welches ich nach meinen Kräften zu berichtigen gesuchet. Die Quellen, woraus ich geschöpfet, habe ich nicht angeführet, denn es ist keine ausführliche Geschichte, sondern nur ein Faden, um auf die gegenwärtige Lage zu kommen; wer kritisch darüber urtheilen will, wird schon wissen, was er nachlesen muß.“

Bei aller eigenen Bescheidenheit: Holsche präsentierte einen umfassenden Überblick über die Herrschaftsgeschichte der Grafschaft, genealogische Verbindungen des Grafengeschlechts, er listete Bevölkerungszahlen auf, behandelte die innere Gliederung des Territoriums und setzte sich mit „Kultur, Handel und Gewerbe“, „Religion und Schulwesen“, dem Adel, dem Rechtswesen, der preußischen Lokalverwaltung, den landesherrlichen Eigenbesitzungen sowie den territorialen Sonderrechten (worunter das Jagdrecht, die Gewinnung von Bodenschätzen sowie das Post- und Zollwesen fallen) auseinander. Darüber hinaus erfährt die Leserschaft etwas über die Organisation des Militärs, das „Medicinalwesen“ und „von dem gesellschaftlichen Leben“. Kurzum: Geradezu zu allen erdenklichen Themen, die ihm während seiner Dienstzeit in Tecklenburg begegneten, äußerte sich Holsche. Zusätzlich publizierte er als Anhang einige tecklenburgische Verordnungen. Dadurch gewinnen seine Aufzeichnungen einen herausragenden historischen Wert. Insbesondere auf die Frage, wie die Zeitgenossen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Tecklenburger Land wahrnahmen und beschrieben, liefert er Antworten – dazu im nächsten Blogbeitrag mehr.

 

Quelle: August Karl Holsche, Historisch-topographisch-statistische Beschreibung der Grafschaft Tecklenburg nebst einigen speciellen Landesverordnungen mit Anmerkungen, als ein Beytrag zur vollständigen Beschreibung Westphalens, Berlin/Frankfurt an der Oder 1788.