Die Tat, die am 1. März 1980 nicht nur Münster, sondern die gesamte Bundesrepublik erschütterte, war Teil einer Anschlagserie der Provisional Irish Republican Army (IRA), die seit den späten 1970er Jahren britische Armeeangehörige und Militäranlagen in Nordrhein-Westfalen ins Visier nahm. Auftakt war eine Reihe koordinierter Bombenanschläge im Jahr 1978, bei denen innerhalb weniger Stunden Sprengsätze an den Außenmauern und –zäunen britischer Kasernen und Depots in Mönchengladbach, Krefeld, Düsseldorf, Ratingen, Duisburg, Mühlheim, Bielefeld und Minden gezündet wurden. Menschen wurden dabei glücklicherweise nicht verletzt. Im Jahr 1980 führte die IRA drei weitere Anschläge durch, diesmal wesentlich direkter und brutaler. Genau zwei Wochen vor dem beschriebenen Attentat auf die beiden Militärpolizisten in Münster war in Bielefeld der 43jährige britische Stabsoffizier und Vater von vier Kindern Marc Coe vor seinem Haus niedergeschossen worden, als er gerade in seine Einfahrt fuhr. Er erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Am 10. März wurde schließlich der 24 Jahre alte Unteroffizier Steven Sims in Osnabrück bei einem Lauf durchs Heger Holz von fünf Kugeln aus einem Revolver getroffen. Der an Hüfte und Arm verletzte Soldat konnte noch einen Kilometer weiterlaufen und überlebte den Mordversuch. In keinem der Fälle konnten die Verantwortlichen ermittelt werden. Die IRA bekannte sich öffentlich zu den Anschlägen, wobei sie auf das Verständnis der deutschen Bevölkerung und ihre Ablehnung der britischen Präsenz auf deutschem Boden baute:
„Wir nehmen an, dass das deutsche Volk mit dem demokratischen Recht des irischen Volkes auf Selbstbestimmung, das ihnen von der britischen Regierung verwehrt wird, sympathisiert. [...] Wir versichern den Deutschen, daß keiner der Angriffe auf sie abzielt – sondern allein auf das britische Militär und die Administratoren, die unser Volk unterdrücken.“ (Münstersche Zeitung, 12.3.1980)
Wenig später erschien im Spiegel ein Interview mit „Patrick“, einem Mitglied aus der Führungsriege der IRA. Danach gefragt, warum die Organisation nun auch in der Bundesrepublik aktiv geworden sei, führte er aus:
„Fast alle Soldaten, die in Nordirland eingesetzt werden und dort unser Volk unterdrücken, sind bei der britischen Rhein-Armee in Deutschland stationiert. Nach einem Rotations-System werden sie für eine gewisse Zeit in Ulster stationiert und kehren dann nach Deutschland zurück. Vor allem aber: Sie werden dort gezielt für ihre dreckige Arbeit in den Straßen unserer Städte und Dörfer ausgebildet.“ (Der Spiegel, Nr. 15/1980)
Gemeint war damit der Truppenübungsplatz Senne nördlich von Paderborn, auf dem die britische Armee zu Trainingszwecken eine Kulissenstadt nach dem Vorbild West-Belfasts errichtet hatte. „Tin City“, benannt nach ihren maßstabsgetreu aus Wellblech nachgebauten Reihenhäusern, diente fortan zur Vorbereitung auf Einsätze britischer Soldaten in Ulster. Mitten in Westfalen übten Angehörige der Rheinarmee die Kontrolle verdächtiger Personen, bereiteten sich auf Ausschreitungen und Bombenanschläge vor und trainierten den Häuserkampf in nach ihren nordirischen Vorbildern benannten Straßenzügen.
„Belfast liegt im Münsterland“ titelte sieben Jahre später Die Zeit, ohne die genaue Lage von „Tin City“ zu kennen, als eine weitere Anschlagserie die Menschen in Nordrhein-Westfalen in Angst versetzte (Die Zeit, Nr. 39/1989). Diese zweite Serie begann im März 1987 mit der Explosion einer 100 Kilogramm schweren Autobombe am Hauptquartier der Rheinarmee in Mönchengladbach, bei der 31 Menschen verletzt wurden. Bis 1990 verübte die IRA zahlreiche weitere Anschläge auf Einrichtungen und Mitglieder der britischen Armee im Rheinland und in Westfalen, aber auch in Hannover und im niederländischen Roermond. Sieben Menschen kamen dabei ums Leben, Dutzende weitere wurden verletzt. Trotz wiederholter Beteuerungen der IRA, die Angriffe würden sich lediglich gegen britische Soldaten richten, befanden sich immer wieder auch Zivilisten unter den Opfern. In Unna beispielsweise wurde die deutsche Ehefrau eines britischen Oberfeldwebels am Steuer ihres Autos erschossen, weil die Täter sie aufgrund des britischen Kennzeichens für eine Armeeangehörige hielten. In der niederländischen Grenzstadt Roermond fielen zwei australische Touristen einer ähnlichen Verwechslung zum Opfer. Die IRA bekannte sich zu diesen Vorfällen und drückte ihr Bedauern aus, führte ihren „Kampf“ auf deutschem Boden jedoch unbeirrt weiter.