„Wenn ich zuweilen durch ungebührliches Betragen Dich kränkte…“. Briefsteller und Neujahrsbriefe in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

16.12.2025 Niklas Regenbrecht

Michael Rosenkötter

In der Sammlung von 61 Briefen und sonstigen Schriftstücken des ehemaligen Offiziers und Grenzaufsehers Ludwig Rosenkötter befinden sich auch drei Briefe seiner Kinder an ihre Eltern. Im März 1843 schrieb der fast siebenjährige Emil seinem Vater zu dessen 41. Geburtstag:

„Herbern den 10ten März 1843

Lieber Vater!

Mit der herzlichen Freude bringe ich Dir den aufrichtigsten Glückwunsch zu Deinem Geburtstage. Gott möge Dich noch lange Jahre gesund und froh in unserer Mitte erhalten, und mit dankbarem Herzen werde ich, als gehorsamer Sohn, für Deine mir erzeigten Wohlthaten, durch Fleiß und Folgsamkeit, Dir Freude zu machen suchen. Wenn ich zuweilen durch ungebührliches Betragen Dich kränkte, so bitte ich Dich sehr um Vergebung, verspreche heute an Deinem Geburtstage, daß es nicht wieder geschehen soll, und bitte Dich, recht lieb zu behalten Deinen gehorsamen Sohn Emil Rosenkötter“

Ein Jahr darauf, 1844, übergab der fast achtjährige Sohn Emil seiner Mutter einen ordentlich gefalteten und versiegelten Brief. In einem eigentümlichen Gemisch aus Kurrent- und lateinischer Schrift gratulierte Emil seiner Mutter Jette zum Geburtstag:

„Liebe Mutter!

Dein Geburtstag ist mir der feierlichste Tag im ganzen Jahre, und wie könnte ich wohl anders, als an diesem Tag Dir zum Geburtstag zu gratulieren. Ich will den Lieben Gott bitten, dass Er Dir ein langes Leben schenke und Dich gesund und heiter lasse. Auch bitte ich Dich recht sehr um Verzeihung, wenn ich Dich zuweilen durch jugendlichen Mutwillen betrübte, und gebe Dir das Versprechen, von jetzt an stets nach Deinem mütterlichen Rat zu handeln und Deine kleinsten Winke zu befolgen. Auch werde ich mir Mühe geben, durch meinen Fleiß Dir Freude zu machen. Dass Du diesen herzlichen Wunsch und diese aufrichtige Versicherung freundlich aufnehmen mögest, dieses wünscht Dein gehorsamer Sohn Emil Rosenkötter“

Zweifellos sind dies nicht die Worte eines Sieben- oder Achtjährigen, der die erste oder zweite Klasse der Elementarschule besuchte. Emil drückte in den Briefen nicht seine eigenen Gedanken und Wünsche aus, sondern folgte irgendwelchen Anleitungen. Davon gab es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine ganze Menge:

・Theoretisch-praktischer Briefsteller für mannigfaltige Fälle des bürgerlichen Lebens in der fünften Auflage 1809;

・Lehr- und Handbuch zum Gebrauche in den weiblichen Feiertags-Schulen, 1822;

・Die Feier kindlicher Liebe und Dankbarkeit, an Familien- und Schulfesten. Eine Sammlung von 250 Glückwünschen, 1825;

・Methodisches Handbuch für den Unterricht in den deutschen Stylübungen. Ein Leitfaden für Lehrer in Elementar- und Bürgerschulen von Wilhelm Rehm. Essen 1838;

・Methodische Anweisung zum Unterricht in den deutschen Stilübungen mit besonderer Rücksicht auf die Fertigkeit im mündlichen Vortrage entworfen, und mit vielen stufenmäßig geordneten Uebungsaufgaben ausgestattet. Ein Handbuch für Lehrer in Elementar- und Bürgerschulen von Karl Bormann. Berlin 1846

Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts erschienen solche Ratgeber und spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die als Briefsteller bezeichneten Hand- und Hilfsbüchlein, Hausaufgaben- und Stoffsammlungen auch für den Schulunterricht herausgegeben.

Auch der 14-jährige Oscar, ein Bruder vom Emil, hat für einen Neujahrsbrief an seine Eltern 1849 wohl eine Vorlage benutzt. Ob diese auf einen Briefsteller oder auf eine Vorlage aus der Schule zurückgeht, bleibt offen, waren solche Neujahrsbriefe in den Schulen doch als Stil- und Schreibübung sehr beliebt. Bemerkenswert ist jedenfalls die einfallsreiche Gestaltung des Neujahrbriefes.

Die Eltern werden sich über Oscars Schriftstück besonders gefreut haben und vor allem über die Mühe, die er sich mit der Gestaltung des Glückwunsches gegeben hat, denn Ihr ältester Sohn litt von Geburt an einer Herzinsuffizienz oder Herzwassersucht, die seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sehr stark einschränkte.

Ob Emil und Oscar diese Art zu schreiben in der Schule oder zu Hause gelernt haben, lässt sich nicht nachweisen. Sicher ist, dass ihrem Vater, Ludwig Rosenkötter, der gesittete Umgang und eine ordentliche Handschrift sehr wichtig waren. Er selbst hatte eine feine, gleichmäßige und geschwungene Schrift. Dies ist beispielsweise an seiner auszugsweisen Abschrift von Karl Müchler, Das Stammbuch – Eine Auswahl von Sinn- und Denksprüchen aus den Werken der vorzüglichsten deutschen und französischen Schriftsteller, Berlin 1815, zu erkennen. Offensichtlich wollte der ehemalige Offizier Ludwig Rosenkötter jederzeit einen passenden Spruch zu allen möglichen Gelegenheiten in einem kleinen Quartheft zur Hand haben.

 Er erhoffte sich für seine Kinder, Mädchen und Jungen gleichermaßen, sozialen Aufstieg durch Bildung und gute Umgangsformen. Dazu gehörte für ihn neben einer angenehmen Handschrift auch der schriftliche Ausdruck, für den man aber durchaus Hilfsmittel nutzen konnte und durfte.