Maria und Josef, Tiere und Könige. Zwei Coesfelder Kastenkrippen aus dem 18. Jahrhundert

16.12.2022 Niklas Regenbrecht

Andreas Eiynck

Die älteste Form unter den erhaltenen Weihnachtskrippen in Westfalen sind sogenannte Kastenkrippen. Sie stammen zumeist aus dem 18. Jahrhundert. Im Gegensatz zu den heutigen Krippen konnten die Figuren in solchen Kastenkrippen nicht frei in einer Krippenlandschaft aufgestellt werden, sondern die gesamte Szenerie war fest in ein Gehäuse mit einer Glasscheibe an der Vorderseite eingebaut. In ganz Westfalen sind nur wenige Beispiele dieser Krippenform erhalten.

Kastenkrippe, ehem. Familie Sielemann, Coesfeld.

Zwei der überlieferten Exemplare stammen ursprünglich aus der Kapelle des früheren Großen Heilig-Geist-Spitals in Coesfeld, die bis in die Zeit um 1900 mitten im Stadtzentrum an der Ecke Schüppenstraße/Süringstraße stand. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Spital aufgehoben und die Kapelle profaniert. Sie diente zuletzt als Lagerhaus. Auf ungeklärte Weise gelangten die beiden Krippen in den Besitz einer Familie von Stockheim und gingen 1812 in das Eigentum der Familie Lammersmann über. Beide Familien wohnten direkt neben der früheren Heilig-Geist-Kapelle. Durch Erbschaft kamen die Krippen dann an die Familie Sielemann, die sie schließlich dem Stadtarchiv in Coesfeld übergab.

Beide Exemplare stammen aus dem 18. Jahrhundert. Sie sind ca. 45 cm breit und 65 cm hoch, sehr ähnlich ausgeführt und gehören offensichtlich zusammen. Die Gehäuse sind beide giebelartig gearbeitet und vorne mit einer Glasscheibe verschlossen. Die Außenseite ist mit Leinenstoff und dickem Papier umklebt. Die eine Krippe zeigt die Heilige Familie im Stall von Bethlehem, die andere den Besuch der Heiligen Drei Könige.

Die Krippe mit der Heiligen Familie ist im Vergleich einfacher gestaltet. Die Kleidung von Maria und Josef entspricht der französischen Mode des 18. Jahrhunderts. Josef trägt ein rosafarbenes Gewand aus Leinenstoff mit silberfarbigen Applikationen, Maria ein blau-weißes, plissiertes Seidenkleid mit einem goldfarbigen Gürtel. Die Manschetten sind mit Blümchen bestickt, während der Kragen und der Schleier aus weißer Spitze bestehen. Kopf und Hände beider Figuren sind aus Wachs geformt, die lockigen Haare sind aufgeklebt.

Zwischen Maria und Josef befindet sich auf einer Unterlage aus Goldpapier das Jesuskind. Die kleine Wachsfigur wurde nach Angabe der Familie Sielemann jedoch im 20. Jahrhundert ergänzt, als die Krippe einmal zu lange in der Sonne gestanden hatte und das Jesuskind förmlich zerflossen war. Jesus liegt auf einem roten Kissen mit einem Bezug aus weißen Spitzen, rundum verläuft ein gelbes Seidenband. Links und rechts vom Jesuskind stehen zwei Schäfchen aus mit Watte umklebtem Leinenstoff.

Aus dem Hintergrund schauen Ochse und Esel auf das Kind. Sie sind aus rotbraunem bzw. grauem Leinenstoff gearbeitet. Über ihnen hängt an der Rückwand des Kastens eine Raufe, gefüllt mit aus langen Papierstreife bestehendem Heu. Im Hintergrund wurden Ziegelsteine aufgemalt. An der Wandung sind Blümchen und Kränzchen aus Seidenstoff angeklebt.

Im Giebel des Kastens schweben drei Engel mit dem Spruchband: „et verbum capo factum est“ (und das Wort ist Fleisch geworden). Ihre Gewänder und Flügel wurden aus Papier hergestellt, ansonsten sind sie wie die Figuren von Maria und Josef gearbeitet.

Kastenkrippe, ehem. Familie Sielemann, Coesfeld.

Die Figuren in der zweiten Kastenkrippe mit dem Besuch der Könige sind ebenfalls aus Wachs geformt, aber Kleidung und Ausstattung sind wesentlich reicher als in der anderen Krippe. Zentralfigur ist Maria mit dem Jesuskind. Sie trägt ein rotes Seidenkleid, dessen Mittelteil mit Stickereien und goldener Spitze geschmückt ist. Schleier und Halskrause sind aus einer Spitze mit Goldrand gearbeitet. Hinter dem Kopf trägt Maria einen Heiligenschein aus Goldpapier und um ihren Hals hängt eine Kette aus vergoldeten Perlen mit einem Anhänger aus Goldpapier.

Auf ihrem Schoß liegt eine Decke aus Spitzen mit Goldrand und darauf, auf einer Unterlage aus Goldpapier, das Jesuskind. Es ist ganz aus Wachs geformt und nur mit einem rosa Schürzchen bekleidet.

Links vorne steht ein blondgelockter Engel in einem langen weißen Gewand. Hinter ihm ist der erste König positioniert. Er trägt, wie die anderen beiden Könige auch, ein Gewand und eine Krone, die reich mit versilberten und vergoldeten Perlen, Goldplättchen und Goldspiralen verziert sind. Diese Materialien benutzte man damals auch zur Herstellung der Münsterländer Goldkappen, einem Bestandteil der traditionellen Münsterländer Tracht. Außerdem sind die Könige mit reich staffierten Umhängen ausgestattet, die wohl Hermelinmänteln nachempfunden sind.

Der Überlieferung nach brachten die Könige dem Kind Myrrhe, Weihrauch und Gold. Und so trägt der eine König ein Weihrauchfässchen, während der zweite einen großen Behälter hält, der reich mit Perlen geschmückt ist. Rechts vorn steht der dritte König, der in der Hand eine große, goldverzierte Krone trägt, die für das Jesuskind bestimmt ist. Hinter ihm, in der Ecke, steht der Heilige Josef, gekennzeichnet durch seine schlichte Kleidung und einen Heiligenschein aus Goldpapier.

Im Giebel des Kastens mit den drei Königen schweben wiederum drei Engel. Sie sind ähnlich gestaltet wie die Engel im ersten Kasten, aber reicher ausstaffiert. In den Händen halten sie zwei Schriftbänder auf denen steht: „Gloria in excelsis deo“ (Ehre sei Gott in der Höhe) sowie „et terra pax homini bona voluntatis“. (und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind).

Der Herstellungsort der beiden Kastenkrippen ist unbekannt. Die Gehäuse wurden sicherlich von einem Schreiner gearbeitet. Die Figuren und die Staffage stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einer Klosterwerkstatt, in der Paramente hergestellt wurden. Nur in den klösterlichen Nähschulen verfügte man über die nötigen Fähigkeiten zu derart feiner Stick- und Näharbeit und hier waren auch die verwendeten Perlen, Goldspiralen und Goldplättchen in Gebrauch, aus denen in den Klöstern im Münsterland Trachtenhauben hergestellt wurden.

Die Krippenkästen wurden in der Weihnachtszeit vermutlich in der Hospitalkapelle auf dem Altar vor dem Tabernakel aufgestellt. Sie sind ein Beleg für eine barocke Frömmigkeit, bei der die Veranschaulichung des biblischen Geschehens eine große Rolle spielte. Nach der Aufhebung des Heilig-Geist-Spitals und der Umnutzung der Kapelle als Lagerhaus gelangten die Kastenkrippen dann an die Familie Lammersmann und wurden dort über viele Generationen in der Weihnachtszeit als Hauskrippen aufgestellt. Durch einen glücklichen Zufall hat das Haus Lammersmann, später Sielemann, mit seinem umfangreichen historischen Inventar trotz seiner Lage im Stadtzentrum die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg unversehrt überstanden. Die Familie Sielemann übergab die Krippen schließlich dem Stadtarchiv Coesfeld.

 

Literatur:

Paul Engelmeier: Die Weihnachtskrippe in der Münsterländer Volkskunst. In: Die Weihnachtskrippe 12, Regensburg 1936, S. 22-30.

Franz Krins: Beiträge zur Geschichte der Weihnachtskrippe in Westfalen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 23, 1977, S. 279-301.

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