Das Lengericher Schützenwesen in der Weimarer Republik (Teil 2)

11.11.2025 Niklas Regenbrecht

Bernd Hammerschmidt

Über Festreden, die anlässlich von Jubiläumsfeiern einiger Lengericher Schützenvereine in den 1920er Jahren gehalten wurden, ist am 31. Oktober bereits ein Beitrag im Alltagskultur-Blog erschienen.

Anhand der Festreden, aber mehr noch anhand der Reden bei den Totengedenkfeiern zeigt sich, dass die politische Einordnung des Ersten Weltkriegs in der Weimarer Republik ein zentrales Thema war – die unterschiedlichen Meinungen spalteten die Bevölkerung. Speziell anlässlich der Totengedenkfeiern, führte kein Weg an dem Thema vorbei. Der Lengericher Gutsbesitzer Franz von Harlessem jedenfalls hielt in einer Rede am 30. Juni 1929 bei einer solchen Feier in Ringel mit seiner Meinung nicht hinterm Berg:

„Gerade jetzt, wo deutsche Arbeit durch einen Schandvertrag 70 Jahre hindurch geknechtet werden soll, muß echte Vaterlandsliebe aufs neue [sic!] in uns erwachen.“

„Kriegerdenkmal des Schützenvereins Aldrup.“ Quelle: Bernd Hammerschmidt

Damit stellte sich von Harlessem in die Reihe der Zeitgenossen, die den Vertrag von Versailles als ungerecht ablehnten und dafür die bürgerliche Weimarer Regierung verantwortlich machten. Das Wort „Schandvertrag“ lässt darauf schließen, dass von Harlessem ebenfalls die „Dolchstoßlegende“ teilte, also das Narrativ, dass Sozialdemokraten und das internationale Judentum der deutschen Armee in den Rücken gefallen seien. Auch Friedrich Rethemeyer Hauptlehrer an der Schule Wechte I und Redner bei der Totenehrung am 31. Mai 1930 in Wechte, sah als Ursache der Niederlage der deutschen Armee die „innere deutsche Zerrissenheit.“

Die militärische Niederlage machte die Tatsache, dass zwei Millionen Soldaten ihr Leben verloren hatten, für viele Zeitgenossen umso unerträglicher. Sie zweifelten an der Sinnhaftigkeit des massenhaften Sterbens. Auch die Redner in Lengerich äußerten sich entsprechend. Lehrer Schürmann führte in seiner Rede aus, dass die deutschen Soldaten ihre „Treue mit dem Tod auf dem Felde der Ehre besiegelt“ hätten; im weiteren Verlauf der Rede bezeichnete er diejenigen als Vorbilder, die einst „für Deutschlands Ruhm und Ehre auf blutiger Wahlstatt fielen.“ Bei der Totenehrung des Allgemeinen Schützenvereins Lengerich am 14. Juni 1930 erklärte Pfleger Schmidt, die „Pflichttreue gegenüber unserem Vaterlande auch in schwerster Notzeit“ habe die Toten zu größten Opfern befähigt.

„Plakette am alten Kriegerdenkmal der Schützen in Vortlage-Niederlengerich.“ Quelle: Bernd Hammerschmidt

Besonders prägnant formulierte der Schützenoberst Gustav Peters 1930 am Kriegerdenkmal des Schützenvereins Vortlage-Niederlengerich: den Toten „ward das Höchste zu teil, sie starben den Tod fürs Vaterland.“ – „Sie hauchten ihr Leben aus im Glauben an das Vaterland und an Deutschlands Zukunft. Sie glaubten an Deutschlands Sieg. Und wie glücklich sind sie zu preisen, wieviel Not und Trübsal ist ihnen erspart geblieben.“

Ein solcher pathetischer Nationalismus war in den 1920er Jahren weit verbreitet – wobei man den letzten Satz aus der Rede von Gustav Peters nur als zynisch empfinden kann. Peters wie auch andere Redner bemühten sich sehr um eine nachträgliche Heroisierung der Kriegsteilnehmer, wie sie damals auch das öffentliche Narrativ beherrschte. Eine solche Haltung war bereits in den Todesanzeigen in den Kriegsjahren angeklungen, wo die wahren, oft grausamen Todesursachen verschwiegen wurden, um die „Opferbereitschaft der Zivilbevölkerung und die Kampfmoral der Truppe“ (Wesselmann, 2023, S. 188) zu stärken. Auch nach dem Krieg wurde dieses Narrativ nicht dekonstruiert. Dementsprechend sind die Festreden bei den verschiedenen Schützenfesten in Lengerich einzuordnen.

Die Erinnerung an die getöteten Soldaten bei verschiedenen Gelegenheiten – auch bei Gedenkfeiern an den Kriegerdenkmälern – zielte darauf ab, Einigkeit und Kameradschaft unter den Schützen hervorzurufen. Anschließend wurde fast immer das bei Soldatenbegräbnissen beliebte Lied „Ich hatt‘ einen Kameraden“ intoniert. Dies lässt darauf schließen, dass Kameradschaft unter den Schützen vielfach als militärische Kameradschaft verstanden wurde, die sich in den Dienst am Vaterland stellte.

 

Quellen:

Lengericher Zeitung 1921-1930.

Schumann, Dirk: Nachkriegsgesellschaft. Erbschaften des Ersten Weltkriegs in der Weimarer Republik. In: Aus Politik und Wissenschaft, 68. Jahrgang, 30.4.2018.

Wesselmann, Alfred: Anspruch und Wirklichkeit in den Todesanzeigen Lengericher „gefallener“ Soldaten des Ersten Weltkriegs. In: Westfälische Zeitschrift, 173. Band, 2023, S. 169-190.