Das Westfalenross – Ursprung und Mythos

04.11.2025 Niklas Regenbrecht

Von Christof Spannhoff

Westfalen feiert in diesem Jahr Jubiläum. Vor 1250 Jahren wurde eine Menschengruppe dieses Namens in den sogenannten Reichsannalen, den Jahrbüchern des fränkischen Großreiches, erstmals erwähnt. Seit 775 hat sich allerdings das, was einst als Westfalen bezeichnet wurde, immer wieder verändert oder neu geformt. Diesen Umgestaltungen nachzuspüren, bietet das Jubeljahr Gelegenheit. Dazu gehören ebenfalls die mit Westfalen verknüpften Bilder und Vorstellungen.

Als ‚das‘ Symbol Westfalens gilt heute das steigende silberne Ross auf rotem Grund, das seit 1948 – neben lippischer Rose und stilisiertem Rhein – auch Teil des Landeswappens von Nordrhein-Westfalen ist. Zuvor war es 1881 vom Preußischen Staatsministerium zum Wappenbild der preußischen Provinz Westfalen gemacht worden, von der es der 1953 gegründete Landschaftsverband Westfalen-Lippe übernahm, heute allerdings kaum noch in seiner Außendarstellung nutzt. Doch woher stammt das Westfalenross eigentlich? Und wie wurde es zum Sinnbild für das Land zwischen Rhein und Weser?

Vom Provinz- zum Landeswappen

Wie die einleitenden Jahreszahlen zeigen, ist das Westfalenross noch gar nicht so lange ganz offiziell mit dem heutigen Landesteil verbunden. Denn bevor es 1881, also vor gerade einmal 144 Jahren, zum Provinzwappentier wurde, führte die preußische Verwaltungseinheit den Adler. Trotzdem war das weiße Pferd schon zuvor mit Westfalen verknüpft. Das nur kurzlebige Königreich Westphalen etwa, das zwischen 1807 und 1813 unter Jérôme Bonaparte, dem Bruder des französischen Kaisers Napoleon, als napoleonischer Vasallenstaat bestand, griff dieses Motiv auf. Das zeigt, dass man davon ausging, dass das Ross als Symbol für Westfalen verstanden wurde, eventuell deshalb, weil es bereits früher etabliert worden war. Die Verbindung zwischen der Provinz und dem Wappentier war allerdings weniger durch politisch-herrschaftliche Zusammenhänge entstanden. Denn eine dauerhafte territoriale Einheit Westfalens wurde erst durch die Einrichtung der preußischen Provinz Westfalen im Jahr 1815 geschaffen. Zwar gab es seit Beginn des 16. Jahrhunderts den Westfälischen Reichskreis. Doch dieser Verbund geistlicher und weltlicher Territorien zwischen Maas und Weser führte nicht das steigende Pferd, sondern einen doppelköpfigen Reichsadler im Schilde.

Die Wappenerzählung der Cronecken der Sassen im Bild. Ausgabe der Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 883 (https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00025661?page=66%2C67).

Ursprung des Wappenbildes

Vielmehr wurden Westfalen und das Ross durch die Gelehrten der Region zusammengebracht. Einer der nachweislich ersten war der Paderborner Theologe Goblin Person (+ 1421), der in seiner um 1400 verfassten Weltchronik „Cosmidromius“ das Pferd mit Westfalen verband und auch eine überaus wirkmächtige Herkunftserzählung lieferte: Das weiße Pferd sei auf die mythischen Anführer der Landnahme Englands namens Hengist („Hengst“) und Horsa („Ross“) zurückzuführen. Diese stammten ja schließlich aus dem alten Sachsen, dem heutigen Gebiet Nordwestdeutschlands. „Und es ist vielleicht deswegen, dass die Wappen einiger Herzöge von Sachsen ein weißes Pferd sind, weil sie von altersher ein solches Wappen von ihren Vorfahren übernommen haben“. Diese Verknüpfung des Westfalenrosses mit einer sagenhaften Frühzeit führte später in der Heimatbewegung seit dem späten 19. Jahrhundert zur Stereotypisierung des Pferdes als Kulttier der Westfalen. Die archäologisch entdeckten Pferdebestattungen aus vorchristianisierter Zeit oder die Pferdeköpfe als Gibelzier der regionalen Bauernhäuser schienen dafür ein schlagender Beweis zu sein. Allerdings ist zu betonen, dass die kultische Verehrung des Pferdes nicht nur bei den Menschen, die sich Westfalen nannten, anzusetzen ist, sondern bei allen als „germanisch“ bezeichneten Gemeinschaften vorkommt und auch in anderen Kulturen anzutreffen ist.

Mit den Westfalen als Teil der „alten Sachsen“ bringt das Ross dann die „Chronik der Sachsen“ zusammen, die 1492 in Mainz gedruckt wurde und eine große Reichweite hatte. Der anonyme Autor berichtet, der Sachsenanführer Widukind, der bekannte Gegenspieler Karls des Großen, habe ursprünglich ein schwarzes, steigendes Ross im Wappen geführt. Nach seiner Niederlage und Hinwendung zum Christentum habe der große Karl (+ 814) Widukind das weiße Pferd als Wappen verliehen. Da Widukind als „erster unter den Westfalen“ bezeichnet wird, war hier die Brücke zu den Westfalen geschlagen. Eine schöne Geschichte, die jedoch historisch schon daran scheitert, dass es zu Zeiten Widukinds noch gar keine Wappen gab. Diese kamen überhaupt erst drei Jahrhunderte später in Gebrauch.

Westfalen und das Pferd

Der Hamburger Domherr Albert Krantz (1448–1517) versuchte dann in seinem Geschichtswerk „Saxonia“, das erst nach seinem Tod 1520 in Köln gedruckt wurde, eine etymologische Erklärung des Wappenbildes. Er erklärt das Grundwort der Namen Ost- und Westfalen, -falen, als niederrheinisch-westfälisch zerdehnte Form zu Fohlen, nämlich Falen. Westfalen hätte danach seinen Namen nach dem Fohlen erhalten. Wenn auch diese Erklärung des Namens aus heutiger sprachwissenschaftlicher Sicht nicht haltbar ist, so werden sich doch die Menschen seinerzeit durchaus den Westfalen-Namen so erklärt und dadurch das Symbol für den Landstrich geschaffen haben: Im niederrheinisch-westfälischen Sprachraum gab das „fale Falen“ als ‚weißes Fohlen‘ (zu mittelniederdeutsch fâle ‚fahl, blond, entfärbt, bleich, blass‘) einen verständlichen Sinn. Das hatte zur Folge, dass das in dieser Zeit aufkommende weiße Wappenpferd als redendes Zeichen für Westfalen angesehen wurde. Dass Wappenbilder vielfach aus richtig oder auch falsch verstandenen Orts- und Familiennamen abgeleitet wurden, ist vielfach nachzuweisen: die Eiche (Telge) in Telgte, die Buche in Bochum, der Schöps in Schöppingen, der Elefant (Helphant) in Helfenstein usw.

Überregionale Verbreitung des Wappenmotivs erreichten dann der Kupferstecher und Verleger Matthäus Merian (1593–1650) und der Schriftsteller Martin Zeiller (1589–1661) mit ihrer „Topographia Westfaliae“. Obwohl sie wussten, dass das offizielle Wappentier des westfälischen Reichskreises der Reichsadler war, den sie auch der Karte dieses Verbandes beigaben, wählten sie für das Titelblatt das springende Pferd als Repräsentanten für ihren Westfalenband. Sie griffen hier auf eine ältere gesamtwestfälische Tradition zurück, die sich schon auf dem Titelblatt eines im Soester Stadtarchiv befindlichen westfälischen Feme-Rechtsbuches von 1470 und einer auf 1546 datierten Handschrift mit dem Titel „Westphalische Gerichts Ordnung“ nebst einem Schimmel im Wappen zeigt. Auch der Rektor des münsterischen Gymnasiums Paulinum Hermann von Kerssenbrock berichtet in seiner um 1570 verfassten Täufergeschichte von einem weißen Fohlen (album pullum equinum), das in der Volkssprache „einen vallen“ heiße (quem patria lingua ‚einen vallen‘ appelant), als Zeichen (insignis) des Volkes (gens) der Westfalen. Dieses Sinnbild hätten die Kölner Erzbischöfe als Herzöge von Westfalen übernommen. Diese Angabe Kerssenbrocks lässt sich um 1468 nachweisen, als der damalige Kölner Metropolit ein steigendes Ross auf die Bildseite einer in Deutz bei Köln hergestellten Münze prägen ließ. Ab 1483 erscheint das Ross darüber hinaus als erzbischöfliches Wappenbild.

Vermeintliche Geschwister: Niedersachsen- und Westfalenross

Somit dürfte das weiße Westfalenross dem spätmittelalterlichen Erklärungsversuch des Namens Westfalen entsprungen sein, den man zu westfälisch Falen ‚Fohlen, junges Pferd‘ bzw. zu fâle ‚hell, fahl‘ stellte. Und damit ist ebenfalls die bisherige Lehrmeinung anzuzweifeln, dass die Kölner Erzbischöfe ihr Wappentier von den Herzögen von Braunschweig-Grubenhagen aufgrund herrschaftspolitischer Ansprüche übernommen hätten. Mitglieder der welfischen Nebenlinie führten ab 1361 sporadisch neben dem welfischen Löwen auch ein weißes Ross auf rotem Grund in ihrem Siegel. Von hier aus sprang es nach Hannover in das kurfürstliche, später königliche Wappen, aus dem es als Niedersachsenross entnommen wurde. Das Westfalen- und das Niedersachsenross haben – trotz aller Ähnlichkeit (im Gegensatz zum niedersächsischen Wappenpferd weist der Schweif des Westfalenpferdes nach oben) – also keinen gemeinsamen Ursprung. Sie sind unabhängig voneinander entstanden. Es sei denn, man wollte annehmen, dass die Herzöge von Braunschweig-Grubenhagen das weiße Pferd aus dem westfälischen Traditionszusammenhang übernommen hätten.

 

Literatur

Brage bei der Wieden, Niedersachsenross und Westfalenpferd. Wie kam das Pferd ins Wappen?, in: Saxones. Eine neue Geschichte der alten Sachsen, hrsg. v. Babette Ludowici, Darmstadt 2019, S. 24f.

Brage bei der Wieden, Das Niedersachsenross, in: Geschichte und Erinnerung in Niedersachsen und Bremen. 75 Erinnerungsorte, hrsg. v. Henning Steinführer u. Gerd Steinwascher, Göttingen 2021, S. 99–104.

Paul Derks, Das Westfalen-Roß – eine redende Chiffre. Entstehung und frühe Verbreitung, in: Der Arnsberger Landständepokal von 1667. Eine Stiftung des Kölner Kurfürsten Maximilian Heinrich v. Bayern für das Herzogtum Westfalen, hrsg. v. Michael Gosmann, Arnsberg 1997, S. 33-44.

Roland Linde, Das Westfalenross – ein Symbol wird gemacht, in: 775 – Westfalen. Das Buch: Eine Region wird gemacht, hrsg. v. Johanna Hersh u.a., Regensburg 2025, S. 327–330 (leider fehlen hier wichtige Quellen und Literatur).

Pascal Pawlitta, Das Westfalenross, in: Westfälische Erinnerungsorte. Beiträge zum kollektiven Gedächtnis einer Region, hrsg. v. Lena Krull, Paderborn 2017, S. 47–61.