Alfred Wesselmann
David Mildenberg (1855 – 1936) aus Lengerich steht in diesem Beitrag stellvertretend für viele jüdische Deutsche, die im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert als Viehhändler arbeiteten. Seine Arbeitsbedingungen im Ersten Weltkrieg und unmittelbar danach sollen hier anhand von Quellen aus dem Stadtarchiv Lengerich und aus der lokalen Presse nachgezeichnet werden.
Als der Erste Weltkrieg im August 1914 begann, dachten die meisten Deutschen an einen kurzen Feldzug. Vorbereitungen für einen langen Krieg waren kaum getroffen. Deshalb war die Nahrungsmittelversorgung bald ernsthaft gefährdet. Militärische und zivile Stellen mussten sehr schnell in die Getreide- und Fleischversorgung des Heeres und der Bevölkerung eingreifen. Zu diesem Zweck wurden ab Februar 1916 Viehhandelsverbände gegründet. Sie waren halbamtlicher Natur mit Weisungsbefugnis gegenüber zivilen Behörden. Zunächst sollten diese Verbände die Höchstpreise durchsetzen und so den Handel kontrollieren. Da dies nicht funktionierte, gingen die Verbände dazu über, selbst Handel zu betreiben.
Der Viehhandelsverband für die Provinz Westfalen ging so vor, dass er den Fleischbedarf in den großen Städten des Industriegebiets und des Heeres ermittelte und darauf basierend die Mengen an Schlachtvieh festlegte, die von den Landkreisen zu erbringen waren. Die Landräte ihrerseits schrieben den Kommunen dann vor, welches Vieh sie in welcher Menge zu einem bestimmten Zeitpunkt abliefern mussten. Zur Bewältigung dieser Aufgabe wurden laut Erlass des Regierungspräsidenten in Münster vom 14. April 1916 Vertrauensmänner des Viehhandelsverbandes bestellt. Sie sollten feststellen, welches Vieh die Bauern verkaufen wollten und dafür sorgen, dass dieses Vieh in Sammeltransporten zu den Verbrauchern kam. Der Vertrauensmann sollte ein unbescholtener und im Viehhandel erfahrener Mann sein. In Lengerich gab es einige Viehhändler, drei von ihnen waren Juden (David Mildenberg, Salomon Kaufmann und Siegried Löwenberg). Amtmann Muermann entschied sich für David Mildenberg. Er gehörte zur wohlhabenden Mittelschicht in Lengerich.
Neben seiner Metzgerei betrieb Mildenberg schon seit langem einen kleinen Viehhandel, überwiegend für die eigene Metzgerei und in geringem Maße auch darüber hinaus. Eigentlich sollten keine Metzger, die auch Viehhändler waren, Vertrauensleute werden. Aber Ausnahmen wurden zugelassen, und Mildenberg war eine solche.
Die Lengericher Zeitung (LZ) beschrieb die Vorgehensweise dieser Viehaufkäufer mit den Worten des Amtmannes:
„Dem Amte Lengerich ist die Verpflichtung auferlegt, auch fernerhin Schlachtvieh (Großvieh) für die Heeresverwaltung zu liefern. – Mit dem Aufkauf ist Herr D. Mildenberg beauftragt. – Wenn nicht genügend Vieh angeboten werden sollte, wird zur Enteignung geschritten.“ (LZ, 23.04.1916)
Dieser doch recht barschen Ankündigung des Amtmanns ließ die LZ ein abschreckendes Beispiel aus Hessen (Gemeinde Schotten) folgen, wo im Zuge der Enteignung ein geringerer Preis als der Marktwert gezahlt worden war.
An dieser Form des Viehhandels waren mehrere Seiten beteiligt, und alle, außer den Bauern, profitierten davon, wenn auch in unterschiedlichem Maß. Die LZ stellte dies so dar:
„Die Provisionen an die Beauftragten der Viehhandelsverbände haben wiederholt den Gegenstand öffentlicher Erörterungen gebildet. [… Es ist jetzt] eine neue Verfügung über die Provisionen der Händler und der Ueberschüsse bei den Viehhandelsverbänden ergangen, durch welche die Händlerprovisionen wesentlich ermäßigt werden. Die Gesamtprovision hat sich in allen Fällen auf 7 Prozent zu beschränken. Davon bekommt der Haupthändler, der Vertrauensmann des Verbandes ½ Prozent für seine Tätigkeit und Unkosten, der Aufkäufer, der im Lande herumreist, bei Rindvieh und Schafen 2 Proz., bei Schweinen bis zu 3 Prozent, bei Kälbern bis zu 4 Prozent, die liefernden Kommunalverbände erhalten bis zu 1 bzw. 1 ½ Prozent. […] Da in unserem Amtsbezirke über die Handhabung der Viehhändlerprovisionen mehrfach Unzuträglichkeiten sich ergeben haben, dürfen obige Mitteilungen zur Klärung des Sachverhalts wesentlich beitragen.“ (LZ, 12.09.1916)
Das ging über ein Jahr gut. Dann aber brachte die LZ die schlechte Stimmung auf der Lokalseite auf den Punkt. Die Viehhandelsverbände machten zu hohe Gewinne. Eine Provision von sieben Prozent sei viel zu hoch. Die Agenten der Viehhandelsgesellschaften seien dadurch sehr reich geworden. Die Viehhandelsverbände verklagten obendrein noch die Bauern, wenn das abzuliefernde Vieh wegen Futtermangels untergewichtig war.
„Das bringt Unmut, Aerger und Mißtrauen in die Landwirtschaftlichen [sic!] Bevölkerung hinein. Aber diese Herren leben ja auf Kosten der Allgemeinheit. Da täte auch ein frischer Luftzug not, der den Spreu von dem Weizen trennt.“ (LZ, 15.08.1917)
Dieser frische Luftzug wehte einen Monat später. Während es bisher so war, dass die Vertrauensmänner Feodor Goldschmidt aus Ibbenbüren und David Mildenberg aus Lengerich Rinder und Schweine, die als Zucht- und Nutzvieh Verwendung finden sollten und daher nicht als Schlachtvieh galten, auf diese Eigenschaft begutachteten, wurde diese Aufgabe nun weiteren Vertrauensmännern („zweiten Grades“) übertragen. Die Begutachtung des Viehs besorgten nun 12 Männern aus mehreren Gemeinden des Kreises. Damit schmälerte der Viehhandelsverband die Kompetenz und das Einkommen von Goldschmidt und Mildenberg. 12 andere Männer aus dem Kreis – mutmaßlich Viehhändler – erhielten durch die Neuregelung Zugang zu einer lukrativen Einkommensquelle.
Wie gestalten sich die Regelungen ganz konkret für David Mildenberg, der seit April 1916 Vertrauensmann des Viehhandelsverbandes im Ort Lengerich war? Worin bestand seine Tätigkeit und welche Konflikte gingen damit einher? Seine Aufgabe als Vertrauensmann war es, alle landwirtschaftlichen Betriebe aufzusuchen und die Menge an Rindern und Schweinen zu kaufen, die für das vom Landrat vorgegebene Quantum erforderlich war.
Es sei hier eingeflochten, dass der jüdische Viehhändler Mildenberg auch schon vor seiner Verpflichtung als Vertrauensmann mit Schweinen gehandelt hatte. Es dürfte das für ihn kein Problem gewesen sein, da die Familie Mildenberg nicht einer orthodoxen Richtung des jüdischen Glaubens angehörte. Der Handel mit Schweinen war für ihn als Viehhändler offenbar kein Hindernis, weil er mit Schweinen physisch nicht in Berührung kam.