Der lange Weg zu den Preußischen Staatseisenbahnen

26.09.2025 Niklas Regenbrecht

Gleise, bei Münster 1992, Fotografin Bernadette Lütke Hockenbeck, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 2005.01704.

Michael Rosenkötter

Anfang des 19. Jahrhunderts erschienen die ersten Berichte über eine wunderbare englische Erfindung in deutschen Tageszeitungen. So berichtete die Kölnische Zeitung vom 19.4.1803 über Neueste Handelsverhältnisse:

„die fabrikreichen Gegenden von Yorkshire, Wiltshire, Norfolk, Birmingham, Glasgow, u.s.w. können nicht Hände und Maschinen genug in Bewegung setzen, um die unglaubliche Menge von Bestellungen zu befördern; neue Steinkohlenminen werden entdeckt, neue Kanäle werden gebaut […], bald wird ein Achtel der gebrauchtesten Fabrikwege in England mit Eisenbahnen belegt seyn.“

Im Mindener Sonntagsblatt erschien am 2.3.1817 ein Artikel zu den neuen „Dampfmaschienen-Wagen“ (sic!):

 „Die Wirkungen des englischen Kunstfleißes grenzen an’s Wunderbare. Der Steinkohlen Transport geschieht nämlich auf Wagen ohne Pferde, indem der Dampfwagen worauf die Maschienenkraft (sic!) befindet, vermöge der letztern auf den Eisenbahnen (Rail-ways) 23 andere Wagen, wovon jeder 60 Centner geladen hat, nach sich zieht, zusammen also die ungeheure Last von 1380 Centner, ohne das Gewicht der Wagen zu rechnen, fortbewegt. Ein Augenzeuge erzählt, daß auf diesen eisernen Gleisen ein einziger Mann einen Wagen mit 1320 Pfund fortfährt, also mehr, als auf unsern Wegen gewöhnlich zwei Pferde ziehen.“

1825 veröffentlichte der Hagener Fabrikant Friedrich Harkort (1793 – 1880) erste Pläne und Überlegungen über die Eisenbahn-Anbindung des westfälischen Kohlereviers an die Nordseehäfen. Er versprach sich eine Steigerung des Absatzes, Erhöhung der Produktion und damit verbunden eine Gewinnmaximierung.

1828, drei Jahre nach dem Vorstoß Harkorts, meldete sich der Münsteraner Geheime Finanzrat und Provinzial-Steuerdirektor Karl Heinrich Krüger zum Thema Eisenbahn zu Wort. Er wollte zusammen mit dem Königlich Preußischen Geheimen Regierungsrat Carl Wilhelm Koppe (1770 – 1844) in Minden das Projekt einer Eisenbahnverbindung zwischen Minden und Köln über Wuppertal entwickeln.

Eröffnung einer Eisenbahnlinie, hier in Vreden 1904. Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 0000.60340.

Der Plan, schrieb Krüger, „gewährt eine künstliche Mündung des Rheins, ohne irgend eine Abhängigkeit von fremden Bauten zu veranlassen und erspart alle Opfer, welche der Starrsinn der Niederländischen Regierung uns abzudrücken droht. Bremen im Norden, Elberfeld und Barmen in der Mitte, Mainz, Frankfurt, Straßburg und Basel im Süden sichern die Frequenz und erheben ihn zur Welthandelsstraße.“

Diesen recht detaillierten Plan legte Krüger seinem Vorgesetzten, dem preußischen Finanzminister Friedrich von Motz (1775 – 1830), dessen Hauptleistung waren die Vorbereitungen für die Gründung des Deutschen Zollvereins (1834), – vor. Von Motz nahm die Anregungen auf, sandte zwei Techniker zum Studium der Eisenbahnen nach England und empfahl selbst im Bericht an den König vom 30. Mai 1828 den Bau einer Eisenbahn von Minden nach Lippstadt, um dem Verkehr zwischen Bremen und West- sowie Süddeutschland eine Richtung zu geben, von der Preußen profitieren würde. Folgerichtig gründete sich 1829 ein Komitee zum Anschluss Mindens an das zukünftige Eisenbahnnetz. Zwei Jahre später schlug auch Friedrich Harkort Minden als Ausgangspunkt der Eisenbahnlinie an den Rhein bei Köln vor. Schnell fanden sich Unterstützer der Idee innerhalb der Mindener Kaufmannschaft und den städtischen Honoratioren, die ihre Argumente in einer Schrift unter dem Titel „Mittheilungen über die Anlage einer Eisenbahn zur Verbindung des Rheines mit der Weser“ aus dem Jahre 1832 ausführten:

„Minden, der natürliche Stapelplatz für die Weserschiffahrt der Provinz Westphalen, im Mittelpunct sich kreuzender Straßen von Coeln, Münster, Osnabrück, Bremen, Hannover, Hamburg, Braunschweig, Magdeburg und Kassel, fast im alleinigen Besitz der Spedition für viele dieser Städte, in der Nähe vorzüglicher Kohlenbergwerke, mit einzelnen aber bedeutenden Fabriken in der Nähe und im Orte, dazu Festung mit einem geschützten, ganz vorzüglich für die großartigsten Anlagen geeigneten Hafenplatz zum Anschließen der Eisenbahn an die Weser, ist in jeder Beziehung bey der Anlage einer solchen umso mehr interessirt, als ein großer Theil seines Wohlstandes, entweder vermehrt oder vermindert, dabei auf dem Spiele steht, wenn es zur Frage kommt, ob diese Eisenbahn hier oder weiter oberhalb von der Weser abgehen soll.“

Anzeige Köln-Mindener Eisenbahn. Stadt-Aachener Zeitung, Nr. 1847/285 (12. Ok-tober 1847), S. 4, https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/6350373.

Doch die preußische Staatsverwaltung wollte keine öffentlichen Mittel für den Bau einer Bahnlinie bewilligen. Daraufhin forderte das Eisenbahnkomitee in Minden die Gründung einer privaten Aktiengesellschaft zum Bau der Bahn, die Rhein-Weser-Eisenbahn-Aktiengesellschaft. Der Kölner Bankier Ludolf Camphausen (1803 – 1890) wandte sich 1836 an die Seele des Unternehmens, den Provinzialsteuerdirektor Krüger in Münster mit der Bitte, ob er durch Hauptmann Willisen den Kronprinzen dazu bewegen könne, für eine kleine Summe Aktionär zu werden. Dies hätte gegebenenfalls auch andere Investoren überzeugt, Aktien zu zeichnen. Als dieser Vorstoß nicht gelang, musste die Rhein-Weser-Eisenbahn-AG 1838 die Liquidation beantragen.

Bewegung kam erst in die Sache, als am 1. Dezember 1838 die erste europäische Staatsbahn im Herzogtum Braunschweig zwischen Braunschweig und Wolfenbüttel eröffnet wurde. Im Königreich Hannover verkehrte am 22. Oktober 1843 der erste offizielle Zug zwischen Hannover und Lehrte. Von den Braunschweigern wollte man sich nicht den Rang ablaufen lassen und so erhielt die Cöln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft am 18. Dezember 1843 die behördliche Konzession für den Bau der Strecke von Deutz über Düsseldorf, Dortmund, Hamm, Bielefeld, Herford nach Minden. Ende 1849 wurde mit der Königlichen Direction der Westfälischen Eisenbahn (KDWE) und zwei weiteren Bahnstrecken im Osten der Grundstock für die Preußischen Staatseisenbahnen gelegt.