Der tragische Tod des Rödinghausers August Stohlmann beim Untergang der „Austria“

13.05.2025 Niklas Regenbrecht

Johann Carl Berthold Püttner malte 1858 den Untergang des Auswandererschiffes „Austria“. © Deutsches Historisches Museum, Berlin.

Bericht in der New York Times über das dramatische Schiffsunglück am 13. September 1858 mit einem Augenzeugenbericht über den Tod des Rödinghausers

Barbara Düsterhöft

Am 13. September 1858 ereignete sich eine der schlimmsten Katastrophen in der Geschichte der Auswanderung im 19. Jahrhundert: Der Dampfsegler „Austria“ geriet auf seiner Fahrt von Hamburg nach New York in Brand und sank vor der Küste Neufundlands. Unter den mehr als 400 Todesopfern befand sich auch der erst 15-jährige August Stohlmann aus Rödinghausen, dessen Schicksal stellvertretend für die Hoffnungen und Tragödien dieser Zeit stehen kann. Das Ausmaß der Katastrophe lässt sich allein schon daran ermessen, dass selbst die renommierte „New York Times“ in ausführlichen Berichten und Interviews mit Überlebenden über den Tag des Untergangs und die dramatischen Zustände an Bord berichtete.

Die Katastrophe

Die „Austria“ war erst ein knappes Jahr alt als sie unterging. Gebaut wurde sie 1857 im schottischen Greenrock auf der Werft „Caird & Company“. Sie diente zunächst als Truppentransporter für die Britische Ostindien-Kompanie, wurde aber bereits ein knappes Jahr später von der deutschen HAPAG (Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft) übernommen und als Passagierschiff auf der Strecke Hamburg–New York eingesetzt.

Am 1. September 1858 legte die „Austria“ in Hamburg zu ihrer letzten Fahrt ab. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Southampton, wo die letzten Passagiere an Bord gingen, fuhr sie weiter in Richtung USA mit dem Ziel New York, das am 18. September erreicht werden sollte.

Am Tag der Katastrophe befand sich die „Austria“ etwa 500 Seemeilen östlich von Neufundland. An diesem Tag sollten die Decks vorschriftsmäßig rechtzeitig vor Erreichen des Zielhafens desinfiziert werden. Fatalerweise geschah dies im Falle der „Austria“ nicht durch eine Reinigung mit Essig, sondern durch eine Ausräucherung mit Teer. Bei dieser Methode wurde eine glühende Eisenkette zur Raucherzeugung in Teer getaucht, der durch die extreme Temperatur verdampfte. Im Fall der „Austria“ soll die Kette jedoch dem damit beauftragten Matrosen zu heiß geworden sein, so dass er sie auf die Holzplanken fallen ließ, die sich dadurch entzündeten. Nach anderen Berichten war die Kette so heiß, dass sie den Teer direkt entzündete, wieder andere berichten, dass der Eimer aus Unachtsamkeit umgestoßen wurde und dadurch den Brand auslöste.

Was aber auch immer der genaue Auslöser der Katastrophe war, das entstandene Feuer breitete sich rasend schnell mittschiffs aus und griff auf das hölzerne Deck und die Aufbauten über, während dichter Rauch die Fluchtwege versperrte. Innerhalb kürzester Zeit waren das Vorschiff und das Achterschiff voneinander abgeschnitten. Die Maschinen konnten nur noch gedrosselt, aber nicht mehr gestoppt und das Ruder nicht mehr bedient werden. Die „Austria“ fuhr nun mit einer Geschwindigkeit von ca. 10 Knoten auf wechselnden, unkalkulierbaren Kursen, was das Feuer zusätzlich anfachte, da der Wind nun von allen Seiten kam. Es scheint, dass der Kapitän F. A. Heydtmann mit dem Ausruf „Wir sind alle verloren!“ die Panik an Bord dann komplett machte. Anders als sein berühmter Kollege von der „Titanic“, der bis zuletzt an Bord seines sinkenden Schiffes blieb, versuchte der Kapitän der „Austria“ als einer der ersten, sein eigenes Leben zu retten, indem er sich in eines der acht an Bord befindlichen Rettungsboote flüchtete. Ein Versuch, der ihn das Leben kostete.

Die Mannschaft war in Panik ebenfalls überfordert, die Rettungsboote konnten wegen des Feuers und der chaotischen Zustände nicht zu Wasser gelassen werden oder wurden bei dem Versuch zerstört, so dass von den insgesamt acht Booten nur ein einziges intakt blieb. Nur wenige Passagiere und Besatzungsmitglieder hatten die Chance, den Flammen zu entkommen. Augenzeugen berichteten später von herzzerreißenden, dramatischen Szenen, als Menschen, darunter viele Kinder, in den Rauchschwaden verschwanden, in die kalten Fluten des Atlantiks sprangen oder von ihren Eltern in der Hoffnung auf Rettung ins Meer geworfen wurden. Viele der Menschen, die von Deck ins Meer sprangen, um sich vor den Flammen zu retten, starben, weil sie vom Sog des sich ständig drehenden Schiffes unter Wasser gezogen wurden oder in die rotierende Schiffsschraube gerieten.

Unter den Toten befand sich auch der junge August Stohlmann aus Rödinghausen. Über seine letzten Minuten berichtete der Augenzeuge Emil Sasse in der „Times“:

„Als ich mich am letzten Seil festhielt, sah ich neben mir im Wasser einen 14-jährigen Jungen, der mich von Deutschland nach Evansville, Indiana, begleitet hatte. [Hier ist Emil Sasse ein Fehler unterlaufen, August Stohlmann war im Juni fünfzehn Jahre alt geworden.] Er hielt sich an einem anderen Seil fest, sein Körper lag im Wasser und sein Kopf war nach hinten gekippt. Er schien völlig erschöpft und dem Tode nahe. Er hieß August Stohlmann und stammte aus dem Ort Rödinghausen in Preußen. Bevor ich über Bord sprang, hatte ich ihm gesagt, was ich vorhatte, und ihm geraten, es mir gleichzutun. Daraufhin zog er den größten Teil seiner Kleidung aus und sprang ein Stück vor mir über Bord.“ [The New-York Times, Vol III, Nr. 2206, 15.10.1858, S. 1, Dt. Übers. Barbara Düsterhöft.]

Emil Sasse und August Stohlmann

Man kann wohl mit Sicherheit davon ausgehen, dass sich Emil Sasse (28.03.1833-15.09.1886) und August Stohlmann (15.06.1843-13.09.1858) bereits vor der Reise kannten und somit auch schon gemeinsam auf dem Landweg nach Hamburg unterwegs waren. Zum einen stammten beide aus dem Kreis Herford - Emil Sasse aus Enger, August Stohlmann aus Rödinghausen - zum anderen waren beide Väter zu diesem Zeitpunkt bereits seit 25 Jahren gleichzeitig Pfarrer im Kirchenkreis Herford. Zudem spricht Emil Sasse in seinem Interview ausdrücklich davon, von August Stohlmann nach Indiana begleitet worden zu sein.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Passagieren an Bord der „Austria“ die sich zum ersten Mal auf dem Weg in die USA befanden, lebte und arbeitete Emil Sasse bereits seit vier Jahren dort. Er war 1852 ausgewandert und hatte sich in Evansville im Bundesstaat Indiana eine Existenz als Kaufmann und Farmbesitzer aufgebaut. Vermutlich war er dem Beispiel seines älteren Bruders Heinrich Wilhelm Theodor gefolgt, der bereits 1849 in die USA ausgewandert war. Als das Unglück geschah befand sich Emil Sasse auf dem Rückweg von einem Heimatbesuch bei seinen Eltern in Enger.

Die meisten anderen Passagiere, darunter auch der junge Rödinghauser, waren Auswanderer, die sich zum ersten Mal auf den Weg in die Neue Welt gemacht hatten. Augusts Eltern hatten ihr einziges Kind vermutlich in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf die lange Reise geschickt. Damit waren sie nicht allein. Das 19. Jahrhundert war in ganz Deutschland und Europa von Massenauswanderungen geprägt. Bedrückende Lebens- und Arbeitsbedingungen veranlassten unzählige Menschen, ihre Heimat zu verlassen und ihr Glück in der Ferne zu suchen. Neben Kanada, Australien, Neuseeland und Südamerika übten vor allem die USA die größte Anziehungskraft aus. Insgesamt verließen im so genannten „langen“ 19. Jahrhundert, also zwischen 1820 und 1912, mehr als 5,5 Millionen Deutsche ihre Heimat.

Das Vermächtnis einer Tragödie

Der Untergang der „Austria“ gilt als eines der schwersten Schiffsunglücke zur Zeit der großen Auswanderungswelle in die USA. Von den 542 Passagieren und Besatzungsmitgliedern konnten nur 89 gerettet werden, der junge Rödinghauser August Stohlmann war nicht darunter. Durch den Augenzeugenbericht seines Begleiters Emil Sasse in der Times wissen wir in seinem Fall über die Umstände seines Todes Bescheid, das genaue Schicksal vieler anderer Opfer bleibt im Einzelnen ungewiss. Sie alle wurden Opfer eines Brandes, der durch eine Mischung aus technischer Unzulänglichkeit, Fahrlässigkeit und mangelnden Sicherheitsvorkehrungen zur Katastrophe wurde.

Das Schicksal von August Stohlmann ist ein eindrucksvolles Beispiel der Risiken, denen Auswanderer im 19. Jahrhundert ausgesetzt waren. Es zeigt, wie stark der Wunsch nach einem besseren Leben die Menschen damals bewegte und lässt die schwierige Situation in der Heimat erahnen. Während die Neue Welt für viele ein Ort der Hoffnung war, war der Weg dorthin oft mit Entbehrungen und Risiken verbunden.

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 132, 19.03.2025, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

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