Die „Legdener Europafahrer“. Münster – Paris – Münster auf dem Fahrrad (1928)

12.08.2025 Niklas Regenbrecht

Timo Luks

Als Radsportinteressierter stieß ich bei einer kleinen Recherche kürzlich auf ein Foto im Bildarchiv des LWL-Medienzentrums. Es handelt sich um eine Aufnahme vom Prinzipalmarkt, etwas unspezifisch auf „ca. 1920“ datiert. Zu sehen sind zwei Herren auf Fahrrädern, einer auf einem Hochrad, umringt von einer kleinen Menschenmenge. Betitelt ist die Aufnahme mit „Radfernfahrt Münster-Paris-Dortmund“.

Prinzipalmarkt: Radfernfahrt Münster-Paris-Dortmund, Sammlung Julius Gaertner: Westfalen und seine Nachbarregionen in den 1850er bis 1960er Jahren, Foto: Julius Gärtner © LWL-Medienzentrum für Westfalen, Signatur 03_242.

Aufgenommen hatte das Bild der preußische Beamte Julius Gärtner (1879–1952). Gärtner war leidenschaftlicher Hobbyfotograf und nutzte als Revisor der Oberfinanzdirektion Münster seine Dienstreisen, um weite Teile des Münsterlands und östlichen Westfalens festzuhalten. Die umfangreiche Sammlung befindet sich im Bildarchiv des LWL-Medienzentrums und ist digital erschlossen. Bei den beiden Herren handelte es sich um Georg Palloks und Hubert Schwieters, beide aus Legden, die sich am 13. August 1928 auf ihren Rädern nach Münster begeben hatten – um am 14. August von dort aus nach Paris aufzubrechen. Damit erregten sie nicht nur die Aufmerksamkeit eines Hobbyfotografen wie Julius Gärtner, sondern zogen auch zahlreiche Zuschauer an, die sich bei ihrer Abfahrt vor dem Fotografen versammelten. Zudem fand ihre Fahrt Eingang in die lokale und regionale Presse.

Es war wohl nicht allein die Distanz der – so viel vorweg – erfolgreich absolvierten Fahrt, die Zeitungsleserinnen und Zeitungsleser neugierig gemacht haben dürfte. Aufsehenerregend war einerseits der Streckenverlauf. Zehn Jahre nach Kriegsende durchfuhren die beiden Radler auf ihrem Weg nach Paris jene Region, die im Weltkrieg in ein einziges großes Schlachtfeld verwandelt worden war. Der Streckenverlauf wurde in der Presse kleinteilig resümiert: von Legden und Münster über Hamm, Dortmund, Essen, Duisburg, Köln, Koblenz. Mainz, Frankfurt am Main, Kreuznach, Saarlouis, Saarbrücken nach Metz.

„Auf französischem Gebiet ging es dann nach Verdun, Chalons sur Marne, Chateau Thierry, Meaux nach Paris, das am 25. September erreicht wurde. […] Die Heimkehr erfolgte über St. Denis […], über Fismes nach Reims, […] Vouziers, Stenay, Montmedy nach Luxemburg. Die letzte Strecke über deutsches Gebiet ging wieder die Mosel entlang über Trier nach Koblenz, und dann nach Köln, Vohwinkel. Bochum, Recklinghausen nach Münster.“ (Münstersche Zeitung 58, 16.10.1928, S. 286)

In den Presseberichten fanden sich keine Verweise auf das Kriegsende genau zehn Jahre zuvor, die Durchquerung der Schlachtfelder oder dergleichen. Betont wurde allerdings, dass die Legdener Europafahrer in Frankreich „überall eine freundliche Aufnahme gefunden“ hätten und sich „ihren Besuch in jedem Ort durch die Mairie bestätigen“ ließen (Münstersche Zeitung 58, 16.10.1928, S. 286; Ahauser Kreiszeitung 48, 20.10.1928, S. 290).

Andererseits war es das Sportgerät, das für Aufmerksamkeit sorgte. Palloks und Schwieters waren nämlich „auf dem Hochrade, Modell 1878, und auf dem neuen Fahrrade, Modell 1928“ unterwegs, „um die Entwicklung der Technik der letzten 50 Jahre in der Fahrradindustrie zu zeigen“ (Deutsche Reichs-Zeitung 57, 24.8.1928). Das neue Modell war ein Tourenrad der Marke Opel. Das Hochrad wohl nicht (auch wenn in der Presse etwas anderes nahegelegt wurde), denn das erste Opel-Hochrad war erst 1886/87 auf den Markt gekommen. In den 1920er Jahren war Opel zum weltweit größten Fahrradhersteller aufgestiegen, und die fünf Opel-Brüder betätigten sich erfolgreich als Rennfahrer auf dem Rad. Und so war es nur folgerichtig, dass Palloks und Schwieters laut Ahauser Kreiszeitung vom 22.8.1928 auch „der Opelfirma, der Geburtsstätte beider Räder, einen Besuch abstatten“ wollten. Der Münsterschen Zeitung vom 16.10.1928 war es eine Meldung wert, dass die „beiden Opelräder“ während der gesamten Tour „ohne Reparatur geblieben“ seien.

Die Berichte über die Fahrt waren tatsächlich eher radsportlich gerahmt. Berichtet wurde von Ehrenrunden auf den Radrennbahnen in Krefeld (im Rahmen eines am Tag ihrer Durchfahrt stattfindenden Radrennens), in St. Denis und in Reims. In St. Denis wurde ihnen ein Ehrenwimpel verliehen.

„In Reims war die Nachricht verbreitet worden, daß die Fahrer auf der Rennbahn eine Runde fahren würden. Dort hatte sich eine große Menschenmenge angesammelt. Unter großen Beifall des Publikums betraten sie die Bahn und fuhren eine Runde.“ (Ahauser Kreiszeitung 48, 20.10.1928, S. 290)

Zurückgekehrt nach Münster wurde ihnen im Namen des Bundes Deutscher Radfahrer „von einem kleinen Mädchen als Willkommengruß ein Blumenstrauß überreicht“. Der Bericht der Ahauser Kreiszeitung betonte die „ungeheure Leistung auf sportlichem Gebiete“, immerhin „die Höchstleistung, die bisher auf einem Hochrade zurückgelegt wurde“, kritisierte aber, dass diese Leistung „gerade in der Heimat wenig Anklang fand“. (ebd.)

 

Literatur

Burg, Kerstin: Ein Revisor bereist Westfalen – Fotografien von Julius Gärtner, in: Im Fokus, Heft 1, 2007, S. 13.