Am 27. Dezember 1913 wurden die Feiertage bilanziert:
„Weihnachten war herrlich! Ist es in unserem Häuschen bei Eltern u. Schwester nicht immer herrlich? Ja u. dann erst das Fest des Friedens dazu, dann sind wir wunschlos glücklich u. möchten in jede arme Hütte von unserem Glück abgeben.“
Wir erfahren nicht, ob Vater von Mutter einen kleinen Hund geschenkt bekam, ob und wie sich alle um den Weihnachtsbaum herum mit einem Welpen beschäftigten usw. Später im Tagebuch werden wir wieder einem Hund begegnen, aber der kann auch zu einem anderen Zeitpunkt in das elterliche Haus gekommen sein.
Es sind kleine Tagebucheinträge und unzählige andere Quellen, die seit einiger Zeit der Erforschung von Mensch-Tier-Beziehungen dienen. Mike Roscher schrieb bereits 2012 von einem für verschiedene Disziplinen aktuellem Thema. „Die Forschungen über das neunzehnte und zwanzigste Jahrhundert nehmen sich“, so schreibt sie, „in erster Linie der sich verändernden Einstellungen zum Tier an. Diese wurden beeinflusst sowohl durch evolutionsbiologische Erkenntnisse, die die verwandtschaftliche Nähe von Mensch und Tier bewiesen, als auch durch die agrarwirtschaftlichen und industriellen Revolutionen, denen das Tier schlichtweg Material war. Die Hauptthemen tierhistorischer Betrachtungen sind die Formen der Tier-Mensch-Beziehung im Prozess der Domestizierung, also der Nutztierhaltung, und Ausstellungsformen des Tieres in Menagerien, in Zoos und Zirkussen.“ Ein nicht unerheblicher Teil der neueren Forschung widmet sich Haustieren, „da evident gerade beim Haustier die intime Beziehung von Mensch und Tier besonders zum Tragen kommt.“
Die kleine Notiz von Anni Topheide in ihrem Tagebuch gibt Hinweise auf einige Themenstränge, denen man mit Blick auf Mensch-Tier-Beziehungen nachgehen könnte: Erstens zeigen sich Formen der vermenschlichenden Einbeziehung der Haustiere in verschiedene Rituale, hier etwa die Bestattung mit einem Kreuz auf der Grabstelle. Zweitens rücken Tiere als Geschenk in den Blick – ein Thema, das nach wie vor und gerade um Weihnachten herum Bedeutung erlangt und immer wieder zu Problemen führt. Drittens stellen sich Fragen der Kontinuität konkreter Beziehungen. Die Bindung beispielsweise zu einem bestimmten Hund führte und führt (nicht nur bei Familie Topheide) oft dazu, ihn nach seinem Ableben durch einen neuen Hund zu ersetzen, auf den die Bindung übertragen wird – und der, auch bei den Topheides, oft denselben Namen bekommt. Viertens schließlich lenkt Anni Topheides Tagebuch die Aufmerksamkeit auf den Typus Stadthund. Annis Eltern lebten in Münster. Der Vater war Buchdrucker, die Mutter Hausfrau. Es ist also davon auszugehen, dass der „liebe kleine Prinz“ ein ganz anderes Leben – und für die Familie eine ganz andere Bedeutung – hatte als Hunde auf dem Land.