Flurnamen, Ortsnamen, Familiennamen oder: Welche Erkenntnisse erbringt die Beschäftigung mit Namen?

28.11.2025 Niklas Regenbrecht

Der Workshop „Flurnamen, Ortsnamen, Familiennamen“, der am 22. November 2025 in Arnsberg stattfand, brachte interessierte Laien und Wissenschaftler:innen zusammen. (Foto: Cantauw)

Christiane Cantauw

Was sagen uns Namen? Sind sie „Schall und Rauch“, wie Dr. Faust bei Goethe behauptet, oder können sie uns wichtige Hinweise auf Vergangenes geben? Haben sie uns jenseits von Wortbedeutungen etwas mitzuteilen? Wie kann die Beschäftigung mit ihnen aussehen, welche Quellen können dabei herangezogen werden?

Diese und viele weitere Fragen standen im Zentrum eines Workshops, der am Samstag, 22. November 2025, im Blauen Saal des Sauerland-Museums in Arnsberg stattfand.

Zu Beginn führte Gisbert Strotdrees in die Welt der Flurnamen ein, die – wie sich zeigen sollte – nicht nur unseren Vorfahren räumliche Orientierung geboten haben. Strotdrees stellte bereits 2017 mit der Publikation „Im Anfang war die Woort“ unter Beweis, dass Flurnamen mitnichten nur etwas für einen kleinen spezialisierten Wissenschaftlerkreis sind. Im Gegenteil: Flurnamen haben all denjenigen etwas zu sagen, die sich für ihre räumliche Umgebung und deren Veränderung interessieren. Oft zeigt sich, dass Flurnamen ein erster Fingerzeig auf historische (Rechts-, Wirtschafts-)Verhältnisse, Werthaltungen und gesellschaftliche Verfasstheiten sind (wie das in der Praxis aussehen kann, führt beispielhaft Sebastian Kreyenschulte in seinem Beitrag im Magazin Graugold vor). Zudem scheint in mündlich überlieferten Flurnamen der Sprachgebrauch einer vorschriftlichen Zeit durch, aus der es ansonsten kaum Quellen für die Sprache der kleinen Leute gibt. So berechtigt das Interesse an einzelnen scheinbar bemerkenswerten Namensschöpfungen ist, weil sie Identität schaffen, so sinnvoll ist es, nicht nur auf einen Ort, sondern auf das Wort und seine Wortteile zu schauen, wie es der Flurnamenatlas der Kommission für Mundart- und Namenforschung macht. Dann erst fügen sich „Mark“, „Hagen“, „Liet“ und „Ohl“ zu historischen Landschaften und deren Nutzung durch die Menschen. Eingriffe in die natürliche Umgebung, gesellschaftliches Oben und Unten, Bedrohungen und Subsistenzgrundlagen scheinen auf. Nicht immer sind es indes die großen Themen, die sich in den Flurnamen niederschlagen, sondern auch der Wunsch nach Orientierung, die der Buchenliet (ein mit Buchen bestandener Abhang) oder der Kilometerbusch (ein kilometerlanges Wäldchen) bieten und geboten haben.   

Thematisch passend fügte sich der Beitrag des Historikers Christof Spannhoff an, der über Ortsnamen nicht nur (aber auch) im Sauerland informierte. Auch hier stellte sich schnell heraus, wie gewinnbringend es nicht nur für die Sprachforschung, sondern auch für an Geschichte, Archäologie und Genealogie Interessierte sein kann, sich intensiver mit den Namen von Städten, Dörfern und Weilern auseinanderzusetzen. Vielfach erweist es sich, dass in den Ortsnamen längst Vergangenes konserviert wurde und dass man gut daran tut, sie als einen ersten Hinweis auf eine Wüstung (Kalthof), eine konkurrierende Burg (Altena – „allzu nah“?) oder eine bestimmte Wirtschaftsform (-bracht) zu nehmen. Es zeigte sich aber auch, dass es in diesem Feld manche Fallstricke gibt und die Entschlüsselung von Ortsnamen oft vertiefte sprachwissenschaftliche Kenntnisse voraussetzt. Und nicht immer gibt es nur eine Meinung, wenn es um die Herleitung eines Ortsnamens geht – auch das war eine wichtige Erkenntnis des Workshops.   

Der Workshop „Flurnamen, Ortsnamen, Familiennamen“, der am 22. November 2025 in Arnsberg stattfand, brachte interessierte Laien und Wissenschaftler:innen zusammen. (Foto: Cantauw)

Die Sprachforscherin Friedel Roolfs wartete daran anknüpfend mit Erkenntnissen über die sauerländischen Familiennamen auf. Sie verglich in ihrem Beitrag die 20 häufigsten Familiennamen in Deutschland und im Sauerland und konnte Übereinstimmungen, aber auch Abweichungen herausarbeiten. Auch hier zeigte es sich, dass die Sprache zwar einen ersten Hinweis auf soziale und wirtschaftliche Verhältnisse liefern kann, dass mit der Erkenntnis der großen Verbreitung von Schulte-Namen im Sauerland (Platz 1 der sauerländischen „Top 20“) die Forschung aber erst beginnt. Sie sind im Sauerland – anders als etwa im Münsterland – nämlich kein Indiz für besondere wirtschaftliche Prosperität, sondern sie verweisen hier auf kleinere abgabepflichtige Höfe ohne Verwalteraufgaben und damit zusammenhängendes Prestige. Das wird deutlich, wenn man die Verhochdeutschung des Schulte-Namens (Schulze) in den Blick nimmt, die im Sauerland kaum anzutreffen ist. Sie deutet auf eine kulturelle Teilhabe und einen sozialen Anspruch, der mit der Nutzung des Hochdeutschen korrelierte und vor allem im Münsterland verbreitet war. Auffallend ist auch die Häufigkeit des Familiennamens Hesse im Sauerland, die sich tatsächlich auf die Nähe zu Hessen zurückführen lässt; Hesse bezeichnete ursprünglich Menschen, die aus Hessen zugewandert waren. Familiennamen können also ebenso als Indiz für sozialökonomische Verhältnisse dienen wie als Hinweis auf Wanderungsbewegungen. Als regionale Besonderheit sind noch die Namen mit der Endung „-ohl“ zu erwähnen. Familiennamen mit dieser Endung weisen wie auch gleichlautende Orts- oder Flurnamen ausdrücklich auf eine sauerländische Namensherkunft hin.  

Den Abschluss des ertragreichen Workshops bildete der Vortrag des Zuhorn-Preisträgers Julius Virnyi (Preisträger Nachwuchswissenschaft), der unter dem Titel „um nicht für alle Zeiten als Pollake zu gelten" über Gesuche um Verdeutschungen ‚polnisch klingender‘ Namen im westfälischen Ruhrgebiet zwischen 1901 und1919 sprach. Virnyi befasste sich mit Anträgen auf Namensänderung und die vorgelegten Begründungen dafür ebenso wie um die Aushandlungsprozesse mit den beteiligten staatlichen Stellen (örtliche Beamte, Landräte, Regierungspräsidium) und deren Argumentation bei Ablehnung oder Befürwortung der Gesuche. Dafür nahm Virnyi mit den sogenannten Ruhrpolen eine Bevölkerungsgruppe in den Blick, die im ausgehenden 19. Jahrhundert ins Ruhrgebiet eingewandert war. Bei den etwa 1,5 Millionen Menschen handelt es sich aber nicht um eine homogene Bevölkerungsgruppe, sondern um aus ganz verschiedenen Regionen (beispielsweise aus Ostpreußen, Masuren, der Kaschubei und Schlesien) und Ländern (beispielsweise aus Polen, Österreich-Ungarn oder aus Russland) Zugewanderte, die meist zum Arbeiten ins Ruhrkohlerevier kamen und unter der dortigen Stereotypisierung litten. Sie reagierten auf die alltägliche und behördliche Stigmatisierung mit der Bildung eigener Subkulturen, aber auch mit dem Willen zur Anpassung. Die Assimilation wurde von den Behörden überwiegend unterstützt, indem man den Anträgen auf Namensänderung im Sinne einer antipolnischen Germanisierungsagenda stattgab. Allein im westfälischen Teil des Ruhrgebiets wurden in wenigen Jahrzehnten rund 240.000 Namensänderungen von sogenannten Ruhrpolen umgesetzt. Nimmt man die von den Antragsteller:innen gewünschten deutschen Namen in den Blick, so zeigt sich, dass sich darunter nur selten einmal (sinngemäße) Übersetzungen des polnischen Namens fanden. Aufgrund fehlender Sprachkenntnisse und wegen eines hohen Grades an Pragmatismus ging man behördlicherseits meist auf die Wünsche der Antragsteller:innen ein.

Der Arnsberger Workshop steht am Ende einer langen Reihe von insgesamt acht Veranstaltungen, die sich an die Verleihung des Karl-Zuhorn-Preises angeschlossen haben. Der Wissenschaftspreis wird vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe in den Kategorien Nachwuchsförderung und ehrenamtliche Forschung vergeben. Ein Workshop als Abschlussveranstaltung bot nicht nur dem Preisträger des Nachwuchswissenschaftspreises, sondern auch den drei anderen Referenten Gelegenheit, wichtige Forschungsgebiete vorzustellen. Das Format eignete sich außerdem dazu, Wissenschaftler:innen und interessierte Laiinnen und Laien in einen Dialog zu bringen. Die rege Beteiligung und die Nachfrage nach einer Folgeveranstaltung haben jedenfalls gezeigt, dass regional ein großes Interesse an einem Austausch nicht nur zu Fragen der Namenforschung besteht.

 

Literatur:

Michael Flöer: Die Ortsnamen des Hochsauerlandkreises. (Westfälisches Ortsnamenbuch, Bd. 6). Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2013.

Sebastian Kreyenschulte: Das versunkene Kloster in Neuenkirchen. Archäologische und historische Spuren in einer münsterländischen Sage. In: Graugold. Magazin für Alltagskultur, 5. Ausgabe, 2025, S. 64–79.

Gisbert Strotdrees: Im Anfang war die Woort. Flurnamen in Westfalen. (Westfälische Beiträge zur niederdeutschen Philologie, Bd. 16) Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2017.

Westfälischer Flurnamenatlas, hrsg. im Auftrag der Kommission für Mundart- und Namenforschung von Gunter Müller, Bd. 1–5, Bielefeld 2001–2012.

Westfälisches Ortsnamenbuch, hrsg. von der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften, online-Ressource unter: https://adw-goe.de/forschung/forschungsprojekte-akademienprogramm/ortsnamen-zwischen-rhein-und-elbe/projekt/westfaelisches-ortsnamenbuch-wob/