Kartoffeldämpfen im Wandel

14.10.2025 Niklas Regenbrecht

Andreas Eiynck

Zu den Standartthemen der Volkskunde über den bäuerlichen Alltag auf dem Lande gehören Schilderungen der Kartoffelernte. Im Mittelpunkt stehen dabei meist Aspekte wie die gemeinsame schwere Arbeit der ganzen Familie, der Einsatz von Kindern als Hilfskräfte beim Aufsammeln der Kartoffeln, die Pausen bei der Feldarbeit oder das abendliche Rösten der frischen Kartoffeln in einem „Kartoffelfeuer“.

Nur selten wird berichtet über die Einlagerung und die Verarbeitung der Kartoffeln zu Futtermitteln in der Schweinehaltung, obwohl die Futterzubereitung einen festen Bestandteil der bäuerlichen Arbeitswelt bildete. Kartoffeln und Getreide waren nämlich bis in die 1970er-Jahre die wichtigsten Futtermittel in der nordwestdeutschen Schweinemast. Schweine können aber Kartoffeln in rohem Zustand nicht verdauen. Daher mussten die Kartoffeln vor der Fütterung zunächst gekocht oder gedämpft werden.

Hierfür bediente man sich seit dem 19. Jahrhundert eines Futterkessels, der auch „Viehpott“ genannt wurde. Dabei handelte es sich um Öfen aus Gusseisen oder Schamottstein, die eine Feuerung unter einem großen Behälter besaßen. Die meisten Futterkessel hatten verschiedene Einsätze für unterschiedliche Zwecke. In einem kupfernen Einsatz wurden das Wasser für die Große Wäsche und das Badewasser erhitzt. Ein Emailleeinsatz diente zum Erhitzen von Wasser für die Landwirtschaft und für die Hausschlachtung. In einem einfachen Blecheinsatz wurden die Futterkartoffeln für die Schweine gekocht. Anschließend mussten sie mit einer mechanischen Kartoffelquetsche zerkleinert und mit einem Handstampfer zu einer breiartigen Masse gepresst werden. Dieses Futter wurde täglich frisch zubereitet. Daher gehörten das Anheizen und Befüllen des Futterkessels sowie das Kochen und Zerkleinern der Kartoffeln zur täglichen Arbeit auf jedem Bauernhof mit Schweinehaltung.

In den 1930er-Jahren kamen mobile Dämpfanlagen für Kartoffeln zum Einsatz, die von Hof zu Hof transportiert wurden und in einem Druckbehälter unter Einsatz von Dampf große Mengen Kartoffeln in einem Arbeitsgang verarbeiteten. Diese Anlagen gehörten zumeist den örtlichen Genossenschaften oder privaten Lohnunternehmern. Die gekochte und fertig gequetschte Masse war aber nicht haltbar und musste daher direkt nach dem Dämpfen sorgfältig und möglichst luftdicht in ein Silo eingelagert werden.

Mobile Dämpfanlage in der Grafschaft Bentheim (Foto um 1950) (1).
Mobile Dämpfanlage in der Grafschaft Bentheim (Foto um 1950) (2).
Mobile Dämpfanlage in der Grafschaft Bentheim (Foto um 1950) (3).

Der Transport und der Betrieb der mobilen Dämpfanlagen waren aufwendig, denn auf jedem Hof musste erst einmal Dampf erzeugt werden. Größere Kapazitäten und eine wesentlich einfachere Bedienung boten stationäre Anlagen mit einem fest installierten Dampferzeuger. Ein bekannter Hersteller solcher Anlagen war die Firma Bruns in Bad Zwischenahn, die vorher bereits mobile Dämpfer produziert hatte. Ihre „Großdämpfanlage Modell Weser-Ems“ wurde Ende der 50er-Jahre an mehrere hundert Standorte geliefert.

Die Dämpfanlage 'Modell Weser-Ems' in Burgsteinfurt (Foto 1959).

Aus Kostengründen sowie aus technischen Erwägungen wurden diese stationären Anlagen häufig an Molkereibetriebe angegliedert, weil man die dort bereits vorhandenen Dampfkessel mitbenutzen konnte. So beschloss 1955 auch die 20 Jahre zuvor gegründete „Molkerei-Genossenschaft Burgsteinfurt“ bei einer außerordentlichen Generalversammlung, neben ihrem Molkereigebäude am Bahnhof eine Kartoffeldämpfanlage zu errichten und zu betreiben. Man entschied sich für ein Modell der Firma Bruns, das für seine robuste Bauweise und einfache Bedienung bekannt war.

Die Kartoffeldämpfanlage an der Molkerei in Burgsteinfurt (Foto 1959).

Gerd Hoge, geboren 1952 auf dem elterlichen Bauernhof Becks-Hoge in der Burgsteinfurter Bauerschaft Sellen, war von 1969 bis 1978 mit dem Betrieb dieser Anlage beauftragt und kann sich an seine damalige Tätigkeit noch gut erinnern.

Das Kartoffeldämpfen war ein Saisongeschäft. Der Betrieb begann mit der Kartoffelernte und lief dann etwa zwei Monate. Hoges Arbeitstag begann morgens um vier Uhr mit dem Einheizen des Dampfkessels, befeuert mit schwerem Heizöl. Ab etwa sieben Uhr trafen die ersten Bauern ein. Nachmittags gegen 16 Uhr war dann Arbeitsende. Die Bauern kamen auf Terminabsprache mit dem Traktor und hoch mit Kartoffeln beladenen Anhängern zur Dämpfanlage. Weil viele landwirtschaftliche Anhänger damals noch keine Kippvorrichtung besaßen, war die Entladerampe schräg angelegt. Die Kartoffeln rollten in eine Wanne und wurden mit Förderschnecken zu einer Waschanlage geleitet, um Sand und Schmutz zu entfernen, damit diese nicht in das Viehfutter gelangten.

Fahrzeuge mit rohen und gedämpften Kartoffeln in Bursteinfurt (Foto 1959).

Die Dämpfanlage selber bestand aus drei großen Kesseln, die kreisförmig angeordnet waren. Der erste Kessel wurde zuerst befüllt. Wenn sein Volumen nicht ausreichte, kamen die übrigen Kartoffeln einer Lieferung in den zweiten Kessel. Der dritte Kessel wurde anschließend schon vom nächsten Bauern befüllt und so ging es den ganzen Tag reihum weiter. Die Kartoffeln wurden in den Behältern unter Druck mit Dampf weichgekocht – ähnlich wie Speisekartoffeln in einem Schnellkochtopf. Je nach Menge dauerte ein Durchgang vom Waschen über das Dämpfen bis zum Verladen etwa eineinhalb Stunden. Am Ende erhielt jeder Bauer die Futtermasse aus seinen eigenen Kartoffeln zurück.

Durch das Dämpfen verwandelten sich die Kartoffeln zu einer breiartigen Masse. Diese wurde mit Förderschnecken auf die Anhänger befördert. Der dampfende Brei klatschte schließlich auf die Ladefläche der Anhänger. Wenn die Kartoffeln noch nicht richtig weich waren, entstand dabei ein trommelartiges Geräusch. Dann wusste man, dass man noch nachkochen musste.

Die Bauern mussten die gedämpften Futterkartoffeln rasch in ein Silo einlagern. Dieses bestand üblicherweise aus einer ebenerdigen Betonplatte mit zwei Seitenwänden. Nach dem Befüllen wurde die Kartoffelmasse mit Sand und Stroh möglichst luftdicht abgedeckt. Silofolien aus Kunststoff gab es in den 1960er-Jahren noch nicht.

In den 1970er-Jahren nahmen die Viehbestände auf den Höfen rasch zu und viele Schweinehalter stellten den Betrieb auf die Fütterung mit industriell hergestelltem Kraftfutter um. Damit wurden auch die Kartoffeldämpfanlagen überflüssig.

Die Anlage in Burgsteinfurt wurde Ende der 1970er-Jahre außer Betrieb genommen. Wer weiterhin mit Kartoffeln füttern wollte, musste zu weiter entfernten Anlagen fahren, die vereinzelt noch bis in die 1990er-Jahre in Betrieb waren. Der Bauernsohn Gerd Hoge wechselte von der Genossenschaft zu einer besser bezahlten Tätigkeit in der Abfallwirtschaft.

Heute sind die vielen kleinen Molkereien, die in den meisten Orten in Nordwestdeutschland existierten, längst Geschichte. Während die Molkereigebäude häufig zu anderen Zwecken umgebaut wurden, sind die zahlreichen Kartoffeldämpfanlagen als rein technische Einrichtungen längst aus dem Ortsbild verschwunden. Damit verblasste auch die Erinnerung an diese wichtige Stufe der Technisierung von Kartoffelverarbeitung und Futterwirtschaft. Sie war nur möglich durch das Aufkommen der Traktoren in der Landwirtschaft. Damit wurde der Transport der Kartoffeln zu einer leistungsfähigen zentralen Anlage effizienter als der Einsatz mobiler Dämpfer. Doch nach wenigen Jahrzehnten war diese Art der Futterwirtschaft durch den Übergang zum Kraftfutter schon wieder überholt.

 

Der Oldtimerclub-Niedergrafschaft e.V. in Itterbeck (Landkreis Grafschaft Bentheim) unterhält seit 2002 einen voll funktionsfähigen mobilen Kartoffeldämpfer. https://www.oldtimerclub-niedergrafschaft.de/Kartoffeldaempfer.html

Eine seit 2007 denkmalgeschützte stationäre Kartoffeldämpfanlage aus dem Baujahr 1962 steht im niedersächsischen Dorf Stöckse (Landkreis Nienburg/Weser).

 

Quellen:

Festschrift: 25 Jahre Molkerei Burgsteinfurt e.G.m.b.H. Münster 1959.

Statut der Molkereigenossenschaft Burgsteinfurt vom 7.4.1934, Stand 1955.

Befragung von Gerd Hoge, Nordwalde, im Juni 2025.