Migration, Demographie und Pandemie

23.10.2020 Kathrin Schulte

Eine Blockhütte der ersten Siedler im Freilichtmuseum Germantown. Foto: Andreas Eiynck.

Migration, Demographie und Pandemie

Vom Schicksal einer Auswandererfamilie aus Beckum

Andreas Eiynck

Migration, Demographie und Pandemie bestimmen derzeit die öffentliche Diskussion. Die Migration schon länger und vor allem seit 2015, die demographische Entwicklung bereits ein paar Jahre länger und die Pandemie ganz überraschend seit 2020. Doch Migration, Pandemien und neue demographische Entwicklungen gibt es schon, seit der Homo Sapiens die Welt erobert.

Die neue Krankheit kam aus Asien und war auf den anderen Kontinenten unbekannt. Dann entwickelte sie sich zur Pandemie und erreichte in kurzer Zeit große Teile Asiens, Europa, Afrika und Amerika. Die erste Erkrankung in Deutschland trat 1831 auf, in den USA 1832. Es war nicht Corona, sondern die „asiatische Cholera“, gegen die es damals kein Gegenmittel gab. Nach ein paar Jahren ebbte die Pandemie ab, aber die Krankheit war nicht besiegt und bald folgten neue Wellen.

Heinrich Joseph Altepeter stammte aus einer alteingesessenen Bauernfamilie im Kirchspiel Beckum im Münsterland. Er war ein nachgeborener Bauernsohn. Sein älterer Bruder erbte den elterlichen Hof, Heinrich Joseph ging leer aus. Er heiratete Gertrud Flickenkamp, die einen kleinen Kotten mit in die Ehe brachte. Doch eine dauerhafte Existenz konnte man darauf nicht aufbauen.

Der Überlieferung nach erhielt Altepeter durch Briefe aus Amerika an den örtlichen Lehrer Kenntnis von der Besiedlung der Gegend am Shoal Creek im ländlichen Clinton County im Süden von Illinois, ca. 40 km östlich von St. Louis. Diese Gegend entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten zum Ziel zahlreicher Einwanderer aus dem Münsterland, dem Emsland und dem Osnabrücker Land. Jeder neue Einwanderer, der es hier zu einer kleinen Farm brachte, zog durch seine Briefe in die Heimat weitere Verwandte, Nachbarn und Bekannte aus Deutschland an. Bald bildete sich im Clinton County ein geschlossener Siedlungsraum katholischer Einwanderer aus Nordwestdeutschland. Der Hauptort hieß zunächst Hanover, weil die ersten deutschen Siedler aus dem Königreich Hannover stammten, und wurde später in Germantown umbenannt. Die dortige Kirche erhielt das Patronat des Heiligen Bonifatius, dem Apostel der Deutschen.

In Herbst 1837 reiste die Familie Altepeter aus Beckum mit vier Kindern von Bremen in Richtung Amerika und traf am Ersten Weihnachtstag in New Orleans ein. Zwei Monate später fuhren sie mit einem Schiff auf dem Mississippi weiter nach St. Louis, wo Frau und Kinder zunächst verblieben. Altepeter und einige andere Männer zogen zu Fuß los und hielten Ausschau nach einer Möglichkeit, sich als Farmer niederzulassen. Sie fanden eine gute Gelegenheit im Clinton County in der Nähe von Hanover, dem heutigen Germantown. Altepeter bezog dort 1838 mit seiner Familie eine Blockhütte mit einem Stück Ackerland in der Nähe von Germantown. Als geschickter Zimmermann bekam er rasch Aufträge und erzielte ein gutes Einkommen. Die Lebensverhältnisse der Siedler in den ersten Jahren waren allerdings sehr einfach.

Auch blieb die junge Einwandererfamilie von Schicksalsschlägen nicht verschont. Schon kurz nach der Ankunft in den USA starb die jüngste Tochter Katharina. Die Mutter Gertrud Altepeter, geb. Flickenkamp, war bereits auf der Bootsfahrt von New Orleans nach St. Louis erkrankt und starb im Oktober 1839. Sie hinterließ einen Witwer mit 4 Kindern. Altepeter heiratete daraufhin Catharina Gramann, geborene Hollenkamp, eine Witwe mit 3 Kindern. Auch sie hatte schon schwere Schicksalsschläge hinter sich. Ihr erster Ehemann Gerhard Vogt war bald verstorben und ihr zweiter Mann Heinrich Gramann, gebürtig aus Druchhorn bei Ankum, starb ebenfalls nach wenigen Jahren. Heinrich Joseph Altepeter, selber Witwer mit 4 Kindern, heiratete die Witwe seines Freundes Gramann und nahm dessen Kinder bei sich auf. Die neue Familie zog auf die Gramann-Farm zwischen Germantown und Breese.

1849 drohte dort neue Gefahr, denn eine zweite Cholerawelle war in Anzug. Besonders betroffen waren 1848 England und Wales, im Jahr darauf das von einer Hungerkatastrophe geplagte Irland. Irische Auswanderer, die vor den Hungersnöten in die USA flüchteten, brachten die Krankheit an den Mississippi, wo 1849 allein in St. Louis 4.500 Menschen an der Cholera starben. Auch in New York gab es tausende Todesopfer, vor allem unter den irischen Einwanderern.

Auf der Farm in Breese legte Heinrich Joseph Altepeter angesichts der zahlreichen Cholera-Todesfälle in der Gemeinde und in der Nachbarschaft ein Gelübde ab. Sollte seine Familie die Cholera überleben, dann wolle er aus Dankbarkeit ein großes Kreuz auf seiner Farm errichten. Und während sich im Sommer 1849 die Friedhöfe im Clinton County rasch mit den Gräbern der Cholera-Toten füllten, blieb die Familie Altepeter von der Krankheit verschont. Das Kreuz wurde 1850 errichtet und steht noch heute an der Straße von Breese nach Germantown, versehen mit der deutschsprachigen Inschrift „Im Kreuz ist Heil“.

Die Farm befindet sich nach wie vor im Besitz der Nachfahren der Familie Altepeter, heute Timmermann. Das ursprünglich aus Holzbalken errichtete Kreuz wurde im Laufe der Zeit mehrfach erneuert und die heutige Version besteht aus dauerhaftem Beton. Zeitweise wurde berichtet, die jeweiligen Erben der Farm müssten sich zur dauerhaften Pflege des Kreuzes verpflichten. Doch der jetzige Hofinhaber Joe Timmermann bestreitet das: „There is no such requirement. The cross was placed there by a man who had faith in God. It remains there for the same reaseon“ (So eine Forderung gibt es nicht. Das Kreuz wurde errichtet von einem Menschen, der auf Gott vertraute. Und aus diesem Grund steht es dort noch heute).

Nicht alle Gebete im Clinton County wurde damals erhört. Der Sohn und Hoferbe Heinrich Altepeter, 1830 noch in Deutschland geboren, heiratete 1856 in Germantown Elisabeth Hellmann, geboren 1834 in Deutschland. Ihre Eltern waren die Einwanderer Johann Hellmann aus Hollenstede bei Fürstenau und seine Frau Margaretha Elisabeth Apken aus Messingen im Emsland. Ihre gesamte Familie war 1847 in die USA ausgewandert und hatte sich in St. Louis niedergelassen. Dort wurde sie im Sommer 1849 innerhalb weniger Wochen von der Cholera fast vollständig ausgelöscht.

Auch Altepeters Nachbarfamilie Hülsmann hatte ein trauriges Schicksal. Der Schmied und Farmer Theodor Hülsmann, gebürtig aus Merzen bei Fürstenau, war schon 1838 nach Breese ausgewandert. Zehn Jahre später folgten ihm sein Bruder Frederick sowie 1850 sein Bruder Bernhard mit seiner Familie und den schon hochbetagten Eltern. Der Zeitpunkt der Reise hätte nicht unglücklicher fallen können, denn als die Familie mit dem Schiff „Ernestine“ am 4. Juni 1850 in New Orleans eintraf, erreichte die Cholera-Pandemie dort gerade ihren Höhepunkt. Einige Tage später bei der Ankunft in St. Louis war Bernhard Hülsmann schon daran erkrankt und kam sofort in Quarantäne. Er starb am 22. Juni 1850 in St. Louis, nur 18 Tage nach seiner Ankunft in der Neuen Welt und ohne einen seiner Brüder dort gesehen zu haben. Die Leiche des Verstorbenen brachte man nach Germantown und auf dem dortigen St. Bonifatius-Friedhof fand Bernhard Hülsmann aus Merzen sein Grab in einer neuen Heimat, die er nie betreten hatte.

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