Wie man sich bettete… Ein Nachlassinventar bietet Einblick in das adlige Nachtleben zu Beginn des 18. Jahrhunderts

01.10.2021 Niklas Regenbrecht

Herrenhaus des Adelssitzes Stockhausen, Foto: Sebastian Schröder.

Sebastian Schröder

Schriftliche Informationen über die materielle Kultur vergangener Jahrhunderte sind nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil viele der in diesen Quellen benannten und beschriebenen Artefakte die Jahrhunderte leider nicht überdauert haben. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn es sich um Textilien handelt, weil Stoffe dem Zahn der Zeit weitaus weniger entgegenzusetzen hatten als beispielsweise Möbel oder Gebäude. Wer also erfahren möchte, wie man sich in vergangenen Jahrhunderten bettete, ist vielfach auf schriftliche Quellen angewiesen. Eine solche liegt beispielsweise in Form des nach dem Tod des Freiherrn Mathias Hilmar von der Recke aufgenommenen Nachlassinventars vor. Sie verrät nicht nur, wie viele Bettstellen auf dem Rittergut des Adligen vorhanden waren, sondern auch, mit welchen Bettwaren (Kissen, Oberbetten, Vorhängen) diese ausgestattet waren.

Bis zu seinem Tod im November 1719 lebte von der Recke auf Gut Stockhausen in der Nähe der Stadt Lübbecke. Nur wenige Wochen später, nachdem er „in sein Ruhe-Cämmerlein beygesetztet“ worden war, kontaktierte seine Witwe Levina von der Recke, geborene von Hammerstein, den kaiserlichen Notar Anton Heinrich Wippermann. Dieser erhielt den Auftrag, ein Nachlassverzeichnis des Mobiliars und der Besitztümer des Verstorbenen anzufertigen. Es galt nämlich, etwaige Ansprüche der Erben zu verhandeln. So hatte der Verblichene mit seiner Ehefrau zwei noch lebende Kinder gezeugt, einen Sohn und eine Tochter. Damit es zukünftig keine Konflikte um angeblich veruntreute Erbstücke gebe, diente das anzufertigende Register als „Sicherheit“ für die beiden adligen Nachkommen.

Westansicht des Rittergutes Stockhausen, Foto: Sebastian Schröder.

Am Vormittag des 15. Dezembers 1719 schritt der Notar zur Tat. Ihm zur Seite standen Hilmar Erich von Steding zu Holzhausen, ein mütterlicher Verwandter von der Reckes, und Friedrich Christoph von Hammerstein zu Loxten, Hamm, Dinklage und Quakenbrück, der Bruder der Witwe. Sie sollten als Zeugen beeiden, dass keine Gegenstände verheimlicht oder versteckt worden waren und Wippermann nichts vergessen habe. Zunächst wurden die auf Stockhausen vorhandenen Betten und Bettwaren gezählt und einzeln aufgeführt. In einer Schlafkammer waren ein Oberbett mit einem aus rot bedrucktem Leinen gefertigten Bezug, ein Unterbett sowie ein Kissen oder Polster (Pfuhl) aus Drellstoff, ein Pfuhl aus Barchent sowie zwei Kissen aus dem gleichen Material und ein Umhang aus grüngelbem Stoff vorhanden. Auch im Turm befand sich ein Schlafgemach mit einem Oberbett aus Barchent, einem Unterbett, zwei Polstern und einem Kissen aus Drallstoff. Diese Bettstelle war ebenfalls mit einem grüngelben Umhang umgeben, der rote Fransen aufwies. Leider ist nicht überliefert, wer in diesen Räumen nächtigte und wie viele Personen gleichzeitig in einem Bett die Nacht verbrachten. Angesichts der verwendeten Stoffe deutet sich jedoch an, dass es sich um herrschaftliche Schlafgemächer gehandelt hat.

Himmelbett aus Neuenkirchen bei Osnabrück aus dem 18. Jahrhundert, Foto: Dietmar Sauermann/Archiv für Alltagskultur, 0000.49551.

Die Ausstattung der Kammer für die Haushälterin sah jedenfalls anders aus. Sie bettete sich vornehmlich in Drallstoffe, hinzu kam ein Pfuhl aus Barchent und ein leinenes Kissen. Um ihren Schlafplatz herum hingen gelbe Leinenbahnen, zudem gedruckte Gardinen. In diesem Zimmer schlief darüber hinaus eine Magd, die mit einem „alten“ Bettbezug aus Barchent vorliebnehmen musste und ansonsten in Leinengewändern nächtigte. Ferner existierte eine „Magde-Cammer“, in der sich eine Schlafmöglichkeit bot, die mit Drallstoff und Leinen bezogen war.

Der Notar lässt den Wert der aufgefundenen Bettstellen und -waren unerwähnt. Allerdings berichtet er, dass die Ehefrau des Landdrosten von dem Bussche für 60 Reichstaler ein Bettgestell samt Zubehör aus der „großen Cammer“ im Untergeschoss des Rittergutes erworben habe. In einer der unteren Etagen des Adelssitzes waren außerdem Schlafplätze in einer „Cammer“, in der „Saal-Cammer“ und im Zimmer der Mägde der Frau von der Recke zu finden.

Zeittypisch lassen sich die Standesunterschiede auch an den Textilien ablesen: Für das Gesinde wurden nicht nur schlechtere Stoffqualitäten, sondern auch nur selten einmal gefärbte Textilwaren verwendet. In den repräsentativen Zimmern überwogen dagegen reich verzierte, farbige Gewebe. So entdeckte der Notar im herrschaftlichen Saal rote Kissen, Gardinen und Tischdecken aus Kattun. Überdies vermerkte der Notar im Protokoll ein „Ruhebett“ des verstorbenen Herrn von der Recke, das mit rotem Reuschleder bezogen und mit gekochtem Pferdehaar ausgepolstert war.

In diesem Bett aus dem Jahr 1728 schlief einst ausweislich der Inschrift Anna Catrina Maria Ronsiecks aus der Bauerschaft Schröttinghausen Nr. 1 (bei Bielefeld), Foto: Berthold Heizmann/Archiv für Alltagskultur, 0000.72467.

Auch die Platzierung der Schlafstätten brachte gesellschaftliches Oben und Unten zum Ausdruck: Nur wenigen Angestellten der Stockhauser Adligen war es gestattet, sich im Herrenhaus zur Ruhe zu betten. Die meisten von ihnen schliefen in den Nebengebäuden: im Tor- oder Pfortenhaus, wo vermutlich auch der Schreiber beziehungsweise Verwalter seine Gemächer hatte, und im Wirtschaftstrakt vor der Pforte, in dem eine Kammer mit einem kleinen und einem großen Bett existierte. Des Weiteren entdeckte man im Pferdestall eine „Knechte-Cammer“ mit einer kleineren und einer größeren Schlafgelegenheit. Hinzuweisen ist zudem auf das Bett der „Meyerschen“, die im Vorwerk die Nacht verbrachte. Insgesamt wurden 17 Bettstellen in den Gebäuden des Gutes Stockhausen ermittelt. Wie viele Personen darin schliefen, lässt sich anhand der Quelle leider nicht sagen.  

Für die Angehörigen war es eine notwendige Pflicht, im Todesfall den Besitzstand genau zu verzeichnen. Für die Nachwelt bietet sich dadurch die einmalige Gelegenheit, einer adligen Familie und ihrem Gesinde quasi einen Besuch abzustatten. Dabei überrascht, wie exakt die Bettstellen im Gegensatz zu allen anderen Gegenständen beschrieben worden sind; neben den verwendeten Materialien werden sogar mitunter die Farben erwähnt. Vermutlich war es ein Ausdruck des hohen Wertes, der Schlafplätzen und ihrer Ausstattung damals zugesprochen wurde.