Barbara Stambolis
Den Lippstädter Fotografen Walter Nies interessierten Mimik und Gestik der Menschen sowie Atmosphärisches von Situationen und Ereignissen. Er dokumentierte zahlreiche Einweihungen von Heimen und Kirchen und auch Prozessionen und Wallfahrten in Westfalen. Seine Bilder bieten viel Interpretationsspielraum.
Ein Fotograf unterwegs in Westfalen
Walter Nies (1918-2008) war Autodidakt; er fotografierte seit Mitte der 1930er Jahre. 1942 bis 1945 war er für die Bann-Bildstelle der Hitlerjugend in Lippstadt, ab 1943 auch für die Bildstelle der HJ Westfalen-Süd in Bochum tätig. Finanziell war er unabhängig, denn seine Familie besaß in Lippstadt eine Brauerei. Er arbeitete nach 1945 unter anderem unentgeltlich für die „Katholische Osthilfe“, die Flüchtlinge unterstützte. Er selbst war nicht katholisch. Seine Bilder dienten beispielsweise als Illustrationen (ohne namentliche Nennung des Fotografen!) für Hilfeaufrufe der Caritas. Er nahm in den 1940er und 1950er Jahren als Beobachter an zahlreichen Einweihungen von Heimen und Kirchen, an Besuchen kirchlicher und politischer Prominenz in der näheren Umgebung teil. In Sequenzen erzählte Nies mit seinen Fotos vielfach Bildgeschichten im Stil von Fotoreportagen. Er dokumentierte mit visuellen Mitteln Situationen von Menschen in Not, denen dank caritativer Initiativen geholfen werden konnte. Kinder und Jugendliche standen häufig im Mittelpunkt seiner Aufnahmen, beispielsweise heimat- und elternlose, deren verzweifelt und erschöpft wirkende Gesichter sich in erleichterte, unter liebevoller Zuwendung und Fürsorge in dankbare und fröhlich lachende verwandelten. Solche mit fotografischen Mitteln erzählten Hoffnungs-Geschichten waren in der Nachkriegszeit verbreitet.
Nicht zuletzt fotografierte er Prozessionen und Wallfahrten im ländlichen Westfalen. Bei festlichen Gelegenheiten entdeckte er auch scheinbar Nebensächliches am Rande des Geschehens. Seine Bilder zeigen das Idealbild einer Religiosität, die Menschen nach den Schrecken der NS-Zeit und des Krieges Halt und Sicherheit gab. Dies entsprach dem damals verbreiteten Narrativ von der Kirche als „Siegerin in Trümmern“.