Sozialistische Jugend auf westfälischer – „roter“ – Erde

28.03.2025 Niklas Regenbrecht

Barbara Stambolis

Mit Westfalen als „Land der roten Erde“ verbinden sich viele Assoziationen. Kaum bekannt sind Bedeutungsvarianten, die in der Arbeiterjugend verbreitet waren. Ihre Großveranstaltungen eröffnen Einblicke in eine sozialistisch gedeutete westfälische „rote Erde“, die mittlerweile Geschichte ist. Besonders facettenreich und politisch aufgeladen war in dieser Hinsicht der Arbeiterjugendtag Anfang August 1928 in Dortmund, dessen Motto „Rote Jugend auf roter Erde“ lautete.

Die Farbe Rot und die „rote Erde“

Die Rede von Westfalen als „Land der roten Erde“ entstand vermutlich im ausgehenden Mittelalter im Kontext der Femegerichtsbarkeit und entwickelte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem zentralen Topos der national gefärbten Heimatdichtung.  Besonders augenfällig ist wohl die Leinwandproduktion „Westfalenlied“ (1957), die in bewegten Bildern ländliche Idylle mit geschichtsträchtigen Altstadtansichten und gestellten Alltagsszenen einer Bevölkerung verband, welche überwiegend noch mit Pferdewagen und Handkarren unterwegs war. Der Film wollte als „großer echter Heimatfilm vom Land der Roten Erde“ wahrgenommen werden.

Weniger bekannt als das soeben genannte Narrativ, das eine industrieferne Region romantisiert, ist eine andere, nämlich eine sozialistisch gedeutete westfälische „rote Erde“, die industriell geprägt war. Sie spielte bei Großveranstaltungen der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) eine wichtige Rolle. Ihre Mitglieder waren jugendliche Lehrlinge oder Arbeiter und Arbeiterinnen, deren Kampf für die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen der Unterstützung von Partei und Gewerkschaften bedurfte. Doch sie verstanden sich auch als Jugendliche, die ihre knapp bemessene Freizeit in altershomogenen Gruppen nach eigenen Vorstellungen und ohne Kontrolle Erwachsener verleben wollten. Auf den Arbeiterjugendtagen, die in Weimar 1920 und Bielefeld 1921 ihren Anfang nahmen und in der Folge auch zum Beispiel in Nürnberg oder Hamburg stattfanden, wurde dies stets deutlich.

Abb. 1: Archiv der Arbeiterjugend (AAJB), Fotosammlung, 02/6: Postkarte zum Reichsjugendtag der Arbeiter-Jugend in Bielefeld 1921, hg. vom Hauptvorstand des Verbandes der Arbeiterjugend-Vereine Deutschlands, Berlin.
Abb. 2: AAJB, Fotosammlung, 02/17: Werbepostkarte der Arbeiter-Jugend „Rote Erde“, Dortmund 1928, Originalholzschnitt von H. Everz.

Bei etlichen Teilnehmenden des Arbeiterjugendtages in Dortmund hinterließ die Industriestadt einen starken Eindruck. Ein Jugendlicher aus Bielefeld erinnerte sich rückblickend an die Eröffnungsveranstaltung in der Westfalenhalle, an der etwa 25.000 Menschen teilgenommen haben sollen. Seine Gruppe, ein Trommler-Korps, habe sich lange vorbereitet. Er werde nie vergessen, wie bei ihrem Einzug die Internationale gespielt worden sei. Bei der Abschlusskundgebung der dreitägigen Massenveranstaltung kamen etwa 70.000 Menschen zusammen.

Weitere Veranstaltungsorte in der Stadt waren die „Kampfbahn Rote Erde“, die für sportliche Wettkämpfe genutzt wurde, der zentrale Hansa-Platz und das Friedrich-Ebert-Denkmal auf dem Schiller-Platz in Hörde, das an den 1925 verstorbenen sozialdemokratischen Politiker und Reichspräsidenten erinnerte. Die Teilnehmenden versammelten sich auch auf dem Nordfriedhof, wo sie vor einem erst kürzlich errichteten Mahnmal der Opfer eines schweren Zechenunglücks vom Februar des Jahres 1925 gedachten. Das Rot stand in Dortmund 1928 für das Meer roter Fahnen, in dem die Jugendlichen durch Stadt zogen, die Farbe einer in Liedern mit dem Sonnenaufgang bzw. Morgenrot assoziierten sozialistischen Zukunft, die Flammen der Hochöfen und das Blut derjenigen, die ihre politische Haltung mit dem Leben bezahlt oder während der Arbeit den Tod gefunden hatten. Erich Ollenhauer (1901-1963), neugewählter Vorsitzender der SAJ, fand kämpferische Worte, in denen er die Farbe Rot auf den „Boden des Landes“ und das „But der Opfer der Arbeit“ bezog.

Abb. 3: AAJB, Fotosammlung, 02/2579_5: Arbeiterjugendtag Dortmund 1928, Demonstrationszug durch die Straßen, Fotograf: Wilhelm Maess.
Abb. 4: AAJB, Fotosammlung, 02/2501: Arbeiterjugendtag Dortmund 1928, Sprechchor-Aufführung in der Westfalenhalle, die den Bergarbeitern gewidmet war, im Hintergrund der Bühne ein Förderturm, Fotograf: Wilhelm Maess.
Abb. 5: AAJB, Fotosammlung, 02/2579_1: Arbeiterjugendtag Dortmund 1928, in der Kampfbahn Rote Erde, Fotograf: Wilhelm Maess.
Abb. 6: AAJB, Fotosammlung, 02/2579_3: Arbeiterjugendtag Dortmund 1928, auf dem Nordfriedhof am Ehrenmal für die Opfer des Grubenunglücks im Februar 1925 auf der Zeche Minister, Fotograf: Wilhelm Maess.
Abb. 7: AAJB, Fotosammlung, 02/1794 SAJ Herten: auf dem Jugendtag in Dortmund 1928.

Abnehmende „rote“ Leuchtkraft auf „roter Erde“

Der Arbeiterjugendtag Ende Juli 1955 in Dortmund knüpfte an das Narrativ der Weimarer Republik in mancherlei Hinsicht an, wenngleich den Reden und Kommentaren das Pathos der 1920er Jahre fehlte. Teilnehmer:innen bekamen die Gelegenheit, die Stadt kennenzulernen, sie besuchten Fabriken und erkundeten spielerisch die Umgebung. Ein Zeltlager ging – wie 1928 – dem Jugendtag der Sozialistischen Jugend Deutschlands SJD-Die Falken (in Nachfolge der SAJ) 1955 voraus. Im Zentrum stand die Massenveranstaltung im Stadion Rote Erde und der Westfalenhalle.

In den folgenden Jahrzehnten verlor das Bild der „roten Jugend auf roter Erde“ an Strahlkraft. Tiefgreifende strukturelle Umbrüche zeichneten sich ab. Auf den Niedergang der Zechen folgte die Krise der Stahlindustrie. Der Arbeiterjugendtag Pfingsten 1984 konnte nicht mehr mit „roter Jugend“ vor Schloten und Hochöfen werben, die lange mehr als bloße Kulisse gewesen waren.

Abb. 8: AAJB, Fotosammlung, 08/8_Neg 175030: Arbeiterjugendtag Dortmund 1984, Fotografen: Reiner Ciesla, Heinrich Eppe.
Abb. 9: AAJB, Fotosammlung, 8_138_62: Arbeiterjugendtag Dortmund 1984, Fotografen: Reiner Ciesla, Heinrich Eppe.
Abb. 10: AAJB, Fotosammlung, 10_89_15: Arbeiterjugendtag Dortmund 1984, Fotografen: Reiner Ciesla, Heinrich Eppe.
Abb. 11: AAJB, Fotosammlung, 8 08_88_Neg 178008: Arbeiterjugendtag Dortmund 1984, Fotografen: Reiner Ciesla, Heinrich Eppe.
Abb. 12: AAJB, Fotosammlung, 8_138_87: Arbeiterjugendtag Dortmund 1984, Fotografen: Reiner Ciesla, Heinrich Eppe.

Literatur

André Biederbeck: Rote Erde, in: Lena Krull (Hg.): Westfälische Erinnerungsorte. Beiträge zum kollektiven Gedächtnis einer Region, Münster 2017, S. 181-192.

Bodo Brücher, Günter Hartmann: „Hebt unsere Fahnen in den Wind!“ Bilder aus der Geschichte der sozialistischen Arbeiterjugendbewegung in Ostwestfalen und Lippe, Bielefeld 1987.

 

Quellen

Erich Ollenhauer: Von Weimar bis Bielefeld. Ein Jahr Arbeiterjugendbewegung. Zum Reichsjugendtag im Juli 1921 in Bielefeld, Berlin 1921.

Arbeiter-Jugend. Monatsschrift der sozialistischen Arbeiterjugend, 20. Jg. 1928, Nr. 7/8, 9.

Willi Hofmann: Auf unserer roten Erde. Worte für den Wanderer auf der roten Erde, Dortmund 1928.

Rote Jugend auf Roter Erde. Erinnerungsbuch an den 5. Reichsjugendtag 1928 in Dortmund und das erste Reichszeltlager der S.A.J. im Teutoburger Walde. Zusammengestellt von Willi Hofmann und Gustav Weber, Berlin 1929.

Kategorie: Aus anderen Sammlungen

Schlagwort: Barbara Stambolis