„Mackelsmänner“ und „Gesindevermittlerinnen“. Die Stellensuche von Knechten und Mägden

23.01.2024 Niklas Regenbrecht

„Bäuerliche Familie mit Knechten und Mägden vor dem Hof“ (Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 2021.00014).

Timo Luks

Zu den im Archiv der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen aufbewahrten Berichten zu verschiedenen Aspekten des westfälischen Alltagslebens gehört auch eine Erhebung zu „Knechten und Mägden“ (Frageliste 18). Die Frageliste stammt aus dem Jahr 1955. Unter anderem interessierte sich die damalige Volkskunde für die Stellensuche. Damit berührte die Frageliste ein grundlegendes Problem des Arbeitsmarkts. Es geht um eine Kulturtechnik, die wir heute ganz selbstverständlich mit der Lektüre von Stellenausschreibungen und dem Versenden einer schriftlichen Bewerbung in Verbindung bringen. In dieser Form entwickelte sich die Praxis der Stellensuche schrittweise im Verlauf des 19. Jahrhunderts – und zwar zunächst bei Stellen in verschiedenen Ämtern, in privaten Diensten, als Prediger, Lehrer, Handlungsgehilfe, Kontorist usw. Primär handelte es sich bei denjenigen, die bereits früh mit der Notwendigkeit einer schriftlichen Bewerbung konfrontiert waren, um Dienstpersonal in ganz unterschiedlichen Funktionen und Tätigkeitsfeldern; und es handelte sich um Milieus, die zumeist städtischen Charakter hatten.

Der ländliche Raum spielte für die Entstehung der Kulturtechnik der (schriftlichen) Bewerbung keine Rolle. Das hat nicht in erster Linie mit der Art der Stellen zu tun. So sind beispielsweise für Stadtknechtstellen, die dem ländlichen Gesindewesen vergleichbar sind, früh schriftliche Anstellungsgesuche überliefert. Für Knechte und Mägde auf dem Land ist das nicht der Fall. Die Antworten auf die volkskundliche Befragung, die sich auf das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert beziehen, dokumentieren, dass dort andere Praktiken als das schriftliche Anstellungsgesuch fest etabliert waren und zäh fortlebten.

Weitgehend verschwunden war wohl um die Jahrhundertwende – nicht nur in Westfalen – die Ausrichtung halbjährlicher oder jährlicher Gesindemärkte, denen der englische Romancier Thomas Hardy 1874 einige Seiten gewidmet hat. „An einem Ende der Straße“, so schrieb er, „standen zwei- bis dreihundert muntere, kräftige Arbeiter und warteten auf ihre Gelegenheit“. Die Männer, von denen die Rede ist, waren Fuhrleute, Dachdecker, Schäfer, die sich mit bestimmten Zeichen als solche zu erkennen gaben, und „somit war den Interessenten die gesuchte Anstellung mit einem Blick bekannt.“ (S. 50)

Weiter bedeutsam blieb aber das Vermittlungswesen. In einem Bericht aus Hagen aus dem Jahr 1958, der sich auf die Zeit vor 1914 bezieht, heißt es:

„Eine neue Stelle erhielt man durch eigene Anfrage oder auch durch Vermittlung. Als Vermittler dienten meistens die Viehhändler, die ja immer von Hof zu Hof kamen und deshalb über die Herrschaften, ihr Gesinde und das Vieh auf den Höfen im Bilde waren. Diese Viehhändler nannte man hier Mackelsmänner, (Makler), weil sie außer ihrem Viehhandel auch Dienstpersonal, ja sogar Ehen vermittelten.“ (MS01327)

Für die Zeit um 1900 erinnerte sich eine Gewährsperson mit Blick auf den Hochsauerlandkreis, dass man sich, wenn „in irgendeinem Hause ein Knecht oder ein Mädchen benötigt“ wurde,

„zuerst im eigenen Dorfe und erst dann in Nachbardörfern um[schaute]. Die ersten Kontakte erfolgten durchweg durch Vermittlung, weil man dabei schon manches erfahren konnte. Man ging zu Bekannten und frug, ob sie nicht einen ordentlichen Jungen oder ein ordentliches Mädchen wüßten.“ (MS06165)

Über Kirchhellen hieß es für einen etwas späteren Zeitraum:

„Man bediente sich zur Beschaffung von Personal meist einer ‚Gesindevermittlerin‘.“ (MS06156)

Auffällig ist das breite Spektrum der Vermittlungstätigkeiten sowie der Vermittler und Vermittlerinnen selbst: Männer, die aufgrund ihrer anderweitigen Tätigkeit (Viehhändler) und des damit verbundenen Informationsvorsprungs in einer dafür günstigen Position waren, informelle Auskünfte von Bekannten und schließlich die Inanspruchnahme von mehr oder weniger professionalisierten Vermittlungsdienstleistungen. Die Praxis, Verträge zu bestimmten, lange Zeit ritualisierten Terminen (zum Beispiel Lichtmess oder Michaelis) zu kündigen oder zu verlängern sowie der damit verbundene regelmäßige Wechsel der Dienstverhältnisse hatte eben auch zur Folge, dass es im Bereich des Dienstboten- und Gesindewesen eine rege Nachfrage nach vermittelnden Dienstleistungen gab.

Im städtischen Kontext unterstand das Vermittlungswesen der obrigkeitlichen Aufsicht und hing von einer behördlichen Konzessionierung ab. Der Trend einer stetig wachsenden Zahl von Vermittlern, vor allem auch sogenannter Winkelmakler, die ohne Büro halboffiziell tätig waren, kehrte sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts um. In städtischen Ballungsgebieten kam es zu einem Konzentrationsprozess, in dessen Folge der Markt von wenigen hochprofitablen Büros mit bis zu vierzig Angestellten dominiert wurde, deren jährliche Vermittlungen in die Zehntausende gehen konnten. Gleichzeitig lockerte sich die obrigkeitliche Aufsicht. Der Historiker Rolf Engelsing spricht von einer schrittweisen Entwicklung des Maklerwesens „zum freien Gewerbe, die im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts in den wirtschaftlich bedeutenden Gewerben entgegen den Rechtsvorschriften bereits weit fortgeschritten war“ (S. 172). Demgegenüber, das zeigen die Gewährsleuteberichte, dominierten im ländlichen Raum deutlich informellere und persönlichere Formen der Stellensuche und Stellenvermittlung.

Bemerkenswert ist auch, dass sich in den Berichten nach einer ersten stichprobenhaften Sichtung keine Hinweise auf missbräuchliche Praktiken von Vermittlerinnen und Vermittlern finden, wohl auch weil sich alle Beteiligten in diesem Kontext persönlich kannten. Mit Blick auf das städtische Dienstbotenwesen um 1900 war das ganz anders. Einerseits warnten die in dieser Zeit vermehrt veröffentlichten Ratgeber für Stellensuchende durchweg vor „windigen“ Angeboten und einem grassierenden „Vermittlungsschwindel“, Andererseits war dieses Thema nicht nur ein mobilisierender Faktor der entstehenden (gewerkschaftlichen) Dienstbotenbewegung, sondern auch entscheidend für den Aufbau einer professionellen Arbeitsvermittlung.

 

Literatur und Quellen

Engelsing, Rolf, „Der Arbeitsmarkt der Dienstboten im 17., 18. und 19. Jahrhundert“, in: Alfred Hoffmann u. a. (Hg.), Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarkt, München/Wien 1974, S. 159–237.

Hardy, Thomas: Fern vom Treiben der Menge, Berlin 1999 [1874],

Luks, Timo: In eigener Sache. Eine Kulturgeschichte der Bewerbung, Hamburg 2022.

Vonderach, Gerd, Arbeitsnachweisbewegung und erste Arbeitsmarktstatistik. Der Beginn der landesweiten Koordinierung der Arbeitsvermittlung und die Anfänge der Arbeitsmarkts-Berichterstattung in Deutschland vor hundert Jahren, Münster 1997.

Kategorie: Aus unserer Sammlung

Schlagworte: Landwirtschaft · Timo Luks