Von der Radfahrhose bis zum Charlestonkleid

07.08.2020 Kathrin Schulte

Die Radfahrhose ermöglichte es Frauen, Fahrrad zu fahren, ohne gegen die geltenden Moralvorstellungen zu verstoßen: War Frau am Ziel, wurde ein Rock über der Hose getragen. Foto: Schulte/LWL.

Die Ausstellung „Mythos Neue Frau“ im TextilWerk Bocholt

Kathrin Schulte

Der Zeitraum zwischen 1900 und 1930 fasst eine Vielzahl gesellschaftlicher und politischer Veränderungen – vom Kaiserreich über den Ersten Weltkrieg und das damit einhergehende Ende der Monarchie bis hin zur Weimarer Republik. Dass diese Umbrüche u.a. auch eklatante Auswirkungen auf die Frauen und ihre Rolle in der Gesellschaft hatten, liegt nahe. Dies spiegelt sich auch in ihrer Kleidung wieder, wie die Ausstellung „Mythos Neue Freu“ im TextilWerk Bocholt zeigt.

Die Ausstellung begrüßt die Besuchenden mit kaiserlicher Hochzeitsmode und reich verzierten Korsettkleidern, die jedoch wenig Bewegungsfreiheit ermöglichten. Bei der Benutzung der neuen Fortbewegungsmittel wie der Straßenbahn, dem Auto oder dem Fahrrad stellten sie für ihre Trägerinnen nicht selten eine Gefahr dar– verschiedene Beispiele dafür sind in der Ausstellung zu sehen. Die Ausstellung zeigt, dass sich die Kleidung zunehmend der veränderten Mobilität und Lebenswelt anpasste, ihrerseits dann aber auch wieder ein verändertes Körpergefühl schuf und den Frauen neue Möglichkeiten eröffnete. Das Korsett verschwand, die Kleider wurden leichter und kürzer. Auch Sport- und Schwimmkleidung sind zu sehen, so zum Beispiel in Form einer Radfahrhose, die es Frauen ermöglichte, mit dem Fahrrad zu fahren, ohne gegen die Moralvorstellungen des frühen 20. Jahrhunderts zu verstoßen, da über die Ballonhose ein Rock gezogen werden konnte.

Kleidung und Mode von Mädchen und Frauen orientieren sich an Rollenmustern wie Schulmädchen, Hausfrau oder der neuen Angestelltenkultur. Das Thema impliziert aber auch Fragen von Konsum und Knappheit, ersteres in Form der aufkommenden Warenhäuser, letzteres im Hinblick auf den Ersten Weltkrieg und den Umgang mit einem Mangel an Ressourcen.  

Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf den „Goldenen Zwanzigern“ und der Abendmode der Zeit: Neben zahlreichen reich verzierten Charleston-Kleidern, aufwändiger Abendmode und den passenden Accessoires werden auch ungewöhnliche Objekte aus dem Kontext des Nachtlebens der 1920er Jahre gezeigt, zum Beispiel Behältnisse für Opium.

Kleidung für Mädchen und Frauen, das zeigt die Ausstellung auch, bedarf der Einordnung in das Kleidungsverhalten einer Zeit. Insofern ist es sinnvoll und richtig, dass die Schau auch die Kleidung von Männern, Kindern und Jugendlichen zeigt. Veränderungen der Kleidung bilden hier wie dort gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Wandel ab. Und nicht nur das: Sie zeigen auch das Verhältnis der Geschlechter und Generationen zueinander.    

Davon, dass Kleider nicht nur Leute machen, sondern viele verschiedene gesellschaftlich relevante Themen abbilden, kann man sich noch bis zum 25.10.2020 im LWL-Industriemuseum TextilWerk Bocholt in der Ausstellung „Mythos Neue Frau. Mode zwischen Kaiserreich, Weltkrieg und Republik“ überzeugen.