„Von Norden rollt ein Donner“. Ein Anti-Heimatroman aus der norddeutschen Provinz

04.07.2025 Niklas Regenbrecht

Buchtitel unter der Verwendung eines Gemäldes von Eugen Bracht (Heidelandschaft, 1878).

Andreas Eiynck

Mit seinem Roman „Von Norden rollt ein Donner“ hat der Autor Markus Thielemann (*1992) dem dörflichen Leben in der norddeutschen Provinz ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt. Das ist gut so, denn das aktuelle Leben auf dem Lande zwischen Höfesterben und „Unser Dorf hat Zukunft“ zeigt viele Facetten. Und die dunklen Seiten beleuchtet Thielemann mit seinem Psychogramm der alteingesessenen Bauernfamilie Kohlmeyer in der Lüneburger Heide.

Der Roman spielt in der Gegenwart und im Mittelpunkt der Handlung steht Jannes, der 19jährige Hofnachfolger. Hoferbe ist er allerdings nicht, denn die Besitzverhältnisse auf dem Hof sind ebenso kompliziert wie die Beziehungen in der Familie, die sich finanziell mit ihrer Schäferei kaum über Wasser halten kann. Gleichwohl zieht der sympathische Jungschäfer täglich mit seiner Herde in die Heide. Er ist der Stolz seiner Familie und steht auch im Mittelpunkt des Interesses der Heidetouristen. Eine Rolle, die er offensichtlich genießt.

Das Auftreten der Wölfe versetzt das Dorf in Aufruhr. Zunächst scheint es, als seien diese Raubtiere die größte Gefahr für die Existenz des Kohlmeyer-Hofes. Doch dann offenbaren sich allmählich als viel größere Last die alltäglichen Probleme der Bauernfamilie: ungelöste Familienkonflikte, die totgeschwiegen werden, Anfänge von Demenz in der alternden Generation, die ungesicherte Perspektive des landwirtschaftlichen Familienbetriebes. Jannes hat gelernt, solche Probleme zu verdrängen. Mit Schweigen, Ablenkung durch Arbeit und exzessivem Alkoholkonsum mit der Dorfjugend.

Heideschäfer (Foto Andreas Eiynck).

Doch draußen auf der Heide kann er einer Vision nicht ausweichen, die ihn wie ein Dämon verfolgt. Sie lässt Zweifel aufkommen an den Grundlagen seines Selbstverständnisses, das geprägt ist durch seine Rolle als Stammhalter in der Generationenfolge einer Bauernfamilie und die ungeschriebenen Gesetze seiner dörflichen Heimat. Ob Schützenwesen oder Heimatschutz, ob Naturschutzbürokratie in der fernen Landeshauptstadt oder Dorfintrigen, ob Altnazis und Heidedichter Hermann Löns oder Neonazis als „Völkische Siedler“ in der Heide, ob bäuerliche Großfamilie oder Dorfgemeinschaft - Jannes beginnt, Fragen zu stellen und kommt dabei Schritt für Schritt einem Geheimnis aus der Vergangenheit auf die Spur, das wie Schatten über dem Dorf und seiner Familie liegt. Es geht dabei um verdrängte Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus und einen Mordfall aus der Nachkriegszeit, um versteckten Rassismus und Selbstjustiz. Um die Verweigerung des Eingeständnisses von individueller und kollektiver Schuld, die noch lange in der jungen Bundesrepublik hineinwirkte.

Heideschäfer (Foto Emslandmuseum Lingen).

Der 1992 in Hannover geborene Autor Markus Thielemann hat für seinen Roman gut recherchiert. Sein Studium der Geographie und Philosophie in Osnabrück mag dabei ebenso geholfen haben wie seine Ausbildung im Literarischen Schreiben in Hildesheim. Der Roman „Von Norden rollt ein Donner“ wurde nicht umsonst für den Deutschen Buchpreis 2014 nominiert und Uli Hufen vom WDR sieht darin „Einen verblüffenden, überaus aktuellen Anti-Heimatroman“.

 

Markus Thielemann: Von Norden rollt ein Donner. Roman. C.H. Beck-Verlag, 287 Seiten, 23 Euro.