„Wir sind bei großer Hitze gut ins Südreich der Staufer gelangt.“ – Was Urlaubspostkarten über das Reisen verraten

23.07.2021 Dorothee Jahnke

Ansichtskarten aus dem Bestand im Archiv für Alltagskultur. Foto: Christiane Cantauw.

Christiane Cantauw

 

Wie kein anderes Medium ist die Ansichtskarte aufs Engste verbunden mit der Entstehung und Entwicklung des Tourismus. War dieser vor dem Zweiten Weltkrieg noch ein überschaubares Phänomen, so dokumentiert sich die zunehmende wirtschaftliche Prosperität seit den 1950er Jahren unter anderem auch anhand einer zunehmenden Anzahl von Urlaubsreisen ins In- und Ausland.

Diese Entwicklung hatte sich bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angekündigt, als wirtschaftliche Veränderungsprozesse und neue Verkehrsmittel die räumliche Mobilität und das Alltagsleben vieler Menschen drastisch beeinflussten. Adelige, später auch bürgerliche Reisepioniere und -pionierinnen hatten zu dieser Zeit längst ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass es jenseits der Heimat vieles zu sehen und zu erleben gab. Erste Reisebüros wie das von Thomas Cook (1871) waren hilfreich bei der Planung und Durchführung von Reisen. Die Reiseagenturen, aber auch Verkehrsmittel wie die Eisenbahn oder die neuartigen Reiseführer sorgten für eine wachsende Konfektionierung der Reisen, die in der Zeit des Massentourismus – also seit den 1950er Jahren – nochmals einen deutlichen Schub erhielt.

Von Anfang an gehörte die mediale Verarbeitung der Reise unabdingbar dazu: Briefe, Gemälde und Zeichnungen, Artikelserien in Zeitungen und Wochenschriften, Bücher und vielerlei Reisenotizen und -erinnerungen künden von Reisen in nahe und ferne Länder. Neu war im ausgehenden 19. Jahrhundert, dass das Konzept Urlaubsreise allmählich immer weitere Kreise der Gesellschaft erreichte – nicht zuletzt deshalb, weil eine wachsende Anzahl an Arbeitgebern/Branchen ihrer Belegschaft (bezahlten) Jahresurlaub gewährte.

Ansichtskarten aus dem Bestand im Archiv für Alltagskultur. Foto: Christiane Cantauw.

Eine kostengünstige und leicht zu handhabende Möglichkeit, vom Ausflug oder der längeren Reise zu berichten, bildete die Postkarte, die in den 1870er Jahren als sogenannte Correspondenz-Karte zunächst in Österreich und dann in Preußen, Bayern, Württemberg und Baden eingeführt worden war. Zunächst war sie unbebildert. Eine Karten-Seite war für die Anschrift vorgesehen, die andere konnte für die Mitteilung genutzt werden. Als in den 1890er Jahren Bildpostkarten aufkamen, glich dies einer kleinen Sensation: Von nun an konnten die Absender:innen nicht nur verbale, sondern auch visuelle Eindrücke von ihrer Reise übermitteln.

In den 1950er Jahren hatte sich dies alles längst etabliert. Urlaubsreisen (und bezahlter Jahresurlaub) gehörten für einen Großteil der Bundesdeutschen zur Selbstverständlichkeit – ebenso wie das Versenden von Ansichtskarten an Freundeskreis und Verwandtschaft, Arbeitskolleg:innen und ggf. auch an Geschäftspartner:innen. Die Einteilung der Karten in die Bildseite einerseits und die geteilte Seite für die Anschrift und den Text andererseits gab es bereits vor dem Ersten Weltkrieg und in der Folgezeit hatten sich auch Schreibkonventionen herausgebildet, die sich als erstaunlich langlebig erwiesen.

Die Entrichtung von Grüßen fehlt eigentlich auf keiner Urlaubspostkarte: Herzliche, schöne, frohe, kurze, schnelle, freundliche und natürlich viele Urlaubsgrüße werden an die Daheimgebliebenen geschickt – nicht zuletzt zur Beziehungspflege: Bestehende Kontakte können auf diese Weise bestätigt und lose und eingeschlafene Beziehungen (wieder)belebt werden.

Alles, was jenseits von Grußformeln auf einer Urlaubspostkarte steht, dokumentiert die Beziehung von Absender:in und Adressat:in und natürlich auch die Urlaubsreisen und ihre Veränderungen. Finden sich beispielsweise in den 1950er bis 1970er Jahren noch recht häufig Berichte über Anreise, Verpflegung und Unterkunft auf den Ansichtskarten („wohne in derselben Pension wie voriges Jahr“, 1950er Jahre), so nehmen diese Themen gegen Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend weniger Raum ein. Allzu selbstverständlich sind für viele Reisende Flugreisen und All-inclusive-Verpflegung geworden, als dass sich noch darüber zu berichten lohnte. Auch die zunehmende Konfektionierung der Unterkünfte führte dazu, dass dieses Thema eher an den Rand gedrängt wurde.

Was bleibt, ist natürlich der „Wetterbericht“, der nur auf wenigen Karten fehlt. Da wird von hochsommerlichen Temperaturen berichtet, aber auch vom Wetter, das nicht so richtig mitspielen will („die Sonne will noch nicht richtig italienisch scheinen“), Regentage oder Gewitter gehören ebenso dazu wie die Effekte strahlender Sonnentage („braun gebrannt“) und großer Hitze.

Ansichtskarten aus dem Bestand im Archiv für Alltagskultur. Foto: Christiane Cantauw.

Ein Bemühen um Individualität ist trotz der Tendenz zur Vereinheitlichung, die der Ansichtskarte nicht abzusprechen ist, immer wieder deutlich zu spüren. Gerade in Zeiten des Massentourismus wollen die Ansichtskartenschreiber:innen vermitteln, wie besonders und einzigartig ihre Reise ist („Nachher haben wir noch einen Empfang beim Bürgermeister.“), wie gut ihnen die Erholung tut („Die absolute Stille u. Ruhe tut gut“, 1979) und dass die Reise den kulturellen Horizont erweitert:

Die „Stauferdome sind in Apulien gut restauriert worden und weitgehend von Barock befreit, manchmal wurde zuviel des Guten getan wie in Traun, wo die Kathedrale richtig geplündert wirkt.“ (22.5.2000)   

Dass Kartenansichten sehr bewusst ausgesucht wurden, zeigen auf der Bildseite angebrachte Pfeile, die das Hotel oder auch den bevorzugten Strandabschnitt kennzeichnen: „Bei umseitigem Pfeil könnte ich unter Umständen im Meer als ‚Badenixe‘ zu finden sein!“ (1964).

Auch wenn 2020 der Postkartenversand unter dem Eindruck der Corona-Pandemie stark gesunken ist, so wurden nach Angaben der Deutschen Post immerhin noch 120 Millionen Postkarten befördert (27 Millionen weniger als 2019). Angesichts des wiedererstarkenden Tourismus wird für 2021 aber mit einem kräftigen Anstieg der Zahlen gerechnet.

Wer sich eingehender mit den schwarzweißen und bunten Ansichten und Kartengrüßen beschäftigen möchte, der/die sei auf den umfangreichen Ansichtskartenbestand (ca. 10.000 Einheiten) im Archiv für Alltagskultur verwiesen, der derzeit erschlossen wird.

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Schlagworte: Christiane Cantauw · Freizeit