Was von einer Italienreise im Jahr 1959 übrigblieb

22.08.2025 Niklas Regenbrecht

Unterlagen zur Italienreise 1959 aus dem Nachlass von Gerhard Schmidt, Foto: Lena Hoffmann.

Lena Hoffmann

Im Alltagskulturarchiv befindet sich der umfangreiche Reisenachlass von Gerhard Schmidt (siehe auch eine Vorstellung des Bestandes hier). Insgesamt liegen zwei Archivkartons mit Reisedokumenten und persönlichen Aufzeichnungen vor. Sie stammen von Gerhard Schmidt, der 1923 in Lindicken im damaligen Ostpreußen geboren wurde. Schmidt hatte eine Ausbildung zum Maschinenschlosser gemacht, bevor er später Verwaltungsbeamter im Mittleren Dienst in Aachen wurde. Gemeinsam mit seiner 17 Jahre älteren Frau Maria Theresia unternahm er viele Reisen innerhalb von Europa. Insgesamt liegen im Archiv für Alltagskulturforschung Unterlagen für 31 Reisen im Zeitraum von 1952 bis 1989 vor. Wenn die Schmidts auch meist Reisen innerhalb Deutschlands unternahmen, so lässt sich die in den 1960er Jahren aufkommende „Italiensehnsucht“ auch anhand dieses Bestands belegen.   

Die Schmidts entsprachen mit ihrem Reiseverhalten durchaus der bundesrepublikanischen Norm. So nahmen Auslandreisen in der BRD stetig zu, wenngleich sie in den späten 1950er und 1960er Jahren noch nicht die Norm waren.

Um 1960 herum wurde Italien als Reiseland und Sehnsuchtsziel in deutschen Filmen und Schlagern stark propagiert. Dies wirkte sich zunehmend auch auf das Reiseverhalten der Deutschen aus, die das italienische „dolce vita“, die Strände und die Sonne im Süden in den Ferien genießen wollten.  Auch die gute Erreichbarkeit für PKW-Reisende spielte eine nicht unerhebliche Rolle. 

Eine umfassende Sammlung von vielfach kostenlosen Werbebroschüren einzelner Orte sowie von Landkarten, Ansichtskarten, Eintrittstickets und Wanderkarten dokumentiert die Reisen des Ehepaars Schmidt. Auffällig ist, dass sämtliche Dokumente in einem guten Zustand erhalten sind, was unterstreicht, wie wichtig sie als Andenken an die Reisen waren. Nähere Informationen zu den Reisen erhält man außerdem durch 37 Notizbücher von Gerhard Schmidt, die ebenfalls zu dem Bestand gehören. Sie überliefern Notizen über die Organisation der einzelnen Urlaubsreisen, Eindrücke vom Reiseland, Notationen über das Wetter und die Unternehmungen vor Ort.

Von einer dreiwöchigen Romreise und anschließendem Aufenthalt in Sirmione und Baiersbronn, die das Ehepaar 1959 unternahm, sind neben einem Notizbuch, das als Reisetagebuch fungierte, auch ein kostenloser Prospekt über Rom aus dem Reisebüro Schubert aus Aachen sowie ein 275 Seiten umfassender Romreiseführer eines italienischen Verlages sowie ein übersichtlicher Stadtplan des Hotels Casa Pallotti aus Rom vorhanden. Außerdem umfasst der Archivfund eine Landkarte, auf welcher die Reiseroute markiert wurde. Eine Korrespondenz mit dem Hotel, in dem das Ehepaar in Rom übernachtete, bietet einen Einblick in die Vorbereitungen der Reise.

Schmidt und seine Frau reisten mit dem Auto über einen Zeitraum von insgesamt drei Wochen nach Rom. Neben dem Zug war das Auto zu dieser Zeit ein immer beliebter werdendes Reisverkehrsmittel. Drei Wochen Urlaub am Stück waren um 1960 aber durchaus schon etwas Besonderes. Bis 1963 betrug der durchschnittliche Jahresurlaub in der Bundesrepublik zwölf Werktage. Das hätte für eine dreiwöchige Reise nicht gereicht. Ob und warum das Ehepaar Schmidt über ein größeres Kontingent an Urlaubstagen verfügte, lässt sich leider auf Basis der überlieferten Unterlagen nicht sagen.  

Detailliert ist in Schmidts Aufzeichnungen zu lesen, dass es am 5. Juni 1959 um 5:40 Uhr vom Abfahrtsort Aachen zuerst nach Regensburg ging, um dort zwei Nächte zu bleiben, bevor das Ehepaar am 8. Juni weiter zum Gardasee fuhr. Auch dort verbrachten sie zwei Tage. Schmidt vermerkte für den 9. Juni „Vollkommene Ruhe am Gardasee. Glühend heiß“. Bevor das Ehepaar am 11. Juni schließlich Rom erreichte, machten die Schmidts noch eine letzte Zwischenübernachtung in Rimini. Ähnlich detailliert (mit Datumsangaben, vielfach auch mit genauen Uhrzeiten) wird auch der Romaufenthalt dokumentiert: Ankunft, Mahlzeiten, Reisebekanntschaften, Kosten, die Besichtigung von Sehenswürdigkeiten und Museen und eine Stadtrundfahrt werden genau notiert.  Auffällig ist, dass keine persönlichen Eindrücke vermerkt sind, was zum Beispiel gut oder nicht gut gefallen hat, welche Sehenswürdigkeit besonders eindrucksvoll war, wie die Einheimischen und die Flora und Fauna auf das Ehepaar gewirkt haben oder was man als orts-/regionaltypisch empfunden hat.

Für Sonntag, den 14. Juni vermerkte Gerhard Schmidt in seinem Notizbuch als Programmhighlight den Segen von Papst Johannes XXIII. um 12 Uhr auf dem Petersplatz. Obwohl die Schmidts evangelisch waren, wollten sie sich den Segen des Oberhaupts der katholischen Kirche offenbar nicht entgehen lassen.

Die hohe Nachvollziehbarkeit des Rombesuchs wird gestützt durch – im Nachlass beiliegende – Stadtkarten, auf denen zum Teil Orte eingekreist sind.

Am Montag, dem 15. Juni 1959 traten die Schmidts die Heimreise an und fuhren über den Gardasee und Nenzing zurück nach Aachen. Für den 16. Juni schrieb Schmidt: „Lido di Camaiore. Faul am Strand. Sehr heiß. Ordentlicher Sonnenbrand“.

Auch in diesem Punkt war das Urlaubsverhalten von Gerhard Schmidt offenbar prototypisch. Das Sonnenbad und die im Urlaub gewonnene Bräune waren in der späten Nachkriegszeit zum Statussymbol avanciert. In einer Zeit, in der sich der Urlaub erst langsam vom Luxusgut zum alltäglichen Konsumgut entwickelte, galt die im Urlaub gewonnene Bräune der Haut als wichtiges Souvenir. Mit sonnengebräunter Haus konnte man in der Heimat demonstrieren, dass man seinen Urlaub unter südlicher Sonne verbracht hatte.

Nach dem sonnigen Strandtag fuhren die Schmidts weiter nach Sirmione. Bis zum 24. Juni blieb das Ehepaar in dem Ort am Gardasee. Neben einem Markteinkauf und den Ausgaben hierfür schreibt Schmidt auch von sehr heißem Wetter mit ab und zu kühlenden Gewittern und gemeinsamen Kaffeetafeln. Schließlich traten die Schmidts die Heimreise an und fuhren über Bozen nach Nenzing und von dort aus weiter nach Baiersbronn. Am 27. Juni erreichten sie um 14:45 Uhr Aachen.

Auffallend ist, dass sich in den Reiseaufzeichnungen kaum persönliche Bemerkungen finden. Zwar zeigen die wiederkehrenden Reisen der Schmidts nach Italien und auch an andere Orte in Europa wie Spanien oder Frankreich und an viele Reiseziele in Deutschland, dass Gerhard Schmidt und seine Frau großes Interesse am Reisen hatten. Welche Eindrücke sie auf den Reisen gewannen, dokumentiert der Reisenachlass aber nicht. Dafür erfährt man bis ins Detail, wie viel Geld die Schmidts für was ausgegeben haben. Inhaltlich hat sich das Ehepaar im Vorfeld der Reise offenbar nicht eingehend mit seinem Reiseziel auseinandergesetzt. Das belegt die Tatsache, dass ein Rom-Reiseführer erst in Rom gekauft wurde.  

 

Quelle

Reiseunterlagen Italien 1959, Nachlass Gerhard Schmidt, Archiv für Alltagskultur in Westfalen, K03119.0004.

 

Literatur

Henning, Christoph: Reiselust. Touristen, Tourismus und Urlaubskultur. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1999.

Keitz, Christine: Reisen als Leitbild. Die Entstehung des modernen Massentourismus in Deutschland. München: Deutscher Taschenbuch Verl.,1997.

Knoll, Gabriele M.: Kulturgeschichte des Reisens. Von der Pilgerfahrt zum Badeurlaub. Seeheim: Primus Verl., 2006.

Pagenstecher, Cord: Der bundesdeutsche Tourismus. Ansätze zu einer Visual History: Urlaubsprospekte, Reiseführer, Fotoalben 1950-1990. Berlin: Dr. Kovac Verl., 2003.

Rolshoven, Johanna: Mediterranität als Lebensstil. In: Karlheinz Wöhler (Hg.): Erlebniswelten. Herstellung und Nutzung touristischer Welten. Münster: Lit-Verl., 2005. S. 59-70.

Tavenrath, Simone: So wundervoll sonnengebräunt. Kleine Kulturgeschichte des Sonnenbadens. Marburg: Jonas Verl., 2000.