Wo Hof-Laquais und Küchenburschen im Kalender stehen

29.11.2019

Titelblatt, Allgemeiner Reichs-Calender, für das Hochstift Osnabrück eingerichtet auf das Jahr Christi 1797. Foto: Regenbrecht/LWL.

Ein Reichs-Calender aus dem 18. Jahrhundert

Niklas Regenbrecht

Thema: Zufallsfunde, Standort: Der Keller des Archivs für Alltagskultur in Westfalen. Dort ein Karton mit der Beschriftung „nicht inventarisiert“, im Sinne von „noch nicht inventarisiert“. Beim gelegentlichen Durchsehen findet sich ein Stapel Zeitschriften mit Schnittmustern für Damenoberbekleidung, datiert auf die 1950er Jahre. Dazwischen fällt ein kleines Büchlein heraus. Der Umschlag wirkt abgenutzt und zunächst unscheinbar, man möchte auf den ersten Blick an eine Gestaltung mittels Serviettentechnik denken. Beim pflichtschuldigen Aufschlagen ist man jedoch mehr als überrascht, zwischen den Schnittmusterzeitschriften ein mehr als 150 Jahre älteres Druckerzeugnis in den Händen zu halten. Es handelt sich um eine Ausgabe des Allgemeinen Reichs-Calender, für das Hochstift Osnabrück eingerichtet auf das Jahr Christi 1797.

Einband, Allgemeiner Reichs-Calender, für das Hochstift Osnabrück eingerichtet auf das Jahr Christi 1797. Foto: Regenbrecht/LWL.

Ein vorgedruckter Kalender mag sich heute zunächst wenig spektakulär anhören, doch enthält dieses Bändchen, welches zur Gattung der sogenannten Hof-, Adress- und Staatskalender gehört, weitaus mehr Angaben und Informationen als man unter der heutigen Begriffsverwendung versteht. Darauf macht schon der Untertitel auf dem reich verzierten Titelblatt aufmerksam: Worin sowohl die Aspecten, Fest- Fast- und Bettage, Processionen, Posten, Jahrmärkte und Kornpreise als angenehme und nützliche Geschichte und der Gartencalender desgleichen die hohen und niederen Collegia und Bediente des Hochstifts zu finden.

Kalenderblatt für Dezember, Allgemeiner Reichs-Calender, für das Hochstift Osnabrück eingerichtet auf das Jahr Christi 1797. Foto: Regenbrecht/LWL.

Dem Monatskalender sind Bemerkungen über die Zeitrechnung, die Jahreszeiten, Sonnen- und Mondfinsternisse und weitere astrologische und astronomische Angaben vorangestellt. Es folgen pro Monat zwei Kalenderblätter, jeweils getrennt durch zwei beim Druck freigelassene Seiten. Ein Kalenderblatt enthält dabei Informationen über die einzelnen Tage, die jeweiligen Heiligen, astrologische Angaben und die Anweisungen des Gartenkalenders. Das jeweils zweite Kalenderblatt enthält nur eine Durchnummerierung der Tage mit Platz für eigene Notizen. Zwischen den Monatsblättern findet sich eine landeskundliche, zwölfseitige Beschreibung der dreyzehn vereinigten Provinzen in Nordamerika, ein Bericht über den kurz zuvor unabhängig gewordenen Staat in der neuen Welt.

Auf diesen eigentlichen Kalender folgt der Informations- bzw. Nachschlageteil des Werkes. Vorangestellt ist eine Übersicht der Geburtstage des Königlich- Großbritannischen und Chur- Braunschweigischen Hauses, dem der damalige Bischof Osnabrücks entstammte, und eine Kurze Chronologie der Bischöfe des Hochstifts Osnabrück nach dem Westphälischen Frieden. Den umfangreichsten Part stellt jedoch das Verzeichnis über Des Hochstifts und Fürstenthums Osnabrück hohe und niedere Collegia und Bediente auf insgesamt 17 Seiten dar. Dieses Personenverzeichnis ist insofern interessant, da es nicht nur die Angehörigen des Domkapitels, des geheimen Rats oder des Hofstaates verzeichnet, sondern alle Bedienten. Und dazu gehörten nicht nur der Hof-Medicus und der Hof-Chirurgus, der Hof-Banquiers und der Conditor, sondern auch die Hof-Laquais, der Küchenbursche, die Silberwäscherin, die Kellergehülfen und die Altmägde, die allesamt mit Vor- und Nachnamen aufgeführt sind. Was folgt sind Übersichten über Beamte, Magistrate, Richter und allerhand Geistliche in den einzelnen Städten der Herrschaft. Diese gehen in der Hierarchie zwar nicht mehr bis zum untersten Gehülfen herunter, können aber dennoch vielfach Auskünfte über berufliche Stellungen geben. Der Kalender schließt mit nützlichen Informationen wie Umrechnungskursen von Währungen, Gewichten und Maßeinheiten, den stundengenauen Abfahrtszeiten des Kayserlichen Reichs-Postamtes und des Königl. Großbritannischen und Churfürstl. Braunschweig-Lüneburgischen Postamtes beide zu Osnabrück und einem Verzeichnis der Jahrmärkte im nordwestdeutschen Raum.

Wie der kurze Inhaltsüberblick gezeigt hat, gingen die Kalender verschiedenen Informationsbedürfnissen nach. Kalender dieser Art erschienen in fast allen deutschen Staaten, die frühesten sind seit Anfang des 18. Jahrhunderts nachweisbar, für das Hochstift Osnabrück seit 1760. Es handelt sich um amtliche, halbamtliche oder private Unternehmungen. Im Zuge der zunehmenden Bürokratisierung der Territorien waren sie, vor allem aufgrund der Personal- und Adressverzeichnisse, ein wichtiges Informationsmedium. In dieser Hinsicht stellen sie auch heute eine wertvolle Quelle für etwa personen- oder verwaltungsgeschichtliche Fragestellungen dar. Man findet Kalender dieser Art mehrfach überliefert und auch bereits vollständig digitalisiert im Internet. So etwa auch ein Exemplar des hier besprochenen Jahrgangs bei der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen.

Was die einzelnen Exemplare unterscheidet, sind die unbedruckten Seiten. Genauer gesagt, die Seiten, die von den jeweiligen Besitzern mit Ihren eigenen Aufzeichnungen gefüllt wurden. Im vorliegenden Fall liegen keinerlei Informationen über den oder die Besitzer des Kalenders oder den Weg, auf dem dieser ins Archiv für Alltagskultur gelangte, vor. Alle handschriftlichen Aufzeichnungen stammen augenscheinlich aus einer Hand. In kleiner und teilweise mittlerweile unleserlicher Schreibweise wurden verschiedene Aufzeichnungen vorgenommen. Auf der Einband-Innenseite sind beispielsweise Ausgaben für Lehrbücher, Kalender oder Zeitungen zwischen 1797 und 1802 verzeichnet. Auf den übrigen 24 beschreibbaren Innenseiten finden sich anscheinend Einnahmen aus gerichtlichen Auseinandersetzungen. Auf mehreren Seiten sind jeweils zwei gegnerische Parteien namentlich verzeichnet mit mehrfachen, datierten Geldzahlungen. Auf anderen Seiten finden sich unter der Überschrift lokalisierbarer Gerichtsstandorte, die wohl vom Gericht festgelegten Zahlungen aus unterschiedlichen Auseinandersetzungen. So zum Beispiel:

Handschriftlich beschriebene Seite, Allgemeiner Reichs-Calender, für das Hochstift Osnabrück eingerichtet auf das Jahr Christi 1797. Foto: Regenbrecht/LWL.

Osterkappelsches Gogericht
1797 24 May: pro relat[ione] in causa Diepenbrock c[on]tr[a] Wilshus
cum Dr. Hartmann _____ 4f.

Gelegenheitszeichnungen am Rande, Allgemeiner Reichs-Calender, für das Hochstift Osnabrück eingerichtet auf das Jahr Christi 1797. Foto: Regenbrecht/LWL.

Sofern lesbar finden sich nur die aus den Auseinandersetzungen und ihren Schlichtungen resultierenden Zahlungen, bedauerlicherweise jedoch nicht die Streitgründe beziehungsweise Inhalte. Es handelt sich bei dem Kalender also allem Anschein nach um ein als Notizbuch genutztes Exemplar eines Richters oder Schreibers, der für die Osnabrückischen Gogerichte, also die niedere Gerichtsbarkeit, tätig gewesen ist. Dass es aber bei Gericht auch Zeit für Muße gab, zeigen die kleinen Gelegenheitszeichnungen am Rande.