Christiane Cantauw
„Du bist so unendlich weit weg“ (S.13) schreibt Angelika Schlüter in einem fiktiven Brief an ihre 1947 verstorbene Urgroßmutter Anna, der sie im wahren Leben nie begegnet ist und deren Leben ein 135seitiges Buch mit zahlreichen Fotografien nachzeichnet, das 2021 im Daedalus-Verlag erschienen ist. Das Buch bildet den Abschluss eines dreiteiligen multimedialen Kunstprojekts.
Anna wurde 1867 in einem Dorf am Fuß des Altvatergebirges geboren. Heute gehört diese Gegend zur Olmützer und zur Mährisch-Schlesischen Region Tschechiens. Weit weg ist Anna aber nicht nur deshalb, weil sie im vorletzten Jahrhundert in Mähren geboren wurde, sondern auch deshalb, weil sie nicht in einen vorgegebenen Rahmen zu passen scheint. Gerade deshalb zieht das Experiment einer Annäherung an das Leben dieser Frau die Leserschaft in seinen Bann.
Die Künstlerin Angelika Schlüter, die Filme und Hörspiele, aber auch grafische Arbeiten und vieles mehr in ihrem Repertoire hat, begibt sich für dieses Experiment auf Reisen. Sie will die Distanz zur unendlich weit entfernten Urgroßmutter verkürzen, sucht das mährische Dorf auf, in dem diese die ersten 43 Jahre ihres Lebens verbracht hat, spricht mit nahen und weitläufigen Verwandten. Sie sammelt aber nicht nur Informationen und Schriftzeugnisse wie beispielsweise Briefe sondern auch Fotografien, Pflanzen, Tiere, Artefakte und Eindrücke, die sie zu Zeichnungen und Kunstobjekten verarbeitet und an der Wand ihres Ateliers als 11m² große Collage zusammenführt. In wechselnden künstlerisch-thematischen Arrangements werden verschiedene Objekte auch auf einem Tisch präsentiert. Die sechs Tischinstallationen aus assoziativen Materialien bilden neben der Wandcollage ein eigenes, künstlerisches Element.