Alte Wetter- und Bauernregeln: Wissen sie mehr, als wir glauben?

31.03.2023 Marcel Brüntrup

Anton Bruchausen, Anweisung zur Verbesserung des Ackerbaues und der Landwirthschaft Münsterlandes, Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1790.

Gisbert Strotdrees

Wer sich über das Wetter der nächsten Tage informieren will, hat es heutzutage leicht. Er greift zum Handy, öffnet die entsprechende App – und kann sich das Wetter präzise vorhersagen lassen. Wem das nicht reicht, der hat noch tausende andere Möglichkeiten: Fernsehen, Radio und Tageszeitungen alle veröffentlichen Prognosen, die für die nächsten 24 Stunden recht genau sind, sowie einen Ausblick auf die folgenden drei, fünf oder sieben Tage. Außerdem kann jeder ohne großen Aufwand via Internet alles Erwünschte abrufen: Tages- und Wochenvorhersagen, Reisewetterbericht, Straßenwettervorhersage, Seewetterbericht für die Nord- und Ostseeküsten, Wetterbericht für Segelflieger, medizinmeteorologische Hinweise und natürlich die Witterungshinweise für die Landwirtschaft.

Denken wir uns das alles weg. Versetzen wir uns 230 Jahre zurück. Stellen wir uns einen münsterländischen Bauern vor, der seinen Acker im Frühjahr bestellen will. Schlepper und Sämaschine hat er nicht; seine Egge ist denkbar dürftig. Ohne mechanische Helfer erfordert die Frühjahrsbestellung Zeit — mitunter mehrere Tage, an denen der Boden nicht zu nass und nicht zu trocken sein darf. Wie stellt es so ein Landwirt vor 200 Jahren an, den passenden Tag mit dem passenden Wetter zu erwischen?

Der Münsteraner Jesuit Anton Bruchausen (1735-1815) schreibt in seiner 1790 in Münster erschienenen "Anweisung zur Verbesserung des Ackerbaues und der Landwirthschaft des Münsterlandes", einem der ersten landwirtschaftlichen Lehrbücher Westfalens:

"Man binde sich nicht beym Säen an einen gewissen Tag. Denn das ist Aberglaube. Auch richte man sich nicht nach dem Kalender. Denn die Kalendermacher verstehen nichts vom Ackerbaue und (von) zukünftigem Wetter."

Stattdessen rät Bruchausen den Landwirten, sich auf ihren Verstand, auf ihre Beobachtung zu verlassen und er rät ihnen, den Acker für die Aussaat optimal vorzubereiten, dann könne schon nichts schiefgehen: "Einen schönen Tag aber und recht gutes, trockenes Wetter, ein gehörig mürbes, durchgearbeitetes, ziemlich feuchtes Land zum Einsäen wählen, das ist kein Aberglaube, das ist vernünftig, nützlich und nothwendig."

Bauern sind seit je auf Gedeih und Verderb dem Wetter ausgeliefert. (Foto: Vennefrohne, Archiv für Alltagskultur, 2008.00632)

Volksmagie, "Bauernpraktik" und "Hundertjähriger Kalender"

Bauern sind seit je auf Gedeih und Verderb dem Wetter ausgeliefert. Dem Geschehen können sie nicht "ins Rad greifen". Gleichwohl probiert es die ländliche Bevölkerung früherer Jahrhunderte stets auf's Neue: durch religiöse Bräuche wie Regenbittgottesdienste, Flurumgänge und Wettersegen, durch Hagelprozessionen oder die Verehrung besonderer Wetterschutzheiliger. Ursprünglich bitten die Menschen dabei um Segen und Schutz gegen Unwetter. Diese Bräuche vermengten sich mit volksmagischen Vorstellungen: Man glaubte, durch Gottesdienste und Flurumgänge das Wetter auch tatsächlich beeinflussen zu können. Die Vorstellung spiegelt sich etwa auch in dem Brauch, besondere Wetterglocken zu läuten, um Hagel und Gewitter abzuwenden und notfalls ins Nachbardorf zu schicken. Als Beispiel sei die Inschrift einer 1517 gegossenen Glocke in der Schöppinger Kirche St. Brictius zitiert. Auf ihr steht wörtlich:

"Salvator is min name / min gheluit si gode bequame (wohlgefallen)  / de levendighen roep ick / de doden beschreig ick / hagel un donder verstur ick." (Übersetzt etwa: „Salvator“ ist mein Name, mein Geläut sei Gott wohlgefallen, die Lebenden rufe ich, die Toten beklage ich, Hagel und Donner vertreibe ich.) Das ist sozusagen eine in Bronze gegossene Legierung aus christlichem Bekenntnis und ländlicher Volksfrömmigkeit, die von magischen Vorstellungen geprägt ist - eine Mischung, die die Kirche damals offensichtlich stützt, zumindest aber nicht verhindert. Andernfalls hätten die Schöppinger so eine Glocke wohl kaum im Kirchturm aufhängen können.

Auch "Wettermacher" treten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in den Dörfern und Landgemeinden Westfalens auf. Sie, so urteilt der eingangs genannte Jesuit Anton Bruchausen 1790, seien „Ertzschelmen und Betrüger, welche die eben erzählten Sachen nicht ausrichten, auch nichts mehr machen können, als andere ehrliche Leute: denn sie haben keine größere Kraft als andere von Gott empfangen".

Das seinerzeit wohl einleuchtendste Argument gegen Volksmagie und "Wettermacherei" war natürlich das Wetter selbst. Denn immer wieder erlebten die Menschen, dass sie Hagelschauer und schwere Gewitter, trocken-dürre oder verregnete Sommer nicht verhindern können.

Zieht etwa ein Gewitter auf? (Foto: Rudolf Lindemann, Archiv für Alltagskultur, 0000.S3295.)

Wenn das schon nicht gehe, so folgerten Wetterkundige bereits gegen Ausgang des Mittelalters, dann müsse man doch immerhin versuchen, sich möglichst frühzeitig auf heraufziehendes Unwetter einzustellen. Das sollte zum Beispiel mit der "Bauernpraktik" gelingen. Dabei wurde das Wetter der "Zwölf heiligen Tage und Nächte" genauestens beobachtet — jener Tage also zwischen dem Ersten Weihnachtstag und dem 6. Januar, dem kirchlichen Festtag der Heiligen Drei Könige. Jeder Tag stand dabei für einen Monat des kommenden Jahres: Der 25. Dezember für den Januar, der 26. Dezember für den Februar und so fort. Die Methode wurde erstmals 1508 beschrieben in einem Buch mit dem Titel: "Pauren Practik vnnd regel darauff sy das gantz ja ain auffmercken haben vnnd halten". Diese "Bauernpraktik" - und so wird seither die 12-Tage-Methode auch benannt - erlebt bis zum Jahr 1800 fast sechzig Neuauflagen.

Dass die Methode nicht Erfolg versprechend war, braucht nicht betont zu werden. Das Wetter richtet sich nun einmal nicht nach den Kalendermachern. Es wiederholt sich auch nicht in mathematisch exakten Rhythmen wie etwa alle sieben, zwölf oder hundert Jahre. Aus diesem Grund taugt auch der "Hundertjährige Kalender" nicht zur Wetterprognose.

Dieser Kalender geht zurück auf die durchaus interessanten Beobachtungen von Moritz Knauer (1613-1664), Abt des Klosters Langheim im Bistum Bamberg. Ein geschäftstüchtiger Arzt aus Erfurt hat die Aufzeichnungen des Abtes drucken lassen. Durch ein Versehen des Setzers geriet der Text durcheinander. Später wurde der Text noch mehrmals umgeschrieben und damit bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Und als ob das alles nicht gereicht hätte: Abt Knauer hatte seinem Kalender eine Planetentafel von 1600 bis 1912 beigefügt. Spätere Drucke kürzten die Tabelle auf die Jahre 1701 bis 1800, also auf hundert Jahre. Daher erst stammt der Name "Hundertjähriger Kalender". Mit den ursprünglichen Aufzeichnungen des Abtes hatte er am Ende nichts mehr gemein. Die Aufzeichnungen des Abtes wurden erst in den 1930er Jahren wiederentdeckt und später als "Echter Hundertjähriger Kalender" publiziert.

Doch ob Original oder Fälschung: Für die Wettervorhersage ist der "Hundertjährige" wertlos. Denn wie gesagt: Das Wettergeschehen wiederholt sich nicht, schon gar nicht regelmäßig alle 7 oder 100 Jahre, wie es der Kalender behauptet. Jeder Treffer ist rein zufällig.

Hoffentlich hält das Wetter. (Foto: Dr. Herwig Happe, Archiv für Alltagskultur, 2015.00271.)

"Vormoderne" Wetterprognose durch Beobachtung: Die Bauernregeln

Auch die Bauernregeln wagen einen Blick zum Himmel und eine Wettervorschau. Der Berliner Meteorologe Horst Malberg hat sich eingehend mit allen Spielarten der bäuerlichen Wettervorhersage beschäftigt. Er ist dabei zu interessanten Ergebnissen gekommen. Es gibt Bauernregeln, so Malberg, die von Generation zu Generation weitergeben wurden und sich auf einer sehr guten, oft jahrhundertelangen Wetterbeobachtung gründen.

Als erstes nennt er Wetterregeln, die eine Prognose für die nächsten Stunden und Tage geben. Zum Beispiel kündigt sich heranziehendes Unwetter oft mit wechselhaften Sturmböen an. Nichts anderes besagt die Regel: "Dreht zweimal sich der Wetterhahn, so zeigt er Sturm und Regen an."

Von den sommerlichen Schäfchenwolken heißt es: "Je weißer die Schäfchen am Himmel gehen, desto länger bleibt das Wetter schön." Malberg erläutert zustimmend: "Schäfchenwolken entwickeln sich in Gebieten mit Hochdruckeinfluss. Die aufsteigende erwärmte Luft wird dabei von dem Hoch gebremst, so dass die Wolken meist nicht so mächtig werden, dass sie Regen bringen. Weiße Schäfchenwolken zeigen also an, dass es in den nächsten Stunden trocken bleiben wird."

Am interessantesten sind für Horst Malberg die sogenannten "Witterungsregeln" — Bauernregeln also, die das Wetter für mehrere Tage, ja sogar Wochen voraussagen.

Horst Malberg hat versucht, ihre Trefferquote zu überprüfen. Dazu hat er Wetterdaten ausgewertet, die seit 1908 von der Wetterstation in Berlin-Dahlem gesammelt wurden. Manchmal auch hat er auf Aufzeichnungen zurückgegriffen, die in Deutschland bis auf das Jahr 1720 zurückgehen. Und dann hat er ausgezählt, gerechnet und verglichen ­ mit Hilfe des Computers.

Natürlich weiß der Wissenschaftler, dass manche Regeln aus ganz anderen Regionen stammen als seine greifbaren Wetterdaten. Natürlich weiß er auch, dass sich bei der mündlichen und schriftlichen Überlieferung Fehler eingeschlichen haben und dass mittelalterliche Regeln mit besonderer Vorsicht zu genießen sind, weil die Kalenderzählung seither verändert worden ist. Dennoch ist Horst Malberg zum Teil auf erstaunliche Ergebnisse gekommen:

Er verweist auf Wetterregeln, die zu 90% zutreffen. Viele der Bauernregeln treten aber nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 bis 70 % ein. Diese haben es Malberg aber besonders angetan:

"Gerade die Regeln mit der geringen Trefferquote um 60 % sind es, die die hervorragende Naturbeobachtung unserer Vorfahren beweisen, denn diese Zusammenhänge sind viel schwerer in der verwirrenden Vielzahl von Wetterereignissen zu erkennen als die Regeln mit hoher Eintreffwahrscheinlichkeit."

Zieht man also ein Fazit, so könnte man sagen: Bauernregeln sind nicht besser als die moderne Meteorologie, aber viele (nicht alle!) sind besser als ihr Ruf und gründen auf die Beobachtung von Abläufen in der Natur – ein Erfahrungswissen, das oft über Generationen hinweg zusammengetragen worden ist. Die Methoden der modernen, wissenschaftsbasierten Wetterforschung sind selbstverständlich um ein Vielfaches genauer, ihre Vorausberechnungen um ein Vielfaches präziser. Den voreiligen Spott der "Nachgeborenen" aber haben viele der überlieferten Wetter- und Witterungsregeln nicht verdient.

Literatur

Hans Günther Körber: Vom Wetteraberglauben zur Wetterforschung. Aus Geschichte und Kulturgeschichte der Meteorologie. Leipzig / Innsbruck / Frankfurt am Main 1987.

Horst Malberg: Bauernregeln aus meteorologischer Sicht. 4. erweiterte Auflage. Berlin /Heidelberg / New York 2003.

Paul Münch: Lebensformen in der Frühen Neuzeit 1500 bis 1800. Frankfurt / Berlin 1992, S. 127-154.

Tello Wilamowitz-Moellendorff: Über den Hundertjährigen Kalender. In: Berichte über Landwirtschaft, 70 (1992), S: 656­667.

www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2016/9/17.html (Zu Bauernregeln allgemein)